"Bauen Sie uns, lieber Fiedler, ein Auto, das unsere Position an der Spitze festigt. Und, ach ja, es darf nicht viel kosten, wir sind im Moment ein bisschen klamm. Wenn’s schnell ginge, wär das kein Nachteil." So sprachen die Direktoren der Horch Motorenwerke AG, Zwickau, auf einer Vorstandssitzung im Herbst 1929 zu ihrem neu berufenen Chefkonstrukteur Fritz Fiedler. Der antwortete etwa so: "Meine Herren, ein neuer Spitzentyp, wie Sie ihn vorschlagen, würde deutlich mehr Leistung als die 80 PS unseres Reihenachtzylinders verlangen. Zum Glück habe ich von meinem vorigen Arbeitgeber Stoewer in Stettin die Idee eines Motors in V-Anordnung mitgebracht. Damit ließe sich die Zylinderzahl auf, sagen wir, zwölf erhöhen, der Motor wäre trotzdem nicht länger als ein Sechszylinder, nur ein wenig breiter."
Horch 930V Cabriolet
Als der einfache Bürger vom KdF-Wagen für 990 Reichsmark träumte, leisteten sich Großverdiener ein Horch 930V Cabriolet für das Zehnfache.
Bild: A. Emmerling
So erhielt Fiedler den Auftrag, seinen V-Motor in Produktion zu bringen. Und während draußen die Weltwirtschaftskrise Tausende Firmen in den Abgrund riss, setzte Horch seine Idee um. Nun muss man einflechten, dass der V-Motor damals noch kein Großserien-Produkt war. Es gab kein bewährtes Standardrezept, weshalb Fiedler ganz eigene Wege ging für seinen kostengünstigen und kompakten Luxusmotor. Am Ventiltrieb lassen sich auf elegante Weise die Kosten dämpfen. Das gelang mit dem Horch-V-Motor auf besondere Weise: Die Nockenwelle liegt zentral zwischen den Bänken und betätigt senkrechte Kipphebel, die ihrerseits direkt auf die Ventile wirken. Technikhistorisch ergibt sich damit eine kuriose Zwischenform: weder altertümliche Seitensteuerung noch knackige Kopfsteuerung. Die Horch-Gemeinde hat dafür den Namen "liegende Ventile" gefunden, weil die Ventile tatsächlich genau waagerecht liegen, während der Brennraum geknickt ist wie ein halb gefalteter Pfannkuchen. Diese Ventilanordnung verlangt, dass Ein- und Auslass auf derselben Seite des Zylinderkopfs sitzen, nämlich innen, der Motor bleibt also schön schmal. Und weil Ansaug- und Auspuffkrümmer so nah beieinander sind, lässt sich das Gemisch effektiv vorwärmen.

Die unglaubliche Story eines Unikats: Der letzte Horch

Horch 930V Cabriolet
Horch hatte einzeln gefederte Vorderräder seit 1934, eine De-Dion-Achse ein Jahr später.
Bild: A. Emmerling
Im September 1931, als sich die Wirtschaftskrise in den USA zur Großen Depression ausgewachsen hatte und sich auch in Deutschland die Arbeitslosen vor Suppenküchen anstellten, rollten die ersten Horch-Prototypen mit V12 und satten 120 PS durch Sachsen. Dass diese enormen Autos keinen enormen Absatz fanden, wundert nicht. Die Horch-Werke waren inzwischen finanziell noch wackliger als zuvor, weshalb Chefkonstrukteur Fiedler flugs den V12 um zwei Zylinderpaare kappte und einen V8 für ein Horch-Einstiegsangebot hatte. Dieser Typ bekam die Bezeichnung 830, er stand auf der Berliner Automobilausstellung im Februar 1933. Zu dem Zeitpunkt war die Welt eine andere. Der neue Reichskanzler Hitler hielt seit ein paar Tagen die Zügel straff in der Hand, Horch war seit ein paar Monaten nicht mehr eigenständig, sondern die Top-Marke im Verband der jungen Auto Union, und Fritz Fiedler war zu BMW geflohen, wo er die fabelhaften Sechszylinderwagen auflegte. So bekam er nicht mehr mit, dass sein eigenwilliger Motor ein paar Schwächen aufweist. Das liegt an diesem seltsamen Knick, den sein Zylinderkopf an der Dichtfläche hat. Die eine Hälfte dieser Fläche sitzt nämlich auf dem Zylinderblock, die andere an der Ansaugbrücke. Anders geht’s nicht, das verlangen die liegenden Ventile. Fiedlers V-Motor hat die weltweit einzige Zylinderkopfdichtung, die zugleich Krümmerdichtung ist. Das dicht zu bekommen ist allein eine Gesellenprüfung zum Kfz-Mechaniker wert.

Texas grüßt Ingolstadt: Der letzte Horch kehrt heim

Horch 930V Cabriolet
Ein 160-km/h-Tacho! Das war damals unglaublich – und nicht gar zu übertrieben. Auf der Autobahn lief der Horch dank Schnellgang 130 Spitze.
Bild: A. Emmerling
An sich könnte das Ventile-Einstellen so einfach sein. Sie liegen nämlich ordentlich nebeneinander, 16 Stück wie Sardinen in der Dose, perfekt zugänglich. Leider muss man aber zuerst den halben Vorderwagen demontieren, mit Streben, Vergasern und Krümmern, damit man sie zu sehen bekommt. Dem Horch 830 nahm das offensichtlich niemand krumm. Er erfüllte seine Aufgabe als Volumen-Typ ausgezeichnet. Sein designierter Nachfolger kam 1937 als Horch 930V, zusammen brachten sie es auf eine Stückzahl von rund 15.000. Ein respektables Ergebnis, aber seine wichtigste Verbreitung fand Fiedlers V8 beim Militär: Drei- bis viermal so viele Kübel- und Krankenwagen rollten mit diesem V8 als "Einh. Pkw. Typ 1 Horch" über die russische Steppe ostwärts. Das besiegelte ihr Schicksal. Horch-Historiker Peter Kirchberg schätzt die Zahl der heute noch verbliebenen Achtzylinder-Horch auf 250 Stück weltweit. Insofern ist es ein seltenes Vergnügen, einem solchen Auto zu begegnen.
Horch 930V Cabriolet
Dies ist einer der ersten V8-Motoren aus deutscher Fertigung, in Serie ab 1933. Er war nicht der erste – das war ein NAG ein paar Monate zuvor.
Bild: A. Emmerling
In der sächsischen Heimat findet ein Horch besondere Begeisterung, beinahe Verehrung. Es sind tolle Autos, exzellent verarbeitet, Spitzenprodukte ihrer Zeit – aber das waren andere Fabrikate auch. Horch allerdings bot das höchste aller Güter für einen Hersteller: Identifikation mit der traditionsreichen Marke. Dieses Gefühl reichte tief in die Belegschaft und strahlte ins gesamte Zwickauer Umland aus, es gab einer ganzen Region das Licht der Hoffnung in finsteren Zeiten. Dieses Licht ist bis heute nicht erloschen – drei Generationen später. Phänomenal. Und tatsächlich, einen Horch zu fahren ist ein besonderes Erlebnis. Man hält das Steuer dicht vor der Brust, dieses mächtige Auto wird mit den Rückenmuskeln gelenkt. Für eine schnelle Kurve muss man die kurvenäußere Hand von der Hüfte aus beherzt hochziehen, ähnlich wie beim Kung-Fu. Nach einer Weile läuft einem der Gasfuß heiß, weil der sich zwischen Bremspedal und Ferngang-Hebel verkantet. Und natürlich verlangt das unsynchronisierte Getriebe ein ständiges Zwiegespräch, Ganghebel und Bremspedal fordern eine paradoxe Mischung aus Kraft und Zartgefühl. Das schlaucht – und macht doch glücklich.

Technische Daten

Horch 930V (1938–1940) Motor: V8, Zylinderwinkel 66 Grad, wassergekühlt, drei Hauptlager • eine Nockenwelle zwischen den Zylinderbänken • zwei liegende Ventile pro Zylinder an Kipphebeln • zwei Solex-Flachstromvergaser • Bohrung x Hub 78 x 100 mm • Hubraum 3821 ccm • Verdichtung 6,1:1 • 68 kW (92 PS) bei 3600/ min • Antrieb/Fahrwerk: Einscheiben-Trockenkupplung, Vierganggetriebe mit nachgeschaltetem Schnellgang-Planetengetriebe • Hinterradantrieb • U-Profilrahmen mit separater Karosserie • vorn Einzelradaufhängung an Dreiecklenkern und einer Querblattfeder; hinten De-Dion-Achse an längsliegenden Blattfedern • Trommelbremsen • Reifen 6.50-17 • Maße: Radstand 3100 mm • L/B/H 4850/1790/1625 mm • Leergewicht 1970 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: Spitze 130 km/h • Verbrauch 18,5 l/100 km • Neupreis: 10.100 Reichsmark.

Historie

Horch 930V Cabriolet
Die meisten Achtzylinder-Horch rollten in Tarnlackierung als Offiziersfahrzeuge gen Russland. Der heutige Bestand liegt bei etwa 250 Stück.
Bild: A. Emmerling
Mitte der 1920er-Jahre versuchten die Horch Motorenwerke AG, ihre Position in der deutschen Oberklasse mit Einführung eines Achtzylinders zu festigen. Der Horch 8, Typbezeichnung 303, ging 1927 in Produktion. 1932 wurde Horch Teil der Auto Union, passend dazu übernahm der Horch 600 mit einem V12 die Spitze der Konzern-Palette. Der Zwölfzylinder floppte, aber der davon abgeleitete V8 kam sehr gut an. Der Typ 830 war von 1933 bis zum Ende der zivilen Produktion 1940 der meistverkaufte Horch. Er bekam 1934 eine Einzelradaufhängung an der Vorderachse, im Jahr darauf war für hinten eine De-Dion-Achse erhältlich. Damit lag der 830 an der Spitze damaliger Fahrwerktechnik. Der Motor wuchs in mehreren Ausbaustufen auf 3,8 Liter, gut für 92 PS. 1935 gab es ein separates Schnellganggetriebe, im Prinzip ein manuell zu schaltender Overdrive, prädestiniert für das entstehende Autobahnnetz. 1937 brachte Horch den Typ 930V, der sich nur in Details vom 830 unterscheidet. Beide blieben parallel in Produktion und erhielten dieselben Weiterentwicklungen. Der 930V ist erkennbar an den Ansaugöffnungen in den Kotflügeln.

Plus/Minus

Er ist anstrengend zu fahren, langsam, bremst wie eine Diesellok und ist ähnlich wendig. Die Wartung besonders des Motors verlangt Spezialwissen, das man nur in Horch-Kreisen pflegt. Das alles zählt zum Plus. Für Sie nicht? Dann sind Sie kein Horch-Fahrer. Um einer zu sein, braucht man tiefe Überzeugung, eine wahre Hingabe an diese große Marke. Die meisten Horch-Besitzer sind so opferfreudig, was sie von vielen Besitzern vergleichbarer Hochpreis-Klassiker anderer Fabrikate unterscheidet. Spekuliert wird im Zeichen der vier Ringe trotzdem, manche Exemplare erzielen Notierungen von einer halben Million, und das ist ein riesiges Minus. Unter Kennern gelten der hier vorgestellte Typ 930V und der fast baugleiche 830 als leicht zu fahren, was sie für heutige Gewohnheiten attraktiver macht.

Ersatzteile

Der 930V ist ein Vorkriegsauto einer seit ungefähr 70 Jahren toten Marke, Gesamtstückzahl 2060. Sein Zündverteiler kommt von Bosch, ist aber eine Spezialanfertigung für genau diesen V8. Der Motor hat die wohl weltweit einzigen gekröpften Zylinderkopfdichtungen. Ersatzteile? Wenn Sie dieses Auto wesensgerecht halten wollen – also damit fahren –, brauchen Sie eine Werkstatt auf Top-Niveau, also mit Drehbank, Oberfräse und Motorprüfstand. Es muss nicht Ihre eigene sein, aber Sie sollten jemanden kennen, der richtig gut mit Metall und Mechanik umgehen kann. Und am besten suchen Sie Kontakt zur Horch-Gemeinde, da finden Sie solche Leute.

Marktlage

Schwierig bis gefährlich. Mit Autos von diesem Prestige lässt sich viel Geld verdienen, wenn man skrupellos genug ist. Andererseits kommen nicht viele Exemplare in den freien Verkauf, weniger als bei vergleichbaren Marken. Falls Sie also wirklich einen Horch wollen, bauen Sie sich Kontakte in der Horch-Gemeinde auf.

Empfehlung

Nehmen Sie einen Wanderer oder vielleicht einen DKW. Die sind günstiger, besser erhältlich, nicht so mysterienumwittert und insgesamt handhabbarer. Wenn es unbedingt ein Achtzylinder-Horch sein soll, warten Sie, bis ein Auto mit geschlossenem Aufbau frei wird. Denn die sind weniger begehrt und nicht ganz so von Spekulationen gefährdet wie die Cabriolets.

Von

Till Schauen