Ein neuer Dauer-Testwagen zieht in die Garage von AUTO BILD KLASSIK ein: ein BMW 3.0 Si in Baikalblau. Nach kurzer Zeit ist klar: Mit dem werden wir was erleben!
Bild: Markus Heimbach
Die berühmte BMW-Niere ziert auch den Grill des 3.0 Si. Neu bei der Baureihe E3 sind Doppelscheinwerfer.
Bild: Markus Heimbach
Früher waren BMW-Fahrer noch richtige BMW-Fahrer. Das zeigt schon der Aufkleber, der sichtbar wird, wenn man zum Tanken das Kennzeichen am Heck herunterklappt. Dort findet sich die übliche Tabelle mit den Reifen-Luftdrücken. Aber mit dem Hinweis: "Für Sportfahrten gelten besondere Vorschriften!" Sportfahrten? Mit einer Luxuslimousine? Darauf würden BMW und die BMW-Fahrer heute nicht mehr unbedingt kommen. Die Baureihe E3 war schließlich so etwas wie der erste 7er. Auch wenn sie noch nicht so hieß. Jetzt ist das Auto der neue Dauertestwagen von AUTO BILD KLASSIK. Nach einem Audi 100 (Typ 43) und einem Opel Monza soll er uns im Alltag begleiten und steht deshalb in der Tiefgarage: glasklare Linien, glänzendes Blaumetallic, astreiner Innenraum. Motor 3.0 Si, der erste Einspritzer, 200 PS stark. Dazu ein Viergang-Schaltgetriebe.
Bewundernder Blick zurück
Schnell bildet sich eine kleine Redakteurs-Traube. "Sieht gut aus." "Vier Jahre bevor der Wagen auf den Markt kam, hat BMW noch Barockengel gebaut. Und sechs Jahre vorher die Isetta!" "Heute noch sichtbar, dass BMW mit dem zum ersten Mal in der Oberklasse etwas gegen Mercedes in der Hand hatte." Chefredakteur Bernd Wieland greift sich den Schlüssel, und fünf Mann steigen in den Wagen. Aus dem Auspuff trompeten Sportwagen-Töne. Das dürfte nicht original sein. Kollege Henning Hinze hatte das Auto aus Bregenz mit nach Hamburg gebracht und war dort zuvor in einem weißen 3.0 S mit Vergaser, Automatik und Stahlrädern die Rallye "Bodensee-Klassik" gefahren. Er sagt: "Der war viel braver und leiser, ein krasser Charakterunterschied!"
Lob für den lichten Innenraum
Das Cockpit ist klar und übersichtlich gestaltet, inklusive Echtholzleisten im Wohnzimmer-Stil der 60er.
Bild: Markus Heimbach
Wieland gefällt der lichte, klar gestaltete Innenraum. Später wird er die filigrane Karosserie des BMW-Designers Wilhelm Hofmeister loben. "Diese schmalen Dachsäulen: Ich liebe das!" Verwunderung über die Riesen-Ablagefläche von den Instrumenten bis zur Beifahrertür: "Alles, was eine Familie auf Reisen braucht, kann da vorn liegen." "Das wäre bei Mercedes undenkbar gewesen. Da könnte ja Unordnung herrschen im Auto!", sagt der stellvertretende Chef Christian Steiger. Er besitzt privat eine Mercedes S-Klasse der Baureihe W 116, das Auto, mit dem unser E3 konkurrierte, als er 1973 vom Band lief. Mit dem als Maßstab arbeitet er sich durch den BMW. Kollege Martin Puthz, ein Freund historischer Jaguar-Limousinen, macht mit. Puthz: "Der wirkt ja regelrecht zerbrechlich." Steiger: "Wieg mal den Handschuhfachdeckel: Presskonstruktion VEB Schkeuditz." Puthz: "Konsequenter Leichtbau!" Steiger: "Man fasst die Sonnenblende an und spürt die Metallbügel. Und dieser klebrige Kunststoff-Schaltknauf: So war BMW. Aber sie hatten eben diesen Wahnsinns-Motor! Und ein tolles Schaltgetriebe."
Ein Rücklicht dunkler als das andere
Ein schöner Rücken. Die filigrane Silhouette gestaltete BMW-Designer Wilhelm Hofmeister.
Bild: Markus Heimbach
"Auf der Autobahn gehörten diese Autos immer zu den Schnellfahrern, und das rechte Rücklicht war dunkler als das linke", wirft Frank B. Meyer, der stellvertretende Chefredakteur, ein. "Wenn an schönen Tagen blauer Nebel aufzog, war so einer vorbeigefahren", erinnert sich Steiger. Auch unser E3 bläut heftig aus dem Auspuff, wenn man bei hoher Drehzahl vom Gas geht. "Wer hat so was damals gefahren?", fragt Puthz in die Runde. "Stiernackige Metzger ja wohl nicht ..." "Der Zahnarzt in unserer Straße", antwortet Steiger. "Ich kannte auch einen jungen Anwalt, der einen besaß. Leute, denen die Marke Mercedes zu autoritär war. Der BMW hatte dafür immer ein etwas unvernünftiges oder gar unseriöses Image." Konsens: Spätestens nach einem Jahrzehnt wurden die Autos von Leuten mit tätowierten Oberarmen aufgebraucht. Rost führte dann dazu, dass sie zerfielen. Die soliden Motoren und die restliche Technik hätten länger mitgemacht.
