Auf der ganzen Welt räumen Mercedes-Diesel Preise ab. "2007 World Green Car" in den USA, "Engine of the Year" in Japan, "Technologiepreis 2007" in China – um nur einige zu nennen. Nur in Deutschland wird gemeckert, da gilt den Grünen nur der Hybridantrieb als Lösung aller Abgasprobleme. Dabei ist der Diesel gar nicht so schlecht. Er verbraucht extrem wenig und spart so auch am CO2, nur seine Abgase sind giftiger als beim Benziner. Und genau deshalb macht Mercedes jetzt Blau. Konkret: Mit Bluetec gehen sie den gefährlichen Stickoxiden an den Kragen. Dabei werden – vereinfacht gesagt – die bereits vorgereinigten Abgase mit Hilfe von Ammoniak im nachgeschalteten Katalysator in unschädlichen Stickstoff und Wasser umgewandelt. In den USA wird der Sauberkünstler schon seit Ende letzten Jahres als E 320 verkauft, bei uns heißt er (etwas ehrlicher) E 300, denn unter der Haube sitzt wie beim 320 ein V6-Diesel mit 2987 Kubikzentimeter Hubraum.

Einzig eine kleine Plakette am Heck outet den E 300 als Öko

Am Schriftzug sollt ihr ihn erkennen. Am Heck legt der E 300 sein grün-blaues Bekenntnis ab.
Ab Dezember sollen die ersten E 300 Bluetec bei den deutschen Händlern stehen. Ich durfte exklusiv den ersten Testwagen fahren und ging natürlich gleich auf die Suche nach den besonderen Kennzeichen. Also erst mal außen geschaut. Aha, auf dem Kofferdeckel klebt links schlicht und bescheiden ein verchromtes "E 300" und rechts in gleicher Größe "Bluetec". Sonst deutet absolut nichts auf die neue Abgasreinigung hin. Weiter gesucht im Innenraum: Fehlanzeige. Instrumente, Bedienhebel - nichts unterscheidet ihn von einem "normalen" E 320 CDI, der natürlich weiterhin im Modellprogramm bleibt. Nun der Blick unter die Haube. Alles wie gehabt, eine große Plastikplatte tarnt die Technik. Aber darunter ist auch alles gleich. Der NOx-(Stickoxid-)Speicherkat könnte die neue Supertechnik verraten, doch er entzieht sich den Blicken des Betrachters.
Also hurtig das Kraftwerk angeworfen. Der V6 brummelt verhalten, nur noch spitze Ohren erkennen am Verbrennungsgeräusch Rudolf Diesels Erfindung. Kaum gebe ich Gas, saugt eine vorzügliche Dämmung allen Lärm auf. Die Gedanken schalten zurück zum ersten Mercedes 300 D. Welch ein Fortschritt! Der Dreiliter-Fünfzylinder im W 123 selig, brachte es vor nunmehr 31 Jahren auf atemberaubende 80 PS. Die reichten für knapp 150 Sachen und dürsteten im Mittel nach zwölf Liter Diesel. Jetzt habe ich im E 300 satte 211 PS unter der Haube. Damals vibrierten und dröhnten die Motoren, ihre Dieselfahnen wehten schwarz aus dem Endrohr. Heute stinken nach dem Tanken noch nicht einmal mehr die Hände. Ich geb' Gas, ich will Spaß: In 7,8 Sekunden steht der Tacho auf 100, und erst bei 244 km/h müsste Bluetec seinen "normalen" Bruder vorbeiziehen lassen. Denn der 320 CDI schafft 250 km/h, ist von null bis 100 ganze 0,2 Sekunden schneller.
Spannend wird es beim Verbrauch: Im Test hat der 320 bei uns zuletzt 8,1 Liter konsumiert, beim Bluetec sind es jetzt 8,8 Liter pro 100 Kilometer. Aber das ist noch nicht die ganze Wahrheit. Denn unser Testwagen ist ein Vorserien-Exemplar mit amerikanischer Abstimmung. Für Deutschland bekommt er eine längere Hinterachsübersetzung. Damit soll der saubere Diesel den ohnehin schon guten Wert des 320 CDI (NOx = 0,267g/km) weiter unterbieten. Wenn es also nur minimale Unterschiede zwischen E 300 und E 320 gibt, was passierte dann mit dem V6 bei seiner Wandlung zum Bluetec-Aggregat? Gerhard Doll, Motorenentwickler bei Mercedes, erklärt: "Der Motor wurde neu abgestimmt. Andere Injektoren, kleinere Düsen und geringere Verdichtung sollen bereits das Entstehen von Stickoxid verringern, kosten etwas Leistung." Statt 224 PS im E 320 bringt es der E 300 auf 211 PS, also ganze 13 PS weniger, die ich nicht wirklich vermisse.

