Vermutlich gibt es in jeder Wohnsiedlung einen Zeitgenossen, der morgens um sechs seinen alten Diesel anwirft und dann erst mal frühstücken geht. Wenn er eine halbe Stunde später wiederkommt, sind Motor und Auto schön warm. Und alle Nachbarn wach. Das ist natürlich verboten, wird aber nur mit zehn Euro geahndet – die Rache der Nachbarn fällt unter Umständen drastischer aus. Doch wozu sollte man dem Warmlaufen eines Motors überhaupt Aufmerksamkeit schenken? Glaubt man dem Motorenentwickler von Mercedes-Benz, Dr. Leopold Mikulic, vertragen moderne Motoren vom Start weg Vollgas. Wir raten dennoch zur Vorsicht: Der Motor und seine Innereien bestehen aus unterschiedlichen Materialien, die sich nach dem Anlassen unterschiedlich erwärmen und unterschiedlich ausdehnen. Dummerweise ist es jedoch so, dass der Kolben sich zuerst erwärmt. Umso schneller, je stärker aufs Gas getreten wird – und umso mehr dehnt er sich aus. Sein Zylinder jedoch, mit dem umgebenden Wassermantel, wird verhältnismäßig langsam warm. Das kann dazu führen, dass der Kolben nicht mehr in den Zylinder passt – er klemmt. Die dabei entstehenden Riefen in den Zylinderwänden finden sich oft schon bei neuen Importfahrzeugen, die wegen des Transports – rauf aufs Schiff, runter vom Schiff – bereits viele Kaltstarts und Kurzstrecken hinter sich haben. Um dabei ein Nasswerden der Zündkerzen zu vermeiden, geben die Fahrer gnadenlos Gas.

Zurückhaltung mit dem Gaspedal

Eine weitere neuralgische Stelle ist die Zylinderkopfdichtung. Der Kopf ist meistens aus Aluminium, wird schneller warm als der Motorblock aus Gusseisen (bei Alublöcken ist es weniger dramatisch). Dazwischen liegt die Zylinderkopfdichtung, welche die Relativbewegung zwischen den beiden großen Bauteilen ausgleichen muss. Und das auch bei Verbrennungsdrücken, die bald die 200-Bar-Grenze erreichen. Schon aus diesem Grund empfiehlt sich also etwas Zurückhaltung mit dem Gaspedal. Dann wäre da noch die Sache mit der Schmierung: Kaltes Öl ist zähflüssig, lässt sich nur widerwillig zu den Schmierstellen pumpen. Bis der letzte Ventilstößel oben im Zylinderkopf versorgt wird, kann es zehn Sekunden dauern, in denen die Gleitflächen trocken laufen. Bei den dünnen 0-W-30- oder 0-W-40-Ölen ist die Situation etwas besser, doch dünn wie Wasser sind auch sie bei Minusgraden nicht. Hinzu kommt, dass Motoröl seine optimalen Schmiereigenschaften erst ab etwa 80 Grad entfaltet.

Ein paar Sekunden Leerlauf, dann ganz normal losfahren

Doch wann die erreicht sind, darüber bleibt der Fahrer im Unklaren – wer hat schon ein Ölthermometer? Tragisch nur, dass die Öltemperatur der des Kühlwassers nachhinkt. Wenn das Wasserthermometer schon normale Werte anzeigt, kann das Öl noch eisig kalt sein. Etwa 20 Kilometer dauert es, bis auch das Schmiermittel seine Betriebstemperatur erreicht hat. Bei Fahrzeugen mit Öl-Wasser-Wärmetauscher (TDI etc.) geht es etwas schneller, bei älteren Modellen mit großem Ölvorrat – Alfa, Porsche, Diesel allgemein – kann es sein, dass sie kaum richtig warm werden.

Völlig egal ist es übrigens, ob die Heizung an oder aus ist – wir konnten bei Testfahrten keinen Unterschied feststellen. Doch wie sollte nun der schonende Kaltstart erfolgen? Warmlaufen im Stand scheidet aus, außerdem ist dann der Verschleiß der Nockenwelle am höchsten. Wir empfehlen stattdessen: Motor starten, aber nicht aufheulen lassen; ein paar Sekunden Leerlauf, in denen der Gurt angelegt wird, und dann ganz normal losfahren. Früh hochschalten, 2000 bis 2500/min sind für den morgenstarren Motor genug. Dann klappt's auch mit den Nachbarn.