Deutschland diskutiert die neue Straßenverkehrsordnung (StVO). Und ist wütend! Im Bundesrat war die von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) initiierte Änderungsnovelle noch mal verschärft worden. Eigentlich ging es darum, die Rechte von Radfahrern zu stärken, die lästigen Zweite-Reihe- und Radweg-Zuparker sowie die Rettungsgassen-Verhinderer zu bestrafen. Wer dachte, die Erhöhung des Falschpark-Knöllchens von 15 auf 25 Euro wäre das Schlimmste, was dabei rauskam, musste lernen: Es geht noch härter!
Künftig drohen ab 21 km/h zu viel innerorts und ab 26 km/h außerorts nicht nur ein happiges Bußgeld und ein Punkt in Flensburg, sondern auch ein Fahrverbot von einem Monat. Im Klartext: Lappen weg! Nach heftigen Protesten gibt es zwar schon wieder neue Änderungspläne, um die härtesten Strafen rückgängig zu machen. Doch wann und wie genau diese umgesetzt werden, ist noch offen.

30 Prozent mehr Gerichtsverfahren erwartet

StVO ist ein Führerschein-Killer
Verkehrsrechtsanwalt Uwe Lenhart erwartet eine Prozesswelle im Kampf von Autofahrern um ihren Führerschein.
Beispiel Hamburg: Dort wurde zwischen dem 7. und 9. Mai 2020 an mehreren Orten die Geschwindigkeit kontrolliert. Insgesamt waren 3849 Fahrzeuge zu schnell, 500 Fahrzeugführer erwartet laut Aussage der Polizei ein Fahrverbot. Die Folge der StVO-Verschärfung: nicht nur Wut, sondern auch mehr Prozesse! Der Verkehrsrechtsanwalt Uwe Lenhart aus Frankfurt/Main sagt: "Es liegt auf der Hand, dass Betroffene, die bisher 80 Euro zahlten und einen Punkt akzeptierten, nunmehr wegen des Fahrverbots gezwungen sind, Einsprüche einzulegen und bis zur letzten Instanz um den Wegfall des Fahrverbots kämpfen müssen. Wir rechnen mit einem Anstieg der gerichtlichen Bußgeldverfahren um bis zu 30 Prozent."

Zwei Millionen Führerscheine jährlich in Gefahr?

Dr. Michael Haberland, Präsident von Mobil in Deutschland e.V., gegenüber AUTO BILD: "Bereits bei geringen Geschwindigkeitsübertretungen droht der Entzug des Führerscheins. Das könnte zukünftig jedes Jahr in Deutschland bis zu zwei Millionen Führerscheine kosten." Deutschland habe die wenigsten Verkehrstoten, die besten Straßen, die besten Autos und die besten Autofahrer. "Der Bundesrat, der hier in erster Linie für diese Verschärfungen verantwortlich ist, ist völlig übers Ziel hinausgeschossen. Das muss rückgängig gemacht werden." 2018 kassierten knapp 500.000 Autofahrer ein Fahrverbot. Es gab 3,12 Millionen Geschwindigkeitsverstöße (davon 77 Prozent von männlichen Autofahrern). Elf Millionen Deutsche sind im Flensburger Punkteregister eingetragen.

Willkürliche Tempolimits

Manche werden sagen: Ist doch gut, anders lernen es die Raser nicht. Aber geht es hier ums Rasen? Jeder von uns kennt Straßen, auf denen fröhlich zwischen 30, 50, 60, 70, 80, 100 und 120 km/h hin- und hergeschildert wird. Rechtsanwalt Lenhart: "Warum soll die StVO-Novelle die Mobilität gerechter machen, wie Verkehrsminister Scheuer sagt, wenn nunmehr der ohnehin gebeutelte Autofahrer bei oftmals völlig willkürlichen Tempolimits wegen Luftreinhaltung oder vergessenen Aufhebungen nach Baustellen nachts auf der Autobahn bereits ab 26 km/h Überschreitung ein Fahrverbot kassiert?"

Von

Tom Drechsler