Bluetec ist nur mit entschwefeltem Diesel optimal sauber

Steht kein entschwefelter Diesel zur Verfügung,  sollten Bluetec-Fahrer nur Premiumdiesel tanken.
Wichtiger ist momentan noch der Kraftstoff. Bluetec ist nur dann optimal sauber, wenn vorn entschwefelter Diesel eingespritzt wird. Außer bei uns sprudelt der verlässlich erst in Skandinavien, den Beneluxstaaten, Polen, der Schweiz, Österreich, Ungarn. In allen anderen Ländern soll er bis 2009 eingeführt werden. Bis dahin sollten Bluetec-Fahrer in kritischen Gebieten nur Premiumdiesel (V-Power/Ultimate) tanken. Sollten auch die teuren Sorten mal nicht verfügbar sein, hat Gerhard Doll Trost parat: "Das System regeneriert sich auch dann, wenn ein- bis zweimal stärker verschwefelter Diesel getankt wurde." Bei meinen Testfahrten schärfte ich alle Sinne. Das Radio blieb aus, die Siebenstufen-Automatik wurde mit sensiblem Gasfuß ruhiggestellt. Ich wollte doch den Moment erwischen, wo sich die Speicherkats der Stickoxide entledigen. Ob ich das irgendwie bemerken würde?
Wie bei allen Abgasreinigern war nichts zu spüren. Kein Wunder, alle ein bis zwei Minuten schaltet die Einspritzung für drei bis fünf Sekunden auf fett. In dieser Phase entsteht im Speicherkat Ammoniak, das weiteren Stickoxiden den Garaus macht. Wie genau das kleine Chemiewerk arbeitet, will Mercedes uns aber noch nicht verraten. Denn dieser E 300 Bluetec ist erst der Anfang. Noch kommt er mit seiner kleinen Ammoniakfabrik zurecht. Unterbietet damit locker die derzeit gültige Euro-4-Regelung. Bei den Rußpartikeln um vier Fünftel, beim Stickoxid um ein gutes Viertel.
Damit erreicht Bluetec sogar heute schon die ab 2011 geltenden Euro-5-Werte, die dann alle neu auf den Markt kommenden Modellreihen erfüllen müssen. Nur die größeren 320-SUV-Varianten brauchen für eine optimale Säuberung den kleinen Zusatztank, der mit dem Harnstoff "AdBlue" gefüllt werden muss. Unser E 300 würde mit diesem aufwendigeren System sogar schon Euro 6 für 2015 erreichen. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg. Und der E 300 Bluetec ist dafür bestens gerüstet. Mit einem überzeugenden Antriebssystem, das neben einem Hybrid durchaus bestehen kann. 1000 Euro will Mercedes für die Extra-Reinigung des 300 Diesel verlangen. Ich meine, das ist gut angelegtes Geld.

Fazit von AUTO BILD-Redakteur Diether Rodatz

AUTO BILD-Redakteur Diether Rodatz fordert: "Bluetec für alle Diesel".
Ein Mercedes Diesel erfüllt heute schon die Abgasvorschriften von morgen. Ein besseres Aushängeschild für Ingenieurkunst gibt es nicht. Wenn die Entwicklung so weitergeht, ist mir für die Zukunft des Technikstandorts Deutschland nicht bange. Jetzt habe ich nur einen Wunsch: Hersteller, wartet nicht auf den Gesetzgeber, setzt die Sauber-Technik schnell in der Großserie ein. Ein E 300 reicht nicht aus. Wir wollen Bluetec für alle Diesel.

So wird der Diesel sauber

Im NOX-Speicherkat werden die Stickoxide in Stickstoff und Wasserdampf umgewandelt.
Oxidationskatalysator und Rußpartikelfilter sind Stand der Technik. Der Oxikat verringert die Schadstoffe (HC, CO) im Abgas durch chemische Bindung an Sauerstoff, der Filter hält die Verbrennungspartikel zurück. Neu bei Bluetec ist, dass im gleich hinter dem Oxi-Kat angebrachten NOX-Speicherkat der größte Teil der Stickoxide gesammelt und alle ein bis zwei Minuten durch kurze (3 bis 5 Sek.) Anfettung des Kraftstoff-Luft-Gemischs in harmlosen Stickstoff und Wasserdampf umgewandelt wird. Im Speicherkat werden außerdem kleine Mengen Ammoniak produziert, die dafür sorgen, dass im SCR-Kat nochmals verbleibende Stickoxide in Wasserdampf und Stickstoff zerlegt werden. Der Rußpartikelfilter dazwischen erledigt die Reinigung der Abgase von kleinsten Teilchen - wie bei jedem anderen Mercedes-Diesel.

So geht es mit Bluetec weiter

Die Bluetec-Reinigung wie bei unserem E 300 reicht für schwere SUV nicht aus. Dort muss ein Zusatzstoff helfen. Der Harnstoff "AdBlue" wird in einem Tank (Kreis) mitgeführt. Er liegt in der Reserveradmulde und soll 15 bis 20 Liter fassen, nachgefüllt wird anlässlich einer Inspektion in der Werkstatt. Der Harnstoff wird über ein Dosierventil in den Abgasstrom eingespritzt. Dabei wird Ammoniak freigesetzt, das im nachgeschalteten SCR-Kat (Selective Catalytic Reduction) mindestens 80 Prozent der Stickoxide zu unschädlichem Stickstoff und Wasser umwandelt.

Die Mär vom knappen Diesel

Der Dieselanteil stieg in Deutschland bei den Neuzulassungen der Pkw in den letzten 20 Jahren von 19,5 Prozent auf jetzt fast 47 Prozent. In den USA soll er bis 2015 auf über 15 Prozent kommen. Pessimisten meinen deshalb, wenn die halbe Welt Diesel fährt, könnte der Kraftstoff mal knapp werden. Zumal das Mitteldestillat in etwas anderer Zusammensetzung auch als Flugzeugsprit Jet A1 und Heizöl verbraucht wird. Keine Sorge, noch wird Diesel nicht knapp. Denn die Hersteller können in sogenannten Konversionsanlagen die gewünschten Anteile steuern, der Nachfrage anpassen. Je nach Rohöl-Qualität und Raffinerie lassen sich aus einer Tonne Rohöl 25 bis 35 Prozent Benzin und 30 bis 50 Prozent Diesel destillieren.