Ferry Porsche fuhr einen Dienstwagen-Turbo

"Der Turbo", sagt Klaus Bischof andächtig, "war immer was ganz Besonderes." Porsches Museumschef steht vor Werk 1 in Zuffenhausen und blickt auf den grünen Elfer mit den dicken Heckkotflügeln. "Der gehörte Ferry, dem Chef." Stille. Noch mehr Andacht. Noch mehr Ehrfurcht. Der ehemalige Dienstwagen von Markengründer Ferdinand Anton Ernst Porsche ist Baujahr 1976, sieht aber aus, als sei er gerade erst vom Band gelaufen. Sein Tacho zeigt nur 13.402 Kilometer – ein paar Mal vom schwäbischen Firmensitz in seine österreichische Heimat und zurück. Wenn Porsche eine solche Pretiose aus den heiligen Hallen holt, muß es einen wichtigen Anlaß dafür geben.

Der Grund parkt direkt daneben: ein blauer 911 Turbo der aktuellen Baureihe 997, brandneu, ab Juni 2006 beim Händler. Zwischen beiden Elfern liegen 30 Jahre, trotzdem sehen sie sich viel ähnlicher, als ihr Altersunterschied vermuten läßt. Eher scheinen sie 15, vielleicht 20 Jahre zu trennen. Aber nie und nimmer drei Jahrzehnte. Ob Dachlinie, Türen oder Heckdeckel – die formale Verwandtschaft ist verblüffend und beweist, wie fortschrittlich der Ur-Turbo schon Mitte der Siebziger war. Sein Enkel ist kein Retromodell, sondern die – je nach Zählweise – siebte Fortsetzung einer Sportwagen-Mytholgie.

Folge eins fällt ins ölkrisengeschüttelte Jahr 1974. Trotz Rezession präsentiert Porsche auf dem Pariser Salon den ersten 911 Turbo. Die rennsporterprobte Technik ist eine Sensation. Bei Ottomotoren gab es Abgasaufladung in Europa bis dato nur vom Ford-Tuner Michael May für den Capri sowie bei BMW den 2002 Turbo. Obwohl er aussieht wie ein typischer Elfer, ist er unter dem Blech so stark modifiziert, daß er einen eigenen Zahlencode bekam: Porsche 930. Mittels Turbine steigt die Leistung des Boxers gegenüber dem stärksten 911 (Carerra 2.7) von 210 auf 260 PS – genug für Tempo 250 und damit der Anschluß an die Italo-Exoten von Ferrari und Lamborghini. Mit großem Heckflügel und breiten Backen konnte er auch stilistisch gut mithalten.

Fahrverhalten ohne Stammtisch-Dramatik

32 Jahre nach seinem Debüt verleiht Turbo Nummer eins noch immer Flügel. Mit kehligem Räuspern springt er an und fällt in einen bollernden Leerlauf. Überraschend gleichmäßig schiebt er los. Von wegen Turbo alter Schule: Da ist kein Loch und keine PS-Explosion. Die Leistungsentfaltung ist selbst aus heutiger Sicht kultiviert und frei von jener Stammtisch-Dramatik, die den 911 Turbo der frühen Jahre gern als unfahrbar und lebensgefährlich brandmarkte. Zumindest solange es geradeaus geht. Auf kurviger Landstraße jedoch fordert er eine kundige Hand.

Im Blickfeld die beiden Kotflügel wie Torpedorohre, unter denen die Straße Limbo tanzt. Daß der Ur-Turbo dabei nie wirklich geradeaus zu fahren scheint, erhöht das Fahrvergnügen. Echt tierisch: Mal schnüffelt er wie ein Hund am rechten Fahrbahnrand, dann tritt er plötzlich wie ein Pferd mit dem Hinterlauf und schielt auf die Gegenspur. Je nach Gaspedalstellung schiebt und drückt er mal nach rechts oder links. Richtig tückisch wird er auf nasser Fahrbahn sowie bei falscher Handhabung.

Besonders im Drehzahlbereich um 4000/min ist Vorsicht geboten. Dann liegt der volle Ladedruck von 0,8 Bar an. Heißt: 343 Newtonmeter fallen über die Hinterachse her, und die gutmütige Untersteuertendenz des Porsche kann ins schlagartige Übersteuern kippen. Vor Drehern oder dem Abflug in die Botanik schützen nur blitzartige, mutige Lenkreaktionen. Der 930 zählte aber nicht nur zu den schnellsten Sportautos der Welt, sondern auch zu den luxuriösesten. Selbst heizbare Heck- und Frontscheibe sowie Ganzleder-Ausstattung gehörten zum Serienumfang. Für den Preis von 65.000 Mark hätte man allerdings auch eine Eigentumswohnung in guter Lage kaufen können.

