Mit großer Spannung wurde heute Nachmittag die FIA-Pressekonferenz in Istanbul erwartet. Denn wie immer an einem Freitag wurden zu der Fragestunde um 16:00 Uhr Ortszeit Vertreter der Teams eingeladen. Heute standen Toyota-Teampräsident John Howett, gleichzeitig stellvertretender FOTA-Vorsitzender, sowie die Teamchefs Stefano Domenicali (Ferrari) und Flavio Briatore (Renault) Rede und Antwort.
Bereits im Vorfeld wurde im Fahrerlager die Stimmung aufgeheizt, indem Gerüchte in Umlauf gebracht wurden, FIA-Präsident Max Mosley könnte während des zweiten Freien Trainings einen Brief an die FOTA veröffentlichen, um die drei Herren in der Pressekonferenz dumm aussehen zu lassen und ihnen gleichzeitig keine Chance zu geben, in derart kurzer Zeit überzeugende Gegenargumente vorzubereiten. Doch dieses Gerücht bestätigte sich nicht.
Briatore zeigte sich zunächst bemüht, ein paar versöhnliche Worte in den Raum zu werfen: "Wir wollen keinen Krieg mit Max Mosley. Niemand will Krieg", sagte er. "Wir wollen eine bessere Formel 1, eine bessere Show, bessere Regeln. Wir wollen auch eine kosteneffizientere Formel 1. Da sollten wir alle zusammenarbeiten - am liebsten auch mit der FIA." Und er hielt fest: "Wir vergessen auf die Fans. Die verstehen nicht, worum es überhaupt geht."
Wer verliert sein Gesicht?
Doch jedem ist klar, dass in Wahrheit sehr wohl ein politischer Machtkampf stattfindet. Dass es dabei auch immer wieder öffentliche Querschläge gibt, tut dem Kompromissfindungsprozess nicht gerade gut. Es geht längst nicht mehr nur um die Sache, sondern auch darum, wer bis zur gemeinsamen Mitte den kürzesten Weg zurücklegen muss, wer sein Gesicht am ehesten wahren kann. Das gilt für die FIA- genauso wie für die FOTA-Seite.
Und Briatore spricht wohl nur die halbe Wahrheit, wenn er sagt: "Die FOTA ist nie aggressiv aufgetreten. Wir lassen uns stillschweigend bombardieren." Denn die Pressemitteilung, mit der am 29. Mai die gesammelte Einschreibung aller FOTA-Teams - damals noch inklusive Force India, aber schon ohne Williams - bekannt gegeben wurde, liest sich nicht gerade wie ein Friedensangebot an die FIA, auch wenn die begleitend eingereichten Vorschläge vielleicht als solches gemeint sind.
Dabei gibt es eigentlich einen Konsens im vielleicht allerwichtigsten Spannungspunkt: "Wir sind uns darüber einig, dass die Kosten runter müssen", erklärte Domenicali, "aber die Art und Weise und die Summen muss man nicht veröffentlichen. Unsere Vorschläge verfolgen genau jene Ziele, die der FIA-Präsident erreichen will, aber bei allem Respekt: Wir sollten selbst wissen, wie wir unser Geschäft zu führen haben."
"Wir müssen konstruktiv sein. Zumindest von unserer Seite gibt es nicht die Absicht, einen Streit zu führen. Wir müssen Lösungen finden. Wir wollen zusammenarbeiten, um einen Ausweg zu finden", so der Ferrari-Teamchef, der weiterhin gegen eine Budgetobergrenze - in welcher Höhe auch immer - ist. Das hat weniger mit dem Prinzip der freien Marktwirtschaft zu tun als vielmehr mit der Tatsache, dass Ferrari stärker am Einnahmentopf der Formel 1 beteiligt ist als andere Teams.
Stabilität und Co.: Bekannte Phrasen
Doch das ist Ferraris FOTA-Mitstreitern längst kein Dorn mehr im Auge. Vielmehr klingt es nach Geschlossenheit, wenn Briatore sagt: "Ich glaube nicht, dass wir etwas Verrücktes verlangen. Wir wollen nur Stabilität." Genau darum geht es laut Domenicali auch Ferrari: "Ferrari ist seit 60 Jahren in der Formel 1. Wir fühlen uns dafür verantwortlich, diesen Sport nicht kaputt zu machen. Daher haben wir uns für diesen Weg entschieden."
Dieser Weg, das ist der Vorschlag, der seit vergangenem Freitag auf Mosleys Schreibtisch liegt und auf eine Reaktion seitens der FIA wartet. Dabei geht es um ein stabiles Regelpaket, aber auch um eine Verlängerung des über 500 Seiten starken Concorde-Agreements bis Ende 2012. Die große Frage ist, was passiert, wenn Mosley das Concorde-Agreement nicht wie von der FOTA verlangt bis spätestens 12. Juni ratifiziert.
