Meinung: Wie wichtig ist Aerodynamik bei Oldtimern?
Sind windschlüpfige Oldtimer wie Opel Calibra und Audi 100 besser?

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Ist Windschlüpfigkeit bei Oldtimern eher ein Segen oder eher ein Fluch? Zwei Redakteure diskutieren über aerodynamisch mehr oder weniger optimierte Klassiker!
Sind Oldtimer mit einer windschlüpfigen Karosserie heute Designklassiker oder nimmt ihnen ein geringer Cw-Wert die Schönheit? Zwei Redakteure diskutieren:
Lars Busemann: "Oldies mit geringem Cw-Wert sind eine perfekte Synthese aus Klassik und Moderne"

Ja, bitte: Lars Busemann mag auch aerodynamisch optimierte Klassiker
Alles kommt wieder. Der seit Ende der 80er-Jahre scheinbar eingeschlafene Technik- und Design-Trend, Autos auf einen möglichst niedrigen Luftwiderstand zu optimieren, erlebt in Zeiten von CO2-Reduktion und WLTP-Verbrauchsnorm wieder einen hohen Stellenwert. Nicht nur bei schnellen Autos spielt ein niedriger Cw-Wert eine entscheidende Rolle beim Spritverbrauch: Schon ab 60 km/h übersteigt der Luft- den Rollwiderstand. Ein oft gehörtes Vorurteil: Cw-optimierte Flundern sähen alle gleich aus und nähmen den Autos ihre Markenidentität. Wie bitte? Das Gegenteil ist der Fall! Nie zuvor hat sich technischer Fortschritt derart konsequent im Design widergespiegelt wie bei den Aerodynamik-Weltmeistern. NSU Ro 80 (1967, Cw 0,37), Audi 100, Typ 44 (1982, Cw 0,30), Mercedes-Mittelklasse, W 124 (1984, Cw 0,29) oder Opel Calibra (1989, Cw 0,26) gelten als Wegweiser für das Design nachfolgender Modellgenerationen aller Marken. Und ein niedriger Cw-Wert macht auch im Klassiker Fahrfreude, spätestens auf langen Strecken: Fahre ich in meiner an sich komfortablen 70er-Jahre-Mercedes-S-Klasse (W 116), nerven ab 120 km/h enorme Windgeräusche, wo der Nachfolger W 126 noch flüsterleise rollt – und zugleich die zeitlosere Linie hat, für mich eine optimale Synthese aus Klassik und Moderne. Ja, auch ich stehe auf kastige, extrem übersichtliche Autos mit dem Cw-Wert einer antiken Schrankwand. Aber, ganz ehrlich, als Kind der 80er-Jahre sehen für mich Autos aus den ersten 50 Jahren des Automobilbaus uniformer aus als die Aerodynamiker der 80er. Ich mag Design, welches von Naturgesetzen inspiriert ist. Haben Sie schon einmal einen eckigen Fisch gesehen? Oder einen kastigen Vogel? Und sehen Fische und Vögel alle gleich aus?
Henning Hinze: "Wo das Primat der Aerodynamik gilt, entstehen keine Formen, sondern Flundern"

Nein, danke: Henning Hinze möchte schöne Autos, keine praktischen.
Gute Formgebung ist keine Geschmackssache, sondern folgt bestimmten Regeln. Symmetrie ist eine ganz simple Grundlage für die Gestaltung angenehmer Formen, der sogenannte Goldene Schnitt eine andere. Ob der Betrachter sie kennt oder nicht, ist dabei unerheblich. Er spürt intuitiv, ob eine Form "stimmt" oder nicht. Kein Kriterium für eine gute Form ist dagegen die Windschlüpfigkeit. Sie mag technisch vorteilhaft sein, weil sie Verbrauch und Windgeräusche mindert und die erzielbare Endgeschwindigkeit erhöht. Insofern ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Auto aerodynamisch vorteilhaft ist, und mit Detailarbeit kann man da ja auch viel erreichen. Wenn aber die Aerodynamik auf Platz eins im Lastenheft steht wie bei Rumplers Tropfenwagen, den Stromlinienautos der 30er oder den "Aerodynamik-Wundern" der 80er und frühen 90er, dann entstehen Formen, die die Welt nicht will.
Der Tropfenwagen hatte Platz für fünf Personen, aber leider nicht für deren Gepäck. Chryslers Airflow-Varianten führten zu einem Käuferstreik bei den bis dahin treuen Kunden der Imperial-Baureihe, zu der sie gehörten. Und während der Opel Manta A als Beispiel für gelungene Formgebung gerühmt wird, hat der Nach-Nachfolger Calibra im Grunde gar keine Form, sondern ist vorne, hinten, oben, unten einfach nur glatt. Für eine Blechhülle zur Personenbeförderung mag das ausreichend sein. Für ein Automobil, das uns ständig begleitet, mit dem wir haptisch und ästhetisch so eng verbunden sind, das wie unsere Kleidung, unsere Wohnung oder von mir aus unser Fahrrad etwas über uns als Person aussagt, ist es zu wenig. Da sollte schon etwas mehr Liebe zur Form vorhanden sein.
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