Das teuerste Modell im Porsche-Portfolio

Daran hat sich wenig geändert. Der aktuelle 911 Turbo kostet 133.603 Euro, mit ein paar Extras schnell 150.000. Allein die Keramik-Bremse berechnet Porsche mit knapp 8500 Euro. Wie damals ist der aufgeladene Elfer das teuerste Modell in der Porsche-Preisliste – vom auslaufenden Carrera GT mal abgesehen. Mit dem Einsteigen verschwimmen die gemeinsamen Gene zunehmend. Die Sitzpolster im Neu-Turbo sind spürbar straffer, der Seitenhalt besser, die Übersicht indes leider schlechter. Vorn fehlt eine wichtige Orientierungshilfe: keine sichtbaren Scheinwerfergehäuse mehr, die als Peilkanten bis 1993 die Elfer-Front markant dominierten.

Im direkten Vergleich Alt gegen Neu vermittelt der 2006er-Turbo festungsartige Geborgenheit. Die Vielzahl von Schaltern und Knöpfen wirkt verwirrend, an Fahrfaszination hat der 911 Turbo aber nichts eingebüßt. Es ist allerdings eine andere Faszination, eine, die gespeist wird aus der perfekten Balance zwischen Antrieb, Lenkung und elektronischem Aktiv-Fahrwerk. Obwohl heute 480 PS den 911 beschleunigen, hat man nie das Gefühl, dieses Auto sei übermotorisiert.

Ganz im Gegenteil: Die Kraftentfaltung setzt schon bei 2000/min vehement ein und drückt die Insassen gewaltig in die Sitze, doch sie wirkt nicht unbeherrschbar. Grund: Seit 1995 haben Turbo-Elfer Allradantrieb und Biturboaufladung, was die Berechenbarkeit nicht nur in kritischen Fahrsituationen verbessert. Der neue 911 Turbo ist ein Supersportwagen, der wie einst mit Acht- oder Zwölfzylinder-Boliden aus Italien konkurriert. Eine Null-auf-100-Zeit von 3,7 Sekunden und 310 km/h Spitze sind schlichtweg atemberaubend, die Sitzposition perfekt und das Lenkgefühl erste Sahne. Wer den Turbo beschreibt, verfeuert die Superlative so schnell wie sein 3,6-Liter-Motor teures Super plus.

Technische Daten, Fahrleistungen und Preise

Mit der Tiptronic S ist er übrigens schneller als mit Schaltgetriebe. Zu empfehlen ist sie trotzdem nicht. Der Wandlerautomat ist gefühlsmäßig immer noch ein Spaßverderber. Auch der Motorsound verdient Kritik. Da die Lader für die beiden wassergekühlten Boxerbänke wie Schalldämpfer wirken, klingt der Turbo weniger rassig als ein normaler Carrera, vom 911 GT3 ganz zu schweigen. Trotz dieser Einschränkungen: Gestern wie heute ist der 911 Turbo Innovationsführer in der Autoindustrie. Denn erstmals arbeiten in einem Benziner zwei Turbos mit variabler Turbinengeometrie (VTG), die gut ansprechen und bei hohen Drehzahlen trotzdem wenig Gegendruck erzeugen. Deshalb gilt noch immer: Der Turbo ist und bleibt etwas ganz Besonderes.

Technische Daten Porsche Turbo (1976): 6-Zylinder-Boxer • Turbolader • 2993 cm³ • 191 kW (260 PS) bei 5500/ min • 343 Nm bei 4000/min • Verdichtung 6,5:1 • Viergang-Getriebe • Reifen vorn 205/50ZR16, hinten 225/55ZR16 (Serie 15 Zoll)• Leergewicht 1140 kg • Leistungsgewicht 4,4 kg/PS • Spitze: über 250 km/h • 0–100 km/h in 5,5 s • Verbrauch 10,8 l S/100 km • Preis: 65.000 Mark

Technische Daten Porsche Turbo (2006): 6-Zylinder-Boxer • zwei Turbolader • 3600 cm³ • 353 kW (480 PS) bei 6000/min • Drehmoment 620 Nm bei 1950/min • Verdichtung 9:1 • Fünf-Stufen-Tiptronic • Reifen vorn 235/35 ZR19, hinten305/30 ZR19 • Leergewicht 1620 kg • Leistungsgewicht 3,4 kg/PS • Spitze 310 km/h • 0–100 km/h in 3,7 s • Verbrauch 13,6 l SP/100 km • Preis: 133.603 Euro