Testwagen stammt aus Bella Italia
Die Redaktion suchte einen E3 für den Dauertest, BMW hat diesen in Italien gefunden und stellt ihn uns zur Verfügung. Das Scheckheft ist bis zum 29. April 1983 bei einem Mailänder Händler geführt worden. Kilometerstand damals: 73.154. Kilometerstand heute: 74.233. Tja, alles ist möglich. Aussteigen an der Oldtimer-Tankstelle, an der die Redaktion gern Mittagspause macht. Der Motor lief auf Langstrecke toll, jetzt in der Stadt unrund. Der Ölverbrauch ist viel zu hoch, das Öl aber auch viel zu dünn. 5W30 – welcher Fachmann war da am Werk? Bremsen, Kühlsystem, Frontscheinwerfer und Sitzbezüge hat BMW offensichtlich neu gemacht. Hoffentlich haben sie das Auto nicht totrestauriert. Fünf Mann begutachten die Karosserie: "Die Spaltmaße passen vorn und hinten nicht." "Der Farbton ist auch nicht original." Und: "Unter dem Wagenheber ist ein Rostloch im Kofferraumboden." Vor dem hinteren rechten Radhaus zeigt sich zudem eine Blase, die schon unter leichtem Kuli-Druck zum Loch wird. Glück gehabt! Diesen BMW können wir im Alltag fahren. An ihm werden wir zu tun haben. Und mit ihm werden wir was erleben, so wie das mit alten Autos ist. Willkommen, Kollege!
Der BMW stottert!
An der Hebebühne kann Kfz-Meister Andreas Boje den BMW von oben bis unten durchprüfen.
Bild: Thomas Ruddies / AUTO BILD
Schon nach wenigen Tagen im hohen Norden scheint der aus Italien zurückgeholte Bayer schlappzumachen. Im Leerlauf dreht der Motor mit 1800 Umdrehungen viel zu hoch. Beim Kaltstart springt er schlecht an, unterwegs läuft er unrund und hat Fehlzündungen. Liegt es an der Zündanlage? Oder spielt womöglich die D-Jetronic verrückt? Ist die erste elektronische Benzineinspritzung von Bosch, der unser BMW das "i" auf dem Kofferraumdeckel zu verdanken hat, wirklich so anfällig, wie viele behaupten? Mit gemischten Gefühlen bringen wir den BMW in die Werkstatt. Was machen wir, wenn das Steuergerät der Jetronic kaputt ist? Die Sorge kann uns Andreas Boje schnell nehmen. "Meistens liegt der Fehler woanders, nur ganz selten im Steuergerät." Arbeiten an der D-Jetronic sind nur etwas für Profis. Der BMW-Spezialist tauscht den Zusatzluftschieber, bei dem das Dehnstoffelement mit der Zeit verhärten kann. Schon ist das Problem mit dem zu hohen Leerlauf behoben. Als er den Impulsauslöser, ein weiteres typisches Verschleißteil der D-Jetronic, durch einen neuen ersetzt, läuft der BMW wieder rund. Erleichtert machen wir uns auf den Weg in die Redaktion.
Ein Bayer auf Rügen
Parkplatz mit Panorama: Die Seebrücke in Sellin ist mit 394 Metern die Längste der Insel.
Bild: Sven Krieger
Das Dirndl geschnürt, den bayrischen Freund betankt und endlich in den ersten gemeinsamen Urlaub. Wohin? Natürlich nach Rügen! Unser Dauertest soll schließlich etwas von der Welt sehen. Der kräftige Wind an der See ist gewöhnungsbedürftig. Das kennt unser neuer Dauertester weder aus seiner bayerischen Heimat noch aus Mailand, wo er jahrzehntelang fuhr. Die Strecke Hamburg-Stralsund verging wie im Flug. Auf Rügen sind uns Aufsehen und Anerkennung sicher. Der Flirtfaktor des Autos und der Dirndl ist hoch! Nur ein einziger nölt über den Gestank. Ein schlanker Gasfuß drückt den Verbrauch des BMW. Absurd hoch bleibt er trotzdem. Ansonsten bleibt der Tageskilometerzähler zweimal hintereinander stehen und Kaltstarts bringen die Batterie an ihre Grenze. Unser starker BMW, das steht nach zwei Tagen fest, ist ein echtes Urviech aus dem tiefsten Süden und bald auf der halben Insel bekannt. Wo wir auch ankamen, wurde gegrüßt, gewunken, gelacht. Unser Bayer mochte Rügen, und die Rügener mochten uns Bayern. Also – uns Beinahe-Bayern.