Die Geschichte unseres Dauertest-Mercedes dauert fast zwei Jahre und 50.799 Kilometer lang und zeigt, wie wenig sich in Jahrzehnten ändert, wenn es um den Alltag mit einem alten Auto geht. Nicht nur die ungeschützten Hohlräume gehören zum Mercedes /8, sondern auch der Komfort und die Kondition, mit der er seine Besitzer durch die halbe Welt trägt.

Zwei Vorbesitzer haben erst 75.000 Kilometer abgespult

Mercedes-Benz 230.6 /8
Der 230.4 ist top: flotter als der 200er, nicht so versoffen wie die Sechszylinder.
 
Unser 230.4 hat 110 PS und Viergangschaltung, also der munterste unter den Vierzylinder-Benzinern, die Mercedes zwischen 1968 und 1976 anbot. Er hat nur zwei Vorbesitzer und tatsächlich erst 75.000 Kilometer abgespult, weil er die letzten 20 Jahre nur manchmal mit roter Nummer rausdurfte. Und obwohl sein Erstbesitzer bei der Wahl der Aufpreis-Extras geizte, ist er nicht pastellweiß, kaledoniengrün oder ahorngelb wie so viele andere /8er, sondern hüllt sich in apartes Graublaumetallic, eine Farbe mit hohem Wiedererkennungswert.

26 Fahrer hinterlassen 242 Fahrtenbucheinträge

Willkommen kleiner Sternenkreuzer
Vorsicht, blaues Armaturenbrett! Zuviel Sonne lässt es auf Dauer reißen.
Insgesamt 26 Fahrer hinterlassen 242 Fahrtenbucheinträge. Es dauert nicht lange, bis der /8 in bester Erinnerung bleibt, die ersten langen Dienstfahrten genügen dafür. Auch im fünften Lebensjahrzehnt lässt er sich vom Alltag nicht stressen. Es ist vor allem der Langstreckenkomfort, den seine Benutzer lieben: Was die Federung nicht wegbügelt, erledigen die weichen Sitze. Dabei liegt er in schnellen Kurven neutraler als viele Youngtimer und bremst mit seinen vier Scheiben so bissig, als käme er aus den 90ern.

Insgesamt 10.906 Euro fließen in Reparaturen

Willkommen kleiner Sternenkreuzer
Die Panzertüren mit dickem Keilzapfen-Türschloss gehören zum /8-Gefühl.
Wir tauschen während des Dauertests vor allem Teile, die bereits 1976 im Werk montiert wurden: zu Beginn ist die Benzinpumpe fällig, kurz darauf der Kupplungsgeberzylinder, gegen Ende auch die Auspuffanlage. Insgesamt 10.906 Euro investieren wir in Reparaturen, Wartung und Teile, macht 21 Cent pro Kilometer. Mercedes Strich-Acht fahren im Alltag ist also ein teurer Spaß. Die professionelle Sanierung dauerte rund 100 Stunden und kostete bei den Blechprofis der Firma Linhart in Frankfurt so viel wie zwei 230er im Zustand 3. Es schadet also nicht, wenn potenzielle /8-Käufer mit dem Schweißgerät umgehen können. Ein Wertverlust findet in der Regel nicht statt, die Preise dümpeln zwar um die 12.000 Euro für einen 230.4 im Zustand 2, doch für substanziell gesunde /8er findet sich immer ein Liebhaber.
Stärken: volle Alltagstauglichkeit; geräumiger und heller Innenraum; hoher Gesamtkomfort; sichere Fahreigenschaften; sehr großer Kofferraum; gute Fahrleistungen, kräftige Bremsen; hohe Zuverlässigkeit; gute Werkstatt-Versorgung; große, sehr aktive Clubszene; immer noch günstiger Kaufpreis; akzeptabler Verbrauch.
Schwächen: hohe Rostanfälligkeit; aufwendige Blechreparaturen; keine lückenlose Ersatzteilversorgung mehr; erhöhter Beschaffungsaufwand, zum Teil erhebliche Qualitätsschwankungen;
anfälliger Stromberg-Vergaser.


Fazit

von

Christian Steiger
Für seine Qualitäten ist der Mercedes /8 noch immer nicht teuer, das gilt für Kaufpreis und Unterhalt. Auch dem heutigen Auto-Alltag ist er noch gewachsen – zumindest mechanisch. Winterliche Salzattacken würde ich ihm ersparen: Die Sanierung einer porösen /8-Karosserie ist zu aufwendig und kostspielig.