Als Wagen 108 zu Beginn der 60er-Jahre entwickelt wurde, war dies vielleicht eine Herausforderung – aber keine Revolution. Dämmtechnisch rollt die S-Klasse fast als Nackedei vor. Und der M130-Sechszylinder erinnert in seiner Klangvielfalt an die Berliner Philharmoniker beim Stimmen ihrer Instrumente im Orchestergraben. Wer genau hinhört, erkennt sogar die Solisten: rasselnde Ketten, tickende Ventile und zuletzt die Auspuff-Trompete. Bei 180 km/h mischen sich zusätzlich orkanartige Windgeräusche ins Konzert. Doch bleiben wir fair: Alle unsere Autos erhoben damals die Stimmen, die S-Klasse W108 war ein leiser Schreihals. So musste das auch sein. Schließlich werden Mercedes-Oberklassen für Verwöhnte gebaut, die sich das Besondere gönnen.  
Mercedes 280 SE W108
Schlichte Eleganz: Der W108 basiert noch auf der Bodengruppe der Heckflosse, kommt jedoch optisch erheblich schlichter daher.
Außen weist am 280 SE viel Chrom den Weg in die bessere Gesellschaft, innen dominiert gehobener Gelsenkirchener Barock mit reichlich Holz in der Hütte, Teppichen in strapazierfähiger Schlaufen-Qualität und grober Stofftapete an den Wänden. So gediegen wohnten damals nur Direktoren. Genauso schön und beschaulich fährt die S-Klasse der Sixties. Sie fühlt sich an wie Omas Sofa, gemütlich und weich, die Federkernsessel wippen ganz sanft im Takt dazu. Wie der Fuß des Chefs am Steuer, wenn Bert Kaempferts Streichelsound aus dem Mono-Lautsprecher perlt. Das passt. Denn Hektik liebt Wagen 108 gar nicht. Dann stößt die Automatik beim Gangwechsel unsanft zurück. Außerdem sollte ein geübter Fahrer hinter dem Lenkrad sitzen. Wenn das S-Klasse-Heck auskeilt – was passieren kann, schließlich hat der 108 eine Pendelachse –, muss heftig am Kranz gekurbelt werden: trotz Servo dreieinhalb Umdrehungen von Anschlag bis Anschlag.

Fazit

von

Andreas Borchmann
Ein Typ für Oldie-Freunde. Der W108 lässt seinen Fahrer live miterleben, wie die Technik arbeitet. Vor allem im Vergleich zum W126 wirkt er wie eine mechanische Uhr im Zeitalter der Quarzwerke. Dabei rettet er den gemütlichen Stil der Fünfziger in die Neuzeit.

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Andreas Borchmann