Pössl-Chef: "Wir brauchen Mitarbeiter und Material"
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Es fehlen Chassis, Kabel und sogar Wasserhähne: Hier erklärt der Pössl-Chef, warum ihm Lieferengpässe schlaflose Nächte bereiten.
Bild: Holger Karkheck
Alle welt redet vom Chipmangel. Wenn das mal alles wäre! Den Reisemobil-Herstellern fehlen inzwischen viel profanere Bauteile. "Jede Woche ist es etwas anderes", sagt Markus Wahl. Der 57-Jährige ist Chef von Pössl, ein gestandener Manager mit jahrzehntelanger Erfahrung. Aber so was wie derzeit hat auch er noch nicht erlebt.
"Mal haben wir keine Wasserhähne, mal keine Elektrokabel, mal fehlen Schaumstoffe für die Sitzpolster, mal Standheizungen. Wir müssen jede Woche andere Löcher stopfen." (Das sind die neuen Camper 2022)
Die Situation bereite ihm durchaus schlaflose Nächte, sagt Wahl. Inzwischen klapperten Kollegen die Zulieferer persönlich ab, um an Material zu kommen. Ähnlich ergeht es allen Herstellern. Da ruft der Geschäftsführer eines norddeutschen Mitbewerbers inzwischen persönlich beim Zulieferer an, um noch ein paar Meter Kabel zu ergattern.
Ein fehlender Wasserhahn, sagt Wahl, ließe sich vielleicht noch nachträglich mit viel Aufwand einbauen. "Aber wenn eine Standheizung oder ein Fenster fehlen, können wir das Auto nicht weiterbauen." Größtes Problem sind aber auch für die Reisemobil-Hersteller fehlende Chassis – vor allem Fiat Ducato und seine Brüder Citroën Jumper oder Peugeot Boxer.
Rund 25 Millionen Euro hat Pössl am Standort Dachwig bei Erfurt investiert. Gebaut werden hier Vanster und Summit.
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Camper-Branche gehört zu den Gewinnern
Wie lange die Krise noch andauert? "Das kann keiner vorhersehen. Im vergangenen Frühjahr dachten alle, dass sich im Herbst die Situation entspannen würde. Das war nicht der Fall. Im Gegenteil, es hat sich noch verschärft."
Und ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo durch Corona selbst Menschen zu Campern geworden sind, die bislang ausschließlich im Fünf-Sterne-All-inclusive-Club geurlaubt haben. Mit anderen Worten: Die Branche gehört zu den wenigen Gewinnern der Krise. Eigentlich. So wurden 2020 rund 78.000 Reisemobile neu zugelassen (+42 %), und in den ersten zehn Monaten 2021 waren es auch bereits 73.554 Einheiten (+7,3 % zum Vorjahreszeitraum).
Aber vor allem die Zahlen der jüngsten Vergangenheit sahen weniger rosig aus: So wurden im August 18,2 Prozent weniger Reisemobile verkauft als im Vorjahresmonat, im September betrug das Minus 10,2 Prozent. Immerhin, der Oktober schloss wieder mit einem kleinen Plus von 2,1 Prozent ab.
Vier Roboter schneiden aus den Kastenwagen die Löcher etwa für Fenster und WC-Kassetten.
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Pössl will der starken Nachfrage durch ein neues Werk Rechnung tragen. Ende 2019 hat das Familienunternehmen aus Ainring in Oberbayern eine ehemalige Fruchtsaft-Fabrik in Dachwig bei Erfurt übernommen, umgebaut und die ersten 100 Mitarbeiter eingestellt. "Rund 25 Millionen Euro haben wir am Standort investiert", sagt Geschäftsführer Wahl. "Im September 2019 haben wir den Kaufvertrag unterschrieben, im Februar 2020 bereits die ersten Autos hier gebaut."
Automatisierung wie in der Automobilindustrie
Besonders stolz ist er auf eine Halle, in der Roboter, wie man sie sonst aus der Automobilindustrie kennt, die Öffnungen für Fenster und etwa die WC-Kassette ins Blech schneiden. So exakt, wie es niemand von Hand könnte.
Mit einigen Dutzend Exemplaren des Summit 640 startete die Fabrik. "Jetzt produzieren wir hier hauptsächlich den neuen Summit Shine 540 und den Vanster", sagt Wahl. Ein klassischer Kastenwagen durchläuft in den weiträumigen Hallen rund 40 Stationen, bis er fertig ist. Fußboden verkleben, Gurtbock für die Sitzbank verschrauben, Wände isolieren, Möbel einbauen, das Bad errichten. Alles Handarbeit, und alles vielfach erprobt.
