StVO-Novelle ungültig: Fahrverbote, Bußgeld, Chaos
StVO-Rückzieher: So bekommen Sie Ihren Führerschein zurück!

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Die neue StVO ist ungültig, Zehntausende Fahrverbote werden rückgängig gemacht. Was kann man tun, damit der Führerschein schnell wieder in der Tasche steckt?
Am 28. April 2020 trat die neue StVO in Kraft, mit teilweise drastischen Verschärfungen. Wer zum Beispiel mit mehr als 21 km/h innerhalb einer geschlossenen Ortschaft zu schnell fuhr, verlor für einen Monat den Führerschein. Die neue Regelung hatte Folgen: Allein bis Anfang Juli zählte das Kraftfahrt-Bundesamt nur aufgrund dieser Verschärfung bundesweit 11.200 zusätzliche Fahrverbote! Die Gesamtzahl der Verfahren ist nicht bekannt, der ADAC schätzt sie auf über 100.000.Doch jetzt ist alles nichtig: Aufgrund eines Formfehlers ist die neue StVO unwirksam. Seit Anfang Juli wird für alle laufenden Verfahren wieder die alte StVO angewandt. Wichtig: Der Formfehler betrifft die gesamte Gesetzesnovelle, also sind sämtliche Verschärfungen und auch die neuen Regeln (wie zum Beispiel das Abbiegen eines Lkw nur mit Schritttempo) rückwirkend ungültig. Es gibt keinen Stichtag, ab dem das alte Gesetz wieder gilt – daher sind auch laufende Verfahren, die vor dem Bekanntwerden des Formfehlers entstanden, nichtig. (Bußgeld-Ratgeber: So legen Sie Einspruch ein!)
Viele Menschen sind verunsichert

Eine beschleunigte Rückgabe des eingezogenen Führerscheins ist schwierig zu erreichen.
StVO-Rückzieher: Das können Betroffene tun
Was können Autofahrer jetzt tun?
Prüfen Sie, ob Ihr Tatbestand eventuell in der alten StVO noch gar nicht existiert (zum Beispiel das Halten auf einem Radschutzstreifen). Ist das der Fall, legen Sie Einspruch ein und fordern die Einstellung des Verfahrens – mit Hinweis auf die Unwirksamkeit der StVO-Novelle. Falls Ihr Tatbestand verschärft wurde, weisen Sie im Anhörungsbogen darauf hin, dass die alte StVO zugrunde liegen sollte. Haben Sie schon einen Bescheid erhalten und die Einspruchsfrist (14 Tage) läuft noch, legen Sie Einspruch ein und fordern die Anpassung des Bescheids.
Sollten Sie einen Bescheid erhalten haben und ein Fahrverbot droht (aber nur nach neuer StVO), zögern Sie das Verfahren durch Einspruch hinaus, damit das Fahrverbot nicht angeordnet wird. Der Verkehrsjurist Uwe Lenhart aus Frankfurt empfiehlt: "Betroffene Autofahrer müssen verhindern, dass ein Fall rechtskräftig wird." Denn ist ein Fall rechtskräftig, hilft es nicht, den Bescheid einfach zu ignorieren. Lenhart: "Unwirksamkeit macht Bescheide leider nicht automatisch unwirksam."
Wie bekomme ich den Führerschein zurück?
Viele Bundesländer haben bereits angekündigt, die unrechtmäßig verhängten Fahrverbote selbstständig rückgängig zu machen. Dann wird der Führerschein von der Behörde zurückgeschickt. Wie schnell das geschieht, hängt von der jeweiligen Behörde ab – aufgrund der Corona-Lage und der vielen Verfahren dürfte mit erheblichen Verzögerungen zu rechnen sein. Eine Beschleunigung des Verfahrens ist schwierig. "Wenn der Bußgeldbescheid bereits rechtskräftig und der Führerschein schon abgegeben ist, kann eine Rückgabe auf Antrag nur aufgrund besonderer persönlicher Härte erfolgen", so ein ADAC-Jurist. Neben dem Antrag, dem sogenannten Gnadengesuch, setzt das eine ausführliche Begründung voraus. Bis die Behörde entscheidet, sei das Fahrverbot meist abgelaufen. Insofern ist das "eher eine theoretische Möglichkeit".
Wie verhindere ich noch ein Fahrverbot?
Als Ersttäter (das werden die meisten Betroffenen sein), der die vergangenen zwei Jahre kein Fahrverbot erhielt, hat man die Möglichkeit, das Datum des Fahrverbots frei zu bestimmen. Bedingung: Es beginnt spätestens vier Monate nach Rechtskraft. Wenn das Fahrverbot unmittelbar bevorsteht: Beantragen Sie die "Aussetzung der Vollstreckung" unter Hinweis auf die Gesetzeslage.
Bekomme ich mein Bußgeld zurück?
Die StVO-Verschärfung betraf auch viele Bußgelder: So erhöht sich das Bußgeld bei Parken auf einer Busspur von 15 Euro drastisch auf 55 Euro. Wie bekommt man das Geld zurück, wenn man es bereits gezahlt hat? Mehrere Bundesländer haben bereits erklärt, dass es eine Rückerstattung nicht geben wird. "Das ist unfair, rechtlich aber nicht zu beanstanden", sagt Uwe Lenhart. Ist ein Bescheid rechtskräftig (Verwarnungsgeld wurde bereits bezahlt oder gegen einen Bußgeldbescheid wurde nicht innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung Einspruch eingelegt), könne das Verfahren formell nur durch eine Wiederaufnahme neu aufgerollt werden. Eine Wiederaufnahme wäre aber unzulässig, erklärt der Jurist: Der Wiederaufnahmeantrag kann auf Rechtstatsachen nicht gestützt werden, insbesondere nicht auf den Wegfall oder die Änderung des angewendeten Gesetzes (wie im konkreten Fall).
Kann ich trotzdem etwas erreichen?
Lenhart empfiehlt, zu viel gezahltes Bußgeld von der Bußgeldstelle zurückzufordern, dort "Druck zu machen": zunächst unter Verweis auf die Nichtigkeit der Neuregelung um Rückerstattung bitten, dann eine Zahlungsfrist setzen und mit einem Anwalt drohen. Lenhart: "Von der gerichtlichen Geltendmachung würde ich aber bereits aus Kostengründen – der Betroffene muss Gerichts- und Anwaltskosten zahlen – absehen." Wenn die Vollstreckung noch bevorsteht: Zahlen Sie nur die Bußgeldsumme, die nach der aktuellen – gültigen – StVO verhängt würde. Teilen Sie dies schriftlich der Bußgeldstelle mit. Eventuell ist auch bei Bußgeldern ein Gnadengesuch möglich, teilt das Landesinnenministerium von Niedersachsen mit.
Was passiert mit meinen KBA-Punkten?
In einigen Fällen – zum Beispiel unberechtigt in eine Rettungsgasse fahren – sah die neue StVO erstmals Strafpunkte im Verkehrszentralregister des KBA vor. Diese Punkte werden nach Meldung der Verkehrsbehörden automatisch wieder gelöscht. Auch das wird einige Zeit benötigen. Erhalten Sie eine Meldung, dass ihr Punktestand eine Maßnahme (Geldbuße) erfordert oder sogar ein Fahrverbot droht, sollten Sie bei der Führerscheinstelle auf die bevorstehende Löschung hinweisen. Anwalt Lenhart empfiehlt: "Am besten dort anrufen und um Aufschiebung bitten." Möglicherweise wird man einen schriftlichen Nachweis verlangen.
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