Der liebe Gott behütet nicht nur alle Menschen, er ist offenbar auch ein Ferrari-Liebhaber. Und für Jaguar scheint er ebenfalls ein Faible zu haben. Wie sonst lässt es sich erklären, dass sich beim Goodwood Revival zwei mega-wertvolle Klassiker auf der Rennstrecke in stattlichem Tempo bedrohlich nahe kamen, am Ende aber unversehrt blieben? Wie die Insassen glücklicherweise auch. Geschätzter Wert der beteiligten Fahrzeuge: mehr als 30 Millionen Pfund, umgerechnet 35 Millionen Euro.

Schmuckstücke fast auf Tuchfühlung

Ein Video zeigt, wie sich der Fahrer eines 1961er Jaguar E-Type Low Drag Cut 7 vor einer Kurve verbremst, mit der Raubkatze ins Schlingern gerät und sich schließlich quer über die Strecke dreht. Dabei geht er mit einem vor sich fahrenden, rund 30 Millionen Pfund teuren Ferrari 250 GTO fast auf Tuchfühlung, aber eben nur fast. Wenige Zentimeter trennen die Karosserien voneinander, ehe der Jag rückwärts ausrollt. Auch er ist eine Rarität, manche Quellen sprechen von nur zwei jemals gebauten Exemplaren. Sein Wert dürfte gleichsam im siebenstelligen Bereich liegen. Und auch der nachfolgende E-Type Semi-Lightweight 1961 – wie der Low Drag ein ehemaliger Werksrenner von Jaguar – wäre bei einer Auktion sicherlich kein Schnäppchen. Auch er entgeht auf wundersame Weise einem Zusammenprall!

E-Type: Startschuss in Genf 1961

Jaguar E-Type 3.8
Etwas überraschend beim E-Type: Im Heck wartet ein gut nutzbarer Laderaum.
Die Geschichte des E-Type beginnt im besagten Baujahr 1961, als am 15. März anlässlich des Autosalons in Genf eine Bombe platzt. Direktor William Lyons enthüllt die Kreation, die als der berühmteste aller Jaguar in die Geschichte eingehen wird: den E-Type (für die Amerikaner: XK-E). Dieses Gefährt mit der überlangen Haube sieht nicht nur verboten aus, es schreit geradezu nach Vollgas. Extreme Proportionen paaren sich mit sinnlichen Rundungen, dazu Räder mit Zentralverschlüssen in Ben-Hur-Ausführung, Stoßfänger wie Krummsäbel und hinten zwei Auspuffrohre, die geradezu unanständig emporragen. Innen Schalensitze wie vom Möbeldesigner, Lenkrad mit Lochspeichen und blondem Holz, ein Armaturenbrett für Maschinisten – schöne Grüße von Stirling Moss. Und dann das Preisschild: 2098 Pfund soll das Tier in seiner Heimat Großbritannien kosten.

Erste Änderungen schon nach einem Jahr

Jaguar E-Type 3.8
Immer wieder ein Augenschmaus: Strenge Symmetrie im Cockpit, dazu die traditionellen Kippschalter und schlichte schwarze Instrumente mit weißen Ziffern. Großes Holzlenkrad, stämmiger Schaltknüppel für vier Gänge.
Zwei Varianten, Coupé und Roadster, sind in Genf zu besichtigen und gehen sogleich in Produktion. Schon im Jahr darauf sind erste Änderungen notwendig. Die wichtigste: Der Wagenboden wird für mehr Fußraum abgesenkt. 1964 hält der 4,2-Liter-Motor Einzug. Zugleich bekommt der E-Type ein voll synchronisiertes Getriebe, bequemere Sitze sowie eine verbesserte Ausstattung. Im Juli 1967 müssen die Plexiglasabdeckungen über den Scheinwerfern den US-Bestimmungen weichen, die entsprechenden Modelle bekommen im Nachhinein die Bezeichnung Series 1½. Im September 1968 wird die Produktion des E-Type in seiner Urform eingestellt. Es folgt Series 2 mit veränderter Karosserie und weniger Leistung. Kennzeichen: freistehende Scheinwerfer, klobigere Blinker und Heckleuchten, großer Grill und aufpralloptimierter Innenraum. Seine letzte Form findet der E-Type im Series 3 mit V12-Motor (1971–1974), im Charakter mehr ein komfortabler Cruiser als ein Sportwagen.

Technische Daten

Jaguar E-Type 3.8 Coupé: Reihensechszylinder, vorn längs • zwei oben liegende Nockenwellen, über Kette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder, drei SU-Vergaser • Hubraum 3781 ccm • Leistung 195 kW (265 SAE-PS) bei 5500/min • max. Drehmoment 353 Nm bei 4000/min • Vierganggetriebe • Hinterradantrieb • vorn Einzelradaufhängung, Doppel-Querlenker, Schraubenfedern, hinten Einzelradaufhängung an Hilfsrahmen, Quer- und Längslenker, Doppel-Federbeine, Schraubenfedern • Scheibenbremsen rundum • Reifen 6.40 x 15 RS.5 • L/B/H 4454/1657/ 1222 mm • Leergewicht 1270 kg • Verbrauch 15,0 l S/100 km • Spitze 225 bis 240 km/h • 0–100 km/h 7,2 s • Tank 64 l • Preis (1961): 26.000 Mark.

Von

Wolfgang König