Ford Scorpio '95
Der deutsche Edsel

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Können diese Augen lügen? Der Ford Scorpio ist ein perfektes Winterauto: groß, billig und selten. Sogar als Sammlerstück eignet sich der schräge Typ.
Manchmal ist schon der erste Werbespot eine Prophezeiung: Das tragische Karriere-Ende des Ford Scorpio zum Beispiel beginnt im Herbst 1994 unter Wasser. Heringe schwimmen durchs Bild, überall Heringe, ganze Schwärme – und dann ein einsamer Goldfisch. Schnitt. Und eine Stimme aus dem Off: "Der neue Ford Scorpio. Einer wie keiner." Das war wohl ernst gemeint wie manches, was mit der Entstehung des letzten Kölner Topmodells zusammenhängt. Die Designer des Scorpio etwa waren stolz, "auf die Überbetonung der Klassensymbolik" verzichtet zu haben. Deshalb durften sie den silbrigen Scorpio-Schriftzug am Heck weglassen, weil ja sowieso jeder erkennen würde, was da vor ihm herfährt.

Beim Scorpio hat Ford vieles falsch gemacht: Der Kombi kam viel zu spät, die letzte Modellpflege fiel bei deutschen Käufern durch.

Ein Muss: die Ghia-Ausstattung. Sie umfasst gemaserte Velourspolster und Plastikholz, das bei genauem Hinsehen die Rasterpunkte erkennen lässt. Die Pointe dabei: So ein Scorpio mag absurd aussehen, aber er fährt gar nicht schlecht. Selbst als Vierzylinder ist er ein talentierter Langstrecken-Cruiser mit sanftem Fahrwerk, Lounge-Chair-Sesseln und einem Motorgeräusch, das bei Autobahn-Tempo der Fahrtwind übertönt. "Klasse, wie Ford den 2.3er ruhig gestellt hat", lobte AUTO BILD im Sommer 1996 und versicherte, dass der neue 16-Ventiler mit seinen beiden oben liegenden Nockenwellen "genug Dampf in allen Lagen" sicherstelle. Und alles wohlfeil für nur 48.010 D-Mark.
Platz wie in einer S-Klasse
Nur etwa 75.000 Käufer wollten das von 1995 bis 1998 wissen. Meist griffen reife Herrschaften zu, die ihre Mutprobe schon mit dem Badewannen-17M von 1960 abgelegt hatten. Oft entschieden sie sich für die Prunksitzung mit allen Extras: Klimaautomatik, Parktronic, Soundsystem mit CD-Player und beheizte Raffledersessel versüßen dann das Leben mit dem großen Ford. Wer hinten sitzt, kann außerdem die Beine übereinanderschlagen, als wäre es eine S-Klasse und nicht der Kölner König des Kitschs. Als Klassiker kann er endlich ein ganz Großer sein. Auch das haben sie bei Ford schon 1995 geahnt, AUTO BILD druckte damals die visionären Worte des Pressesprechers: "Das ist ein Sammlerstück, das man sich in die Garage stellen sollte." Doch zwischendurch ist auch fahren sehr okay.
Historie

Technische Daten
Vierzylinder-Reihenmotor, vorn längs • vier Ventile pro Zylinder, zwei oben liegende Nockenwellen • Steuerkette • Hubraum 2295 ccm • Leistung 108 kW (147 PS) bei 5600/ min • max. Drehmoment 202 Nm bei 4500/min • Hinterradantrieb • Fünfgang-Schaltgetriebe oder Vierstufenautomatik (2850 D-Mark Aufpreis) • Länge/Breite/Höhe 4825/1760/ 1374 mm • Leergewicht 1580 kg • Zuladung 455 kg • Anhängelast 1850 kg • Tankinhalt 70 Liter • Kofferraumvolumen 465 Liter • 0–100 km/h 12,2 s • Spitze 204 km/h • Testverbrauch 11,3 Liter Super/100 km • Neupreis (1996, Limousine/Turnier) 48.010 D-Mark.
Plus/Minus

Ersatzteile
Scorpio-Fahrer sind Profiteure der Abwrackprämie: Verwerter bieten zum Beispiel rostfreie Türen und Kotflügel ab 100 Euro an, ein Automatikgetriebe mit Garantie kostet um 500 Euro. Ford dünnt derweil das Neuteile-Angebot aus, liefert zum Beispiel keine Kabelbäume mehr.
Marktlage
Opas 50.000-Kilometer-Scorpio läuft schon in Osteuropa, gute Exemplare aus erster Hand werden allmählich knapp. Aber es gibt sie, und teuer ist auch ein Spitzen-Scorpio nicht: Der Test-Scorpio (2.3 Ghia aus erster Hand, EZ 1/97, 83.000 km) soll 3500 Euro VB kosten und gehört damit zu den hochpreisigen Exemplaren. Auch für 2000 Euro lässt sich ein gesunder Stufenheck-Scorpio finden, doch die Grenze zum Verbrauchtwagen ist in dieser Preisklasse fließend. Wenn’s nicht das krasse Glupschaugen- Modell sein soll: Der optisch blasse Vorgänger ist noch viel billiger.
Empfehlung
Der Ideal-Scorpio ist ein später Vierzylinder-Benziner mit Ghia-Ausstattung, Schaltgetriebe, fünfstelliger Laufleistung und lückenlosem Scheckheft. Wer ihn aufbrauchen will, sollte den Kombi mit seiner Riesen-Ladefläche nehmen, als kommendes Sammlerstück eignet sich jedoch die viel seltenere Limousine. Oder ein ganz frühes Schrägheck-Exemplar aus den 80ern. Nicht so toll: Sechszylinder (hoher Verbrauch), Diesel (laut und lahm), Automatik-Versionen (schalten träge), Basismodelle (nicht plüschig genug).
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