Wovon tagträumt ein Old- oder Youngtimer-Freund? Dass sein Klassiker mit derselben arroganten Perfektion fährt wie ein Neuwagen, aber so charmant aussieht wie zuvor. Ich durfte so einen ausprobieren und flehte sofort, ihn in Serie zu bauen. Aber auf mich hört ja mal wieder keiner. Peter Lehmann, bei Mercedes verantwortlich für den Bau von Konzept- und Showcars, kam auf die grandiose Idee, einen betagten 190er (W201) mit dem neuesten, dem sogenannten Wunderdiesel namens OM 651 zu bespaßen, einem 250 CDI mit 204 PS und 500 Newtonmetern. Der Kraftmotor besitzt entgegen der Typenbezeichnung nur 2,1 Liter Hubraum und passte messerscharf in den für 4200 Euro gebraucht gekauften 190.

Ölwanne vom Sprinter, Elektrik verpflanzt

190er mit CDI-Motor
Lehmann: "Da gibt's nirgends mehr Luft. Die Ölwanne mussten wir vom Sprinter nehmen, denn die ist etwas kleiner. Nur so passte die Lenkung. Und oben mussten wir die Motorelektronik wegnehmen und auf die Seite verpflanzen, dafür wanderte die Batterie in den Kofferraum." Auch der übliche Zierdeckel auf dem Motor ging nicht mehr drauf. Wie schön. Als ich die Haube öffne, denke ich: Oje, die krieg' ich ja nie wieder zu. Hervor quillt ein Hightech-Motor in all seiner Nacktheit, sozusagen wie Rudolf Diesel ihn erschuf. Aber der hätte sich gewundert, was er da zu sehen bekommt. Ein Gewirr an Schläuchen, Rohren, Kabeln in all seiner technoiden Schönheit. Ohne Plastikdeckel sieht man endlich, welch komplexe Systeme hinter den modernen Motoren stecken und weshalb sie letztlich so teuer sind.

Nebenan der "Flüsterdiesel"

190er mit CDI-Motor
Daneben steht ein serienmäßiger 190 D zum Vergleich bereit, mit einem Zweiliter-Vorkammer-Saugdiesel namens OM 601 und 72 PS. OM heißt in der Mercedes-Nomenklatur Oel-Motor. Der 601 war 1983, als er auf den Markt kam, der letzte Schrei der Dieseltechnik. Das Triebwerk wurde hochgelobt, war der Vorgänger doch der "Dom" genannte OM 615, ein museales, gusseisernes Diesel-Ungetüm aus den Fünfzigern mit dem Charme eines Schmiedehammers. Der praktisch unzerstörbare Methusalem passte aber nicht in den Baby-Benz. Eine Neuentwicklung hatte den Vorteil, auch mehr Leistung zu bieten. 72 PS waren eine starke Ansage und damals der Gipfel der Selbstzünder- Herrlichkeiten. Darüber hinaus wurde der Neue wegen seines leisen Laufs von der Fachpresse als "Flüsterdiesel" gepriesen.

Benz im Schneckentempo

Das lag an seiner Vollkapselung. Es muss eine laute Zeit damals gewesen sein. Als ich ihn anlasse, hört sich das jedenfalls so an, als würde Bauer Martens mit seinem Traktor zum Rübenacker aufbrechen. Das Temperament des OM 601 mit seinen 123 Newtonmetern erinnert an Gastropoden. So heißen auf Lateinisch Schnecken, weshalb der 190 D heute hauptsächlich von klugen Pensionären gefahren wird, denn die wissen nach langjährigen Betrachtungen der Welt nicht nur, was solide ist, sie haben auch die nötige Muße. Der Unterschied im Habitus der beiden Kandidaten ist eklatant. Der Ur-190 nagelt behäbig in seiner eigenen Schnecken-Welt. Das Fahren in ihm wird zu einem humorlosen, kraftlosen, chancenlosen, hoffnungslosen Akt der Dickfelligkeit. Er braucht 18,1 Sekunden auf 100 km/h, schafft 160 und verbraucht gut sieben Liter auf 100 Kilometer.

Die Motorkapselung beim Neuen fehlt, dafür 240 km/h Spitze

190er mit CDI-Motor
Der per Motor-Hopping beflügelte 190er dagegen stupst sich mit seinen 500 Nm schwerelos durch den Verkehr. Auch er verschweigt nicht seine nagelnde Diesel-Herkunft, denn es fehlt ihm die Flüster-Motorkapsel (kein Platz). Phänomenal ist der Verbrauch: Der im Vergleich zur heutigen C-Klasse rund 470 Kilo leichtere 190er lässt sich mit 4,9 Litern auf 100 Kilometer bewegen. Jedoch beschleunigt er in 6,2 Sekunden auf 100, und die Spitze? 240! Mit diesen Werten wäre der Transplantierte dem damaligen Porsche 911 ein kaum abzuschüttelndes Ärgernis gewesen. Ein Diesel! Seinerzeit taugten Selbstzünder üblicherweise als rollende Schikanen.

Dynamikschub in der Diesel-Entzwicklung

190er mit CDI-Motor
25 Jahre Nachdenken über die Möglichkeiten des Dieselprinzips haben zu einem unfassbaren Dynamikschub geführt. Was ist im neuen OM 651 anders als im OM 601? Statt Vorkammer- natürlich die Direkteinspritzung, Common-Rail der vierten Generation mit 2000 Bar Druck, Piezo-Injektoren, vier Ventile pro Zylinder, Ausgleichswellen, Motorelektronik statt Mechanik und natürlich die Aufladung mit Ladeluftkühlung und gleich zwei Turboladern, einem kleinen und einem großen in Reihe geschaltet. Damit ist er nicht nur um 30 Prozent sparsamer, sondern dank Kat und Partikelfilter auch viel sauberer als der Alte. Euro 5 statt Euro 1.

500 Nm zuviel fürs Vierganggetriebe

190er mit CDI-Motor
Das aktuelle Sechsganggetriebe war ebenfalls zur Operation vorgesehen, denn die 500 Newtons hätten die alte Viergangschaltung vermutlich zu Krümeln geschrotet. Es passte aber nicht in den Tunnel des Baby-Benz, Lehmann und seine Leute mussten ihn aufweiten. Das Differenzial stammt aus der C-Klasse, die Antriebswellen sind original. Noch wurden sie vom neuen Bums nicht massakriert. Lehmann: "Bislang kein Problem." Ein Problem war aber, den Motor überhaupt zum Laufen zu bekommen. Moderne Triebwerke sind abhängig von einem Netzwerk von Daten, die von außen in sie einfließen: ABS, ESP, Precrash-Sensoren, Diebstahl-Code, all das besaß der 190 ja nicht, weshalb der neue Motor den Dienst glatt verweigerte.

Dem CDI wird was vorgegaukelt

Daher hat Lehmann eine Elektronikbox im Kofferraum des Oldies installiert, die die notwendigen Daten simuliert. Das ganze Projekt war mit deutlich größerem Aufwand verbunden als anfangs geschätzt, daher macht mir Lehmann auch keine Hoffnungen auf eine Kleinserie, zum Beispiel bei einem Tuner oder einem Klassik-Spezialisten: "Zwar gibt es genügend alte 190er, die man für einen Umbau nutzen könnte, aber wir haben rund 1600 Arbeitsstunden investiert. So ein Auto müsste dann mindestens 60 000 Euro kosten." Ich träume weiter.

Zentnerweise Fortschritt

Was macht den umgebauten 190er zum Porsche-Jäger? Sein Gewicht! Mit 1175 Kilogramm wiegt er satte 470 Kilo weniger als die moderne C-Klasse. So muss jedes PS im modernen Mercedes 8,1 kg bewegen, der Umbau senkt das Leistungsgewicht auf 5,8 kg/PS. Allein die alte Karosserie mit ihren 264 kg ist 174 kg leichter als die aktuelle C-Klasse. Bevor wir jetzt vom sportlichen Leichtbau träumen, sei an die Sicherheit erinnert: ABS, sechs Airbags, Gurtstraffer, Seitenaufprallschutz fehlten anfangs im 190er. Auch Servolenkung, Klimaanlage oder Autoradio sind heute selbstverständlich und bringen Gewicht. Zudem ist das neue Auto vielfach steifer als der Baby-Benz.
Her mit dem neuen Motor im alten Auto? Geht nicht, das wäre sinnlose Träumerei. Vielmehr zeigt dieses Einzelstück, dass der Fortschritt im Detail steckt: Denn die neue C-Klasse ist kaum langsamer und kaum durstiger als der Mix-Mercedes. Von Sicherheit und Komfort ganz zu schweigen. Trotzdem weckt das Auto den Wunsch, endlich die Gewichtsspirale umzudrehen. Das sollte Entwickler anspornen – nicht nur bei Daimler.