"Uns ist wichtig, dass der Prozess der Regelfindung wieder der ist, der in der Vergangenheit in der Formel 1 üblich war", erklärte Domenicali und fügte an: "Wir sind dazu bereit, uns bis 2012 zu verpflichten. Das war ja eine Sorge der FIA." Außerdem ist sich der Italiener genau wie zum Beispiel auch Ross Brawn sicher, dass die FOTA-Maßnahmen ähnliche Auswirkungen haben würden wie eine Budgetobergrenze: "Meiner Meinung nach sind das die Antworten auf Max' Fragen."
Doch um nicht im qualmenden Rauch der symbolisch angeheizten Friedenspfeife zu ersticken, ließ Briatore zwischendurch mal wieder die Muskeln spielen, um Mosley zu zeigen, dass die Macht der FOTA nicht zu unterschätzen ist: "Wenn Toyota, Renault und BMW aussteigen, wie es immer heißt, dann haben wir eine Formel 1 mit den Herren Gascoyne und Campos. Das wäre - bei allem Respekt vor Gascoyne und Campos - eine andere Liga."
Wie wankelmütig sind die Hersteller wirklich?
"Renault", fuhr er fort, "ist seit 20 Jahren in der Formel 1, Ferrari seit 60. Das ist doch eine Garantie. Ich habe nichts gegen neue Unternehmen, wenn sie professionell sind. Ich glaube aber nicht, dass wir Formel-3-Teams in der Formel 1 brauchen. Wir garantieren ja, dass wir bleiben. Und selbst als Honda gegangen ist, haben wir dafür gesorgt, dass das Team als Brawn erhalten bleibt. Wir verstehen diese Panik nicht, alles auf den Kopf zu stellen."
"Uns zu unterstellen, wir seien egoistisch, ist schlicht und einfach falsch", nickte Howett zustimmend und verwies auf das umfassende Motorsportengagement der Hersteller in verschiedensten Formelserien und durch zahlreiche Nachwuchskader auf der ganzen Welt. Domenicali schloss sich an: "Ich möchte daran erinnern, dass ohne die Hilfe der FOTA nicht alle Teams am Start wären. Das war im Interesse des Sports. Das beweist, dass wir nicht egoistisch sind."
Howett ergänzte: "Wir haben in den vergangenen vier oder fünf Jahren sehr uneigennützig darauf hingearbeitet, die Einstiegskosten zu verringern. Außerdem hat sich nie ein FOTA-Mitglied über die neuen Teams beschwert. Allerdings wünschen wir uns eine stabile Plattform auf Basis eines Concorde-Agreements. Wenn die Rahmenbedingungen vorhanden sind, können wir uns dann darauf konzentrieren, den Sport als Ganzes zu verbessern. Das ist die einzige Absicht der FOTA."
Trotzdem steht die Formel 1 vor einer Zerreißprobe, denn laut aktuellem Informationsstand haben insgesamt mindestens 22 Teams für die Weltmeisterschaft 2010 genannt. Das bedeutet, dass die FIA theoretisch auch komplett ohne die bestehenden Teams ihr Starterfeld füllen könnte. Nun stellt sich die Frage: Geht Mosley im Machtkampf so weit, dass er Ferrari und Co. aus der Weltmeisterschaft schmeißt und stattdessen Litespeed und Co. einen Startplatz gibt?
Die FOTA und die Piratenserie
Und wenn ja, wie reagiert dann die FOTA darauf? "Wir bei Toyota sehen das entspannt", entgegnete Howett. "Das, was wir verlangen, ist vernünftig. Wir denken, dass sich die Vernunft durchsetzen wird. Sollten unsere Nennungen abgelehnt werden, dann müssen wir uns zusammensetzen und die nächsten Schritte diskutieren." Zunächst einmal sei ohnehin Stand, dass sich alle bestehenden Teams auch für 2010 eingeschrieben haben.
Dass dies gesammelt als FOTA-Entry und an Bedingungen geknüpft geschehen ist, war übrigens keine FOTA-, sondern eine Mosley-Idee, um die Fronten ein wenig zu entspannen: "Wir wurden vom FIA-Präsidenten eingeladen, eine an Bedingungen geknüpfte Nennung einzureichen", so Howett. "Die Bedingungen sind die, die wir in der FOTA ausgearbeitet und eingereicht haben. Die Reaktion können wir nur abwarten."
Eine an Bedingungen geknüpfte Einschreibung ist übrigens keineswegs illegal, sondern durch Artikel 75 des Internationalen Sportkodexes der FIA sogar ausdrücklich gestattet. Artikel 75 besagt jedoch nicht, dass solche Einschreibungen auch akzeptiert werden müssen. Sollte die FIA die FOTA-Einschreibung ablehnen, dann würden die in der FOTA vertretenen Hersteller wahrscheinlich ihr eigenes Ding durchziehen und eine Piratenserie gründen.
"Wir müssten diese Situation innerhalb der FOTA diskutieren", meinte Domenicali in einem zurückhaltenden Tonfall, doch Howett redete nicht lange um den heißen Brei herum: "Wir bluffen nicht, aber wir möchten das auch nicht als Drohung verstanden wissen. Wir haben verschiedene Szenarien in der Schublade. Diese hängen von der Reaktion der FIA ab. Das Worst-Case-Szenario wäre unsere eigene Rennserie."
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