Möbelbau und Folierung: Rund 100 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat das Werk in Dachwig.
Bild: Holger Karkheck
Peter Pössl hatte bereits Ende der 1980er-Jahre die Idee, Handwerkerautos zu Wohnmobilen auszubauen. Mit der Übernahme 2002 durch die Glück-Gruppe, die auch ein Kieswerk betreibt, wuchs das Unternehmen stetig. Lieferte Pössl kurz nach der Übernahme noch 800 Fahrzeuge aus, waren es im vergangenen Jahr rund 15.000! Die Bayern sind damit Marktführer bei Urlaubs-Transportern.
Zunächst ließ Pössl die Fahrzeuge ausschließlich im Auftrag fertigen, etwas bei den Kollegen von Dethleffs in Isny im Allgäu. Inzwischen produzieren die Kastenwagen-Pioniere auch selbst. In Vielbrunn im Odenwald wurde 2017 ein Werk eröffnet, in Toszeg bei Budapest (Ungarn) entsteht die Tochtermarke Clever Vans. Und nun kommt also noch Dachwig in Thüringen hinzu.
Kastenwagen sind lukratives Geschäft
Beeindruckend ist der Automatisierungsgrad vor allem in der Schreinerei. Vollautomatisch werden Holzplatten zugeschnitten, erhalten Bretter ihre Ausschnitte für Klappen.
Inzwischen hat auch die Konkurrenz begriffen, dass Kastenwagen ein lukratives Geschäft sind. Kaum ein Hersteller, der die praktischen Transporter nicht im Programm hat. Der Marktanteil liegt insgesamt bald bei 60 Prozent: "Da haben uns alle unterschätzt", sagt Wahl. Was bedeutet die zunehmende Konkurrenz für Pössl? Kommen von dort demnächst im Gegenzug Teilintegrierte? "Schuster, bleib bei deinen Leisten! Wir sind in der Blechfraktion, ich glaube nicht, dass uns die Kunden etwas anderes abnehmen würden", sagt Wahl und lacht.
Alle gebauten Camper sind bereits verkauft.
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Über einen weiteren Mangel möchte der Manager dann auch noch sprechen: den an Stellplätzen. "Es wäre schön, wenn jetzt auch noch die Infrastruktur ausgebaut würde. Wenn etwa größere Städte attraktive Stellplätze schafften – und nicht irgendwo hinterm Schwimmbad zwei, drei Stellflächen ausweisen."
Denn Reisemobilisten seien kein Ärgernis, sondern ein Gewinn: "Die Kommunen sollten erkennen, dass die Caravaner Geld in die Städte und Gemeinden bringen, das Stadtleben bereichern – und sie nicht nur als Last sehen. Gerade kleinere Städte haben bereits erkannt, dass Stellplätze einen Mehrwert bieten und den Ort attraktiver machen."
Tischler oder Wasserhahn übrig?
Markus Wahl hat an diesem Tag seinen Stellplatz schon gefunden – er kommt regelmäßig in seinem Summit Prime nach Dachwig und übernachtet vor dem Werkstor. Ohne Strom- und Wasseranschluss. "Ich dusche im Auto! Wissen Sie, entweder ich bin mit Leidenschaft dabei oder nicht."
Im kommenden Jahr sollen hier in Dachwig rund 3000 Kastenwagen und 1500, vielleicht auch 1800 Vanster aus dem großen Tor rollen. Allerdings fehlen aktuell noch 100 Kolleginnen und Kollegen. Wer also einen Tischler oder einen Wasserhahn übrig hat – gerne bei Herrn Wahl melden.
Zur Person: Markus Wahl
Wenn Markus Wahl im Werk zu Gast ist, übernachtet er in seinem eigenen Pössl Summit 640.
Bild: Holger Karkheck
Wahl ist Geschäftsführer der Pössl Freizeit und Sport GmbH, des Baustoffhändlers Glück und des Reisemobil-Händlers Der Freistaat. Er lebt in München und fährt zu Geschäftsterminen mit seinem schwarzen Pössl Summit 640 Prime. Wir trafen ihn am Pössl-Standort Dachwig, wo er regelmäßig auf dem Parkplatz vor dem Werkstor übernachtet.