Erfolgreich aber langweilig: So beliebt der 190er Mercedes in den Achtzigern auch gewesen ist – als Baby-Benz für den kleinen Mann im gesetzten Alter war er ein Blutdrucksenker erster Güte. Bis die Schwaben den Biedermann in die DTM geprügelt und dafür gemeinsam mit der damals noch selbständigen AMG die entsprechenden Homologationsmodelle aufgelegt haben.

Mercedes legte 502 Exemplare auf

Mercedes 190 Evo II
Vor 25 Jahren ließ Mercedes die Kleinserie von exakt 502 Exemplaren des 2.5-16 Evolution II von der Leine.
Schon der erste Straßenrenner mit dem kryptischen Kürzel 190 E 2.5-16 Evolution von 1989 dürfte bei manchem schwäbischen Senior ein gewisses Herzflackern ausgelöst haben. Denn wo dem Basismodell anfangs 90 PS und später 118 PS reichen mussten, standen jetzt plötzlich 195 PS im Datenblatt und mit 230 Sachen wurde er zur geheimen Trumpfkarte im Autoquartett. Doch als ein Jahr darauf eine Kleinserie von exakt 502 Exemplaren des 2.5-16 Evolution II von der Leine gelassen wurde, hat der grundsätzlich blauschwarz-metallic lackierte Bulle von Benz das Biedermann-Image gar vollends pulverisiert: 235 PS aus einem extrem hochdrehenden 2,5-Liter-Vierzylinder, 250 km/h Spitze und ein Design wie vom Kampfstern Galactica ließen Mercedes-Kunden vom Glauben abfallen und selbst Porsche-Fahrer den Hut ziehen.
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Mercedes 190 Evo II
Breite Radkästen, 17-Zoll-Felgen, tiefe Schürzen und der riesige Heckspoiler heben den Evo II optisch von seinen braven Brüdern ab.
Im Grunde seiner kantigen Karosse noch immer ein braver Spießer, haben die Designer dem schwarzen Lord im Windkanal eine Ritterrüstung geschneidert, die damals jedem Manta die Schau gestohlen hat und noch heute jedes AMG-Modell zum Klosterschüler stempelt. Die Frontschürze so weit auf den Asphalt heruntergezogen, dass man bei jeder Bodenwelle ein teures Knirschen befürchtet. Die Radhäuser weit genug ausgestellt für die breiten 17-Zöller. Und auf dem Heck einen Spoiler von wahrhaft epischer Größe. Auch innen lebt der Evo II den Kontrast zwischen Sportler und Spießer. Denn bis auf die Skalenringe der Armaturen und die drei Zusatzanzeigen tief unten in der Mittelkonsole haben die Scharfmacher in Stuttgart damals im Cockpit nicht viel verändert. Dafür gab es allerdings komplett neue Sitze. Die sind nicht nur mit einem adrenalintriefenden Muster in Renn-Karos bezogen. Sondern vor allem sind sie selbst auf der Rückbank so tief ausgeschnitten, dass man mit diesem Baby-Benz sogar einen Familienausflug auf dem Hockenheim-Ring machen kann.

Erst bei 7700 Umdrehungen fängt der rote Bereich an

Mercedes 190 Evo II
Bis 60 km/h reicht der erste, bis 100 der zweite, 150 gehen noch im dritten und erst bei 200 raten die Entwickler zum vierten Gang.
Aber es braucht in diesem Auto keine Rundstrecke, sondern fürs Rennfeeling reicht jede einsame Landstraße. Denn das Fahrwerk ist so bretthart und knochentrocken und die Lenkung erstmals im 190er so direkt, dass man es einfach wissen will und die Grenzen von Mensch und Maschine mit jedem Meter etwas genauer auslotet. Langsam und züchtig jedenfalls kann man dieses Auto kaum fahren. Erst recht nicht mit dem serienmäßigen Sportgetriebe. Das hat nicht nur den ersten Gang dort, wo es sich für einen Rennwagen gehört, nämlich unten links. Sondern vor allem ist es so kurz übersetzt, dass man eigentlich direkt durchschalten will in den zweiten und dann in den dritten Gang. Doch das ist ein Fehler. Denn damit wirklich was passiert, braucht der Vierzylinder Drehzahl – und zwar jede Menge. Nicht umsonst erreicht er sein maximales Drehmoment von 245 Nm erst bei 5000 Touren, die Leistungskurve gipfelt erst bei 7000 Umdrehungen und die mit Leuchtfarbe ins Cockpit gepinselten Schalthinweise sind ellenweit auseinander gezogen. Bis 60 km/h im ersten, bei 100 in den zