Wer eine Zeitreise machen will, muss nur nach Düsseldorf fahren. Im Meilenwerk an der Harffstraße steht der Besucher plötzlich unter einer alten Leuchtreklame und vor einem Werkstattbild von 1967. Es ist eine verwunschene Welt, die Dirk Sassen hier eingerichtet hat. Der Oldtimerspezialist handelt im Meilenwerk mit alten Franzosen aller Art, im Mittelpunkt steht Sassens große Liebe, der Citroën DS. Das Auto, das mit seinem Design und der hydraulischen Federung so radikal anders war als alles davor; das Auto, das bei seiner Vorstellung 1955 auf dem Pariser Salon für weit offen stehende Münder sorgte; das Auto, das noch während der Messe 80.000-mal bestellt wurde.

"Der DS hat seiner Zeit entsprochen"

Citroën DS
Der DS war seiner Zeit weit voraus. Heißt es immer. Aber stimmt das? Blicken wir in die 50er-Jahre. Überall entstehen neue Formen, wird mit der Vergangenheit gebrochen. Die Nierentische in den Wohnstuben, die klaren Fensterfronten an den Wohnhäusern. "Nach dem Krieg wollte man bewusst etwas Neues schaffen, anstatt das Althergebrachte fortzusetzen", sagt Professor Bernard Stein von der Agentur MetaDesign. Gleichzeitig herrscht großer Fortschrittsglauben. Dass man bald mit dem Flugauto zur Arbeit kommen wird, gilt als ausgemachte Sache. Stein: "Der DS hat insofern seiner Zeit entsprochen." Es war wohl eher so, dass die anderen Autos dem Zeitgeist hinterherhinkten: Im Straßenbild waren der DS-Vorgänger Traction Avant von 1934 oder der Mercedes Typ 170 V von 1936 keine Seltenheit. Der Schriftsteller Alexander Spoerl schrieb über den DS: "Dies ist nicht das Auto von morgen. Es ist von heute. Die anderen sind von gestern."
Gewiss, für viele kam der DS dennoch zu früh. Für die Werkstätten zum Beispiel, die anfangs mit der neuen Technik nicht klarkamen und vieles verschlimmbesserten. Für die Ingenieure bei Citroën, die bis 1966 brauchten, um die leitungsfressende rote Hydraulikflüssigkeit durch die harmlose grüne zu ersetzen. Und für die Kunden der ersten Stunden, die oft nur mit ausreichend Geld auf Tour gingen – für eine mögliche Bahn-Heimfahrt. "Als endlich Ruhe in die Produktion kam und die Werkstätten geschult waren, war der Ruf schon ruiniert", so Martin Kraut, Präsident des DS-Clubs Deutschland. Aber wer einmal im DS gesessen hat, wer nur einmal den göttlichen Fahrkomfort genossen hat, der ist ihr ohnehin verfallen. Immer mehr Deutsche entdecken den DS für sich. "Die Nachfrage ist extrem hoch, die Preise steigen kontinuierlich an", sagt DS-Restaurator Sassen. Er selbst will sich übrigens nicht entlocken lassen, ob für ihn der DS nun seiner Zeit voraus war oder nicht. "Auf jeden Fall ist das Design bis heute unerreicht. Vielleicht können wir uns darauf einigen." Ein geradezu göttlicher Kompromiss ...

Plus/Minus

Manchmal geht es auch einer Göttin nicht besser als anderen: Wegen der zeittypisch schlecht konservierten Bleche ist Rost das größte Problem beim DS. Speziell die salzigen deutschen Winter der 70er und 80er waren Gift für die fragilen Gleiter. Dem morschen Blech stehen als Pluspunkte die faszinierende Technik, das majestätische Fahrgefühl und das noch heute aufregende Design gegenüber. Und: Die Mechanik ist viel robuster und unkomplizierter, als es deutsche Stammtisch- Weisheit je wahrhaben wollte. Für Hydropneumatik, Motor und Getriebe sind bei guter Pflege auch 200.000 Kilometer kein Thema. Noch heute taugt der DS daher als Alltagsauto.

Technische Daten DS 19 (1956)

Vier Zylinder, Reihe • seitliche Nockenwelle • Hubraum 1911 cm³ • 55 kW (75 PS) bei 4500/min • max. Drehmoment 140 Nm bei 3000/min • Vierganggetriebe, Halbautomatik • Vorderradantrieb • Bremsscheiben vorn, Trommeln hinten • Reifen 165/400 vorn, 155/400 hinten • Länge/Breite/Höhe 4800/1790/1470 mm • Radstand 3125 mm • Einzelradaufhängung, hydropneumatische Federung • Leergewicht 1280 kg • Vmax 140 km/h • Verbrauch 10 l/100 km • Neupreis 12.350 Mark

Historie

Citroën DS
1955 Citroën stellt in Paris den DS 19 vor • 1957 Der günstigere ID bekommt die Hydropneumatik aus dem DS, aber einfachere Technik • 1965 DS 21 mit neuem 2175-Kubik-Motor und 100 PS •  1967 neue Front mit schwenkbaren Doppelscheinwerfern hinter Glas • 1968 Der DS 19 wird zum DS 20 mit 90 PS • 1972 Als letzter Entwicklungsschritt kommt der DS 23 mit 2347-Kubik-Motor und 110 PS • 1975 Produktionsende nach 1,5 Millionen gebauten Exemplaren.

Ersatzteile

Die Versorgung mit Ersatzteilen ist schon deswegen gut, weil die DS-Typen schon als Youngtimer eine riesige Fangemeinde hatten. Engpässe gibt es bei Karosserie-Anbauteilen und den Bestandteilen des Interieurs – ein Original-Türgriff kann beispielsweise schon mal 500 Euro kosten. Und: Bei frühen Modellen vor 1966 sieht es generell etwas düsterer aus. DS-Spezialist Dirk Sassen: "Da wird es dann auch mit Fahrwerkteilen enger."

Marktlage

Citroën DS Break
Es klingt wie ein Klischee, aber nach wie vor ist Südfrankreich ein bevorzugtes Jagdgebiet der DS-Anbeter. Das milde Klima hat vielen klassischen Citroën das Leben gerettet. Club-Präsident Martin Kraut empfiehlt zudem einen Blick in die Niederlande: "Dort wurde der DS früher entdeckt als bei uns." Die Preise steigen: Ein alltagstauglicher DS 21 Pallas (Zustandsnote 3) notiert mit etwa 8500 Euro, Spitzenmodelle sind bis 30.000 Euro teuer. Der Kombi Break ist kaum noch zu bekommen.

Empfehlung

DS-Fans lieben besonders den Jahrgang 1968/69: Da hatte der DS schon die neue Front mit Doppelscheinwerfern hinter Glas, aber noch das geschwungene Armaturenbrett mit Bandtacho. Wer die Probleme klein halten will, wählt ein Modell mit Handschaltung. Citroën-Sprecher Immo Mikloweit: "Die Halbautomatik muss kompliziert eingestellt werden. Das können nur wenige." Eine Überlegung wert sind die einfacheren und günstigeren ID-Modelle.

Adressen

Club Martin Kraut, Wermertshäuser Straße 9, 35085 Ebsdorfergrund, Telefon 06407/ 9 02 30; www.dsclub.de
Literatur Daniel Puiboube, Immo Mikloweit: Das Neue Große Citroën-DS-Buch, Heel-Verlag, 39,90 Euro

Von

Alex Cohrs