Die Erkenntnis ist älter als das Auto: Der Wind, der uns das Leben schwer macht, kommt immer von vorn. Je stärker er bläst, desto mehr müssen wir uns anstrengen. Dass dies auch auf den fahrbaren Untersatz zutrifft, leuchtet ein, und zwar nicht erst seit gestern. Luftwiderstand bremst – das wussten Autobauer schon vor 100 Jahren. Nur dass die Leute damals andere Sorgen hatten. Schnell fahren und dabei wenig Sprit verbrauchen, das war kein Thema, solange ungepflasterte Straßen bestenfalls Kutschendurchschnitt zuließen. Angesagt waren schon eher Vorrichtungen, um die Staubentwicklung zu verringern.

Nur Rennwagenkonstrukteure dachten in den 20er Jahren an Aerodynamik

Rumpler Tropfenwagen
Das Rumpler-Tropfenauto erzielte schon 1921 einen Cw-Wert von 0,28!
Zeitgenössische Experten dachten da zum Beispiel an Aufbauten mit spitzen oder eiförmigen Heckpartien, darunter ein gewisser Konrad Adenauer, später bekannt als Erfinder der beleuchteten Stopfkugel und der Sojawurst sowie als Bundeskanzler. Dass Luftwirbel auch Energie verzehren, interessierte nur Rennwagenkonstrukteure. Lösungsansätze lieferten ihnen Boote, Raketen und vor allem der letzte Schrei der Luftfahrt, der Zeppelin – nicht wirklich effektiv für den bodennahen Einsatz, aber schnittig im Auftritt. Die Initialzündung erlebte die Automobil-Aerodynamik freilich erst 1919 mit dem Friedensvertrag von Versailles. Weil darin die Herstellung von Luftschiffen und Flugzeugen (ab 20 PS) auf deutschem Boden untersagt wurde, kam es über Nacht zum Talentstau.

Die Pioniere der Fahrzeug-Aerodynamik kamen aus dem Flugzeugbau

Windkanäle standen leer, Aerodynamiker drehten Däumchen, einem der prominentesten Zweige der Wissenschaft ging die Luft aus. Da war der noch sperrig im Wind stehende Motorwagen ein Geschenk des Himmels. Allerorten stürzten sich Pioniere der Luftfahrt auf die Technik der Kraftfahrt, allen voran Edmund Rumpler. Sein Rumpler Tropfen-Auto von 1921 sah nicht nur aus wie aus einer anderen Welt, es besaß auch überirdische Qualitäten: Nachmessungen im VW-Windkanal ergaben einen Cw-Wert von 0,28, da können heute noch viele Autobauer neidisch werden. Keine Einzelleistung übrigens, denn 100 Exemplare des Sechssitzers wurden gebaut.
Unterdessen feilte Ex-Luftschiffer Paul Jaray an seiner "Stromlinie", die sich alsbald zum Nonplusultra unter den windschlüpfigen Kreationen  entwickeln sollte. Sein Trick: Zwei Tragflügelprofile – eines waagerecht, das andere vertikal obendrauf – bilden den Karosseriekörper, im Prinzip zumindest. Das brachte, sofern die Form hinten spitz genug auslief, den gewünschten Erfolg. Cw-Werte um 0,30 waren möglich, wie diverse Beispiele basierend auf Modellen von Adler, Audi, DKW, Maybach, Mercedes-Benz, Tatra und anderen vorführten.

Die Pseudo-Stromlinie machte Furore

Mittlerweile sorgte auch das Staatsinteresse am Schnellverkehr für Rückenwind. Die neuen Autobahnen machten hohes Tempo nicht nur für Rennfahrer, sondern auch für den Bürger erlebbar. Freiherr Reinhard Koenig-Fachsenfeld, der allseits geachtete Aerodynamik-Guru, sowie Wunibald Kamm erkannten, dass die unpraktische, weil zu lange Jaray-Form gewann, wenn man sie hinten einfach abschnitt – das sogenannte K-Heck war geboren. Und alles, was windschnittig aussah, war modisch plötzlich hochaktuell. Die Pseudo-Stromlinie machte Furore – schicke Fließhecks, die nur optisch Wirkung erzielten, unter anderem zu besichtigen am staatlich so verordnetem Volkswagen (Cw 0,50).
Audi 100 C3 Windkanal
Der 1982 vorgestellte Audi 100 erreichte mit bündiger Verglasung einen Cw-Wert von 0,31.
Ende der 50er Jahre hatte sich die automobile Kleiderordnung wieder ins Gegenteil verkehrt. Die Trapezlinie war nun en vogue – kantig, praktisch, aber aerodynamisch keineswegs gut. Rühmliche Ausnahmen wie der frühe Porsche 356 (Cw 0,31), der Citroën DS oder auch der Ford 17M vom Typ Badewanne (beide Cw 0,40) konnten am Trend zur Kastenform nichts ändern. Und auch die Aerodynamik-Sensation von 1967, der NSU Ro 80 (Cw 0,37), verpuffte folgenlos, wie der anschließend präsentierte K70 (Cw 0,50) bewies. Erst der Ölschock der 70er Jahre erinnerte die Autohersteller wieder an die segensreiche Wirkung einer guten Aerodynamik. Citroën schaffte mit dem CX einen Cw-Wert von 0,38, Audi glättete den 100er der Baureihe C3 auf 0,31, Opel zauberte den Omega auf 0,30. Und Mercedes-Benz trainierte der E-Klasse, Baureihe W 124, sogar Cw 0,29 an. Bei der heute üblichen (damals als zu niedrig befundenen) Bodenfreiheit waren es gar nur 0,24 – besser als alles, was danach kam –, und das alles ohne Stromlinie. Was zumindest zweierlei beweist: Die Kunst der Aerodynamik steckt im Detail, und sie tritt seit den 80er Jahren auf der Stelle. Höchste Zeit für einen Aufbruch also.

Von

Wolfgang König