Vorschusslorbeeren hat der neue Porsche 911 jetzt wirklich genug bekommen. Wir wissen inzwischen: Ja, es ist der bisher beste und schnellste Elfer, wieder einmal. Trotz zehn Zentimeter mehr Radstand, trotz oder wegen des Einzugs von weiterer Elektronik wie elektrische Servolenkung, Siebengang-Schaltgetriebe, Start-Stopp-System. Für Sportwagen-Enthusiasten ist auch die siebte Generation, der 991, das Maß aller Dinge. Haben wir verstanden. Wir bei AUTO BILD schreiben aber nicht nur für Menschen, die jeden zweiten Tag auf der Rennstrecke unterwegs sind, sondern vor allem für Normalos. Deswegen bekommt der nun 400 PS starke Stuttgarter keine Sonderbehandlung für Sportwagenikonen, sondern muss sich einem klassischen AUTO BILD-Test stellen – dazu zählt nicht nur Handling, sondern auch Komfort und Preis. Ein Test wie aus dem Leben eben.

Überblick: Alle News und Tests zum BMW 6er

BMW 6er
Sportler oder Gran Turismo: Auf der Piste zeigt sich der BMW 6er kühl und distanziert.
Um den jüngsten Porsche richtig einzuordnen, baten wir zwei Gegner dazu, die den Carrera aus ganz unterschiedlichen Richtungen in die Zange nehmen: den BMW 650i, einen eleganten Gran Turismo, kaum billiger als der 911, dafür mit 407 PS etwas kräftiger. Und den Chevrolet Camaro, 432 PS stark und sensationelle 38.990 Euro günstig. Wir wissen, was Sie jetzt denken. Und Sie haben recht. Der BMW 650i ist ein Coupé mit viel Leistung, aber kein Sportwagen. Der Camaro dagegen ist ein ungehobeltes Muscle-Car, das zwar Dampf ohne Ende, doch kaum Fahrkultur bietet. Dachten wir auch. Einen Tag auf den Handling- und Komfortstrecken des Continental-Testzentrums später sind wir klüger. Und demütiger. Der "Große Handlingkurs" des Contidroms ist eine Rennstrecke mit einer langen Geraden, ein paar schnellen und einigen fiesen langsamen Kurven. Auftritt 911 Carrera S: nicht mit dem neuen Siebengang-Schaltgetriebe, sondern dem vom Vorgänger her bekannten Porsche-Doppelkupplungsgetriebe PDK. Sport-Plus-Taste gedrückt – das Stabilitätsprogramm PSM bleibt an, wird jedoch in den Trackmodus geswitcht. PDK-Wählhebel auf manuell. Und los geht’s.

Überblick: Alle News und Tests zum Porsche 911

Porsche 911
Porsche 911: Seine neuen Fahrhilfen machen sogar schnelle Fahrer noch schneller.
Der 3,8-Liter-Boxer schiebt mächtig, ab 5000 Touren vehement, ab 6500 heulend und kreischend wie ein Rennmotor. Die Schaltwippen kann der Fahrer vergessen, das PDK schaltet bei Maximaldrehzahl selbstständig hoch, bei Kickdown ebenso selbstständig zurück. Kann man mögen, muss man aber nicht. Die neue, von 911-Fans argwöhnisch erwartete elektrische Servolenkung ist nicht übel, aber schlechter als zuvor. Sie ist zielgenau und mitteilsam, aber doch eine Spur zu leichtgängig und soft. Neutral und verzeihend ist er ohnehin geworden, der Elfer. Nur noch ein Hauch von Untersteuern beim vehementen Einlenken. Und fast gar nichts mehr von den bislang gefürchteten abrupten Heckschwenks bei Lastwechseln. Spielerisch zieht er am Gas aus der Kurve, schwenkt leicht das Heck nach außen – sauber, kontrollierbar und sauschnell. Es stimmt, was alle sagen: Nie war es so einfach, schnell 911 zu fahren. Und noch etwas ist neu am 991 (kein Tippfehler, die siebte Generation des 911 heißt intern 991): Die Fahrerassistenzsysteme regeln so exzellent, dass auch die geübtesten Schnellfahrer und Kunstdrifter der Testredaktion mit eingeschalteten Hilfen im Contidrom schneller sind als ohne.
Beim BMW 650i, serienmäßig mit Achtstufenautomatik, gibt es einen Fahrerlebnisschalter auf der Mittelkonsole. Ja, der heißt wirklich so. Der Erlebniseffekt hält sich allerdings in Grenzen. Der Doppelturbo- Achtzylinder legt sich mächtig ins Zeug, die Automatik arbeitet blitzschnell, doch das Erlebnis bleibt kühl, distanziert. Solange es geradeaus geht, gibt es daran auch wenig auszusetzen. Doch die aufpreispflichtige Allradlenkung, die aktiven Stabilisatoren und die aufmerksamen Assistenzsysteme halten den 650 bei schneller Kurvenfahrt so nachhaltig auf der braven Seite, dass wenig Fahrfreude übrig bleibt. Wer es dennoch übertreibt, wird mit sturem Untersteuern gemaßregelt. Ganz anders der Chevrolet Camaro. Er gewinnt schon dadurch, dass er kein verdruckster Kleinwagen oder Familienvan aus Korea ist, wie fast alle Chevys, die man heutzutage so antrifft. Und er zeigt uns, dass es unter all den Schlips- und Bedenkenträgern in der GM-Zentrale in Downtown Detroit noch ein paar Menschen mit Benzin im Blut gibt.

Überblick: Alle News und Tests zum Chevrolet Camaro

Chevrolet Camaro
American way of drive: Der Chevrolet Camaro ist ungehobelt aber liebenswert.
432 PS, Sechsgang-Floorshifter (das heißt nichts anderes als Schalthebel auf der Mittelkonsole), kein Fahrerlebnis- oder Sport-Plus-Schalter. Die Gänge wollen reingeprügelt werden, das Ausrücklager der Kupplung scheppert, es geht los. Und wie. Mit ausgeschaltetem ESP zickt und zackt der Camaro durch die Kurven, brüllt über die Geraden und lässt sich dennoch mit Anstand einbremsen. Im Dritten praktisch aus Leerlaufdrehzahl geht er in den Drift – großes Kino, ganz großer Spaß. Weil sich jedoch das wahre Leben meist außerhalb des Contidroms abspielt, fließen die Fahrerlebnisse in eine objektive Punktewertung. Da sammelt der BMW – etwas überraschend – die meisten Zähler. Gegen das Raumangebot des großen Coupés, seinen Federungskomfort und die gepflegten Manieren haben der extremer ausgelegte 911 und erst recht der kompromisslose Camaro wenig Chancen. Hart, aber gerecht.
Der Porsche ist der bessere Sportwagen, doch das nicht ganz so gute Auto. Und um einen Vergleichstest gegen den BMW 650i zu gewinnen, sammelt er in den Karosserie- und Komfortkapiteln zu wenig Punkte. Sehr teuer ist der Elfer obendrein. Wer in der 80 Seiten starken Preisliste des 911 blättert und munter ankreuzt, kann mühelos Optionen im Gegenwert eines kompletten neuen Camaro dazupacken. Der Chevrolet dagegen ist ein wilder Hund, ein Auto zum Liebhaben aus einer anderen Welt. Irgendwie ungehobelt, aber gerade deswegen ein herrlich erfrischender Farbklecks in einer ansonsten ach so korrekten Zeit. Und, vor allem: Nach Punkten schlägt sich der Chevy gar nicht so schlecht. Auch wegen des günstigen Preises von 38.990 Euro, der im Vergleich komplett irre anmutet. Was am Ende aber nichts daran ändert, dass mit dem 6er das unspektakulärste und ausgewogenste Auto gewinnt. Auch ohne Vorschusslorbeeren.

Fazit

von

Heinrich Lingner
Okay, der Porsche 911 gewinnt diesen Vergleichstest nicht, doch wer einen 911 kauft, ist kaum auf der Suche nach gediegenem Fahrkomfort und großem Kofferraum. Der BMW 650i sammelt in diesen Disziplinen mehr Punkte, was ihn zu einem sehr guten Reisecoupé, aber zu keinem guten Sporter macht. Und der Chevrolet Camaro steht gegen solch kompetente Konkurrenz nicht als Verlierer da. So viel Autospaß für weniger als 40.000 Euro gibt es sonst nirgends auf der Welt.

Von

Heinrich Lingner