Mercedes 190 CDI
Die spinnen, die Schwaben

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Mercedes-Ingenieure bauen den aktuellen 250-CDI-Motor mit 204 PS in einen 20 Jahre alten Mercedes 190. Heraus kommt ein Baby-Benz, der 240 Sachen rennt und nur fünf Liter Diesel verbraucht. AUTO BILD-Autor Bernhard Schmidt fuhr Probe.
Wovon tagträumt ein Old- oder Youngtimer-Freund? Dass sein Klassiker mit derselben arroganten Perfektion fährt wie ein Neuwagen, aber so charmant aussieht wie zuvor. Ich durfte so einen ausprobieren und flehte sofort, ihn in Serie zu bauen. Aber auf mich hört ja mal wieder keiner. Peter Lehmann, bei Mercedes verantwortlich für den Bau von Konzept- und Showcars, kam auf die grandiose Idee, einen betagten 190er (W201) mit dem neuesten, dem sogenannten Wunderdiesel namens OM 651 zu bespaßen, einem 250 CDI mit 204 PS und 500 Newtonmetern. Der Kraftmotor besitzt entgegen der Typenbezeichnung nur 2,1 Liter Hubraum und passte messerscharf in den für 4200 Euro gebraucht gekauften 190.
Ölwanne vom Sprinter, Elektrik verpflanzt

Nebenan der "Flüsterdiesel"

Benz im Schneckentempo
Das lag an seiner Vollkapselung. Es muss eine laute Zeit damals gewesen sein. Als ich ihn anlasse, hört sich das jedenfalls so an, als würde Bauer Martens mit seinem Traktor zum Rübenacker aufbrechen. Das Temperament des OM 601 mit seinen 123 Newtonmetern erinnert an Gastropoden. So heißen auf Lateinisch Schnecken, weshalb der 190 D heute hauptsächlich von klugen Pensionären gefahren wird, denn die wissen nach langjährigen Betrachtungen der Welt nicht nur, was solide ist, sie haben auch die nötige Muße. Der Unterschied im Habitus der beiden Kandidaten ist eklatant. Der Ur-190 nagelt behäbig in seiner eigenen Schnecken-Welt. Das Fahren in ihm wird zu einem humorlosen, kraftlosen, chancenlosen, hoffnungslosen Akt der Dickfelligkeit. Er braucht 18,1 Sekunden auf 100 km/h, schafft 160 und verbraucht gut sieben Liter auf 100 Kilometer.
Die Motorkapselung beim Neuen fehlt, dafür 240 km/h Spitze

Dynamikschub in der Diesel-Entzwicklung

500 Nm zuviel fürs Vierganggetriebe

Dem CDI wird was vorgegaukelt
Daher hat Lehmann eine Elektronikbox im Kofferraum des Oldies installiert, die die notwendigen Daten simuliert. Das ganze Projekt war mit deutlich größerem Aufwand verbunden als anfangs geschätzt, daher macht mir Lehmann auch keine Hoffnungen auf eine Kleinserie, zum Beispiel bei einem Tuner oder einem Klassik-Spezialisten: "Zwar gibt es genügend alte 190er, die man für einen Umbau nutzen könnte, aber wir haben rund 1600 Arbeitsstunden investiert. So ein Auto müsste dann mindestens 60 000 Euro kosten." Ich träume weiter.
Zentnerweise Fortschritt
Was macht den umgebauten 190er zum Porsche-Jäger? Sein Gewicht! Mit 1175 Kilogramm wiegt er satte 470 Kilo weniger als die moderne C-Klasse. So muss jedes PS im modernen Mercedes 8,1 kg bewegen, der Umbau senkt das Leistungsgewicht auf 5,8 kg/PS. Allein die alte Karosserie mit ihren 264 kg ist 174 kg leichter als die aktuelle C-Klasse. Bevor wir jetzt vom sportlichen Leichtbau träumen, sei an die Sicherheit erinnert: ABS, sechs Airbags, Gurtstraffer, Seitenaufprallschutz fehlten anfangs im 190er. Auch Servolenkung, Klimaanlage oder Autoradio sind heute selbstverständlich und bringen Gewicht. Zudem ist das neue Auto vielfach steifer als der Baby-Benz.
Fazit
Her mit dem neuen Motor im alten Auto? Geht nicht, das wäre sinnlose Träumerei. Vielmehr zeigt dieses Einzelstück, dass der Fortschritt im Detail steckt: Denn die neue C-Klasse ist kaum langsamer und kaum durstiger als der Mix-Mercedes. Von Sicherheit und Komfort ganz zu schweigen. Trotzdem weckt das Auto den Wunsch, endlich die Gewichtsspirale umzudrehen. Das sollte Entwickler anspornen – nicht nur bei Daimler.
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