Der Lamborghini Gallardo war scharf. Sein Nachfolger Huracán ist noch schärfer. Wir haben ihn gemessen und getestet – und den Wahnsinn in Worte gefasst.
Ein Modellwechselbei Lamborghini lässt uns immer in Schnappatmung verfallen, immerhin gibt es nur alle acht bis zehn Jahre ein neues Modell aus Sant' Agatha. Ob das mit dem Gallardo-Nachfolger namens Huracán auch wieder so ist? Wir machen den Selbstversuch.
Der kleinste Lambo ist in 2,9 Sekunden auf Tempo 100
Video: Lamborghini Huracán (2014)
Mit über 300 km/h auf der Autobahn
Allein die Werte des italienischen Supersportlers treiben schon mal den Puls nach oben. Der V10 wurde überarbeitet und leistet jetzt 610 PS. "Longitudinale posteriore" (LP), also hinten längs, steckt das Biest im Auto und tritt dem Fahrer gewaltig ins Kreuz. Das sequenzielle Getriebe, das Gallardo-Fahrer noch das Kopfnicken lehrte, ist einem siebenstufigen Doppelkupplungsgetriebe gewichen, das hier LDF (Lamborghini Doppia Frizione) heißt. Neu ist auch der Allradantrieb, der nicht wie noch beim Gallardo mit einer Visco-Kupplung arbeitet, sondern mit einer Lammellenkupplung. Blitzschnell und stufenlos werden so bis zu 50 Prozent der Antriebskraft nach vorn umgeleitet. Schluss mit der Theorie, wir machen jetzt Alarm. Die Anfahrdrehzahl bei etwa 4500 Touren hechelnd, rückt die Kupplung brutal ein, und der Huracán jagt bei vollständig deaktivierter Stabilitätskontrolle mit leichtem Schlupf an allen vier Rädern davon. In 2,9 Sekunden schießt er uns auf 100 km/h, nach 9,3 Sekunden liegt Tempo 200 an, danach erwartet der verblüffte Pilot den Take-off.
Selbst bei Highspeed kommt im Huracán keine Unruhe auf
Liegt wie ein Brett: Das Fahrwerk hält den Wagen in der Nulllage und bietet intensiven Straßenkontakt.
Verglichen mit dem Vorgänger, entwickelt der Motor seine Kraft nicht mehr so linear, dafür umso eindrucksvoller. Ab 4000 Touren spürt man einen erhöhten Druck, bis dann ab etwa 6000 Umdrehungen ein weiterer Kick den Lambo voranstürmen lässt, als hätte er einen Nachbrenner gezündet. Sagenhaft! Andersherum geht es genauso beeindruckend. Dank der serienmäßigen Keramikbremsen und der extrem griffigen Reifen vom Typ Pirelli PZero Trofeo R (ab Jahresende als Option) steht der Lambo aus 100 km/h schon nach 30,5 Metern. Mit dem Serien-Stahlfahrwerk (gegen Aufpreis gibt es ein aktives Magnetic-Ride-Fahrwerk) liegt der Huracán auf öffentlichen Straßen etwas unruhig und gibt Bodenunebenheiten ziemlich ungefiltert weiter. Dafür hält es die Karosserie aber auch absolut unnachgiebig in der Nulllage und bietet intensiven Fahrbahnkontakt. Auch die Lenkung beherrscht den Spagat zwischen direktem Ansprechen und souveränem Verhalten ohne jede Nervosität – selbst bei Highspeed kommt keine Unruhe auf.
Lässige Drifts gelingen in dem Allradler nur bei Nässe
Querverkehr annähernd unmöglich: Der Allradantrieb verhindert ein ausbrechendes Heck sehr wirksam.
Auf der Rennstrecke scheint der Lambo die Ideallinie im Bordcomputer voreingestellt zu haben. Die Vorderachse verbeißt sich in bester Allradmanier fest in den Asphalt, untersteuert wird erst gaaanz spät. Gaswegnehmen oder gezieltes Anbremsen vor der Kurve löst zwar einen hilfreichen Lastwechsel aus – lässige Drifts gelingen aber nur bei Nässe. Wir erwähnen jetzt nur noch der Vollständigkeit halber, dass der Huracán nicht besonders alltagstauglich ist. Er ist extrem unübersichtlich, hat nur einen Winz-Kofferraum, es stören Dinge wie der seltsame Blinkerschalter im Lenkrad. Doch genug davon, darüber sollen sich die Menschenärgern, die ihren Alltag tatsächlich mit einem Huracán verbringen. Ach ja, knapp über 200.000 Euro kostet der Spaß mindestens. Auch da bekommen wir Schnappatmung.
Lamborghini hat in seiner bewegten Geschichte schon viele Traumwagen gebaut – aber so gut wie der Huracán war noch keiner. Rassiges Design, aberwitzige Beschleunigung, unnachahmlicher V10-Sound, präzises Handling – der Huracán begeistert als Supersportwagen auf ganzer Linie. Dass er für den Alltag nicht die Idealbesetzung darstellt, wird potenzielle Käufer vermutlich wenig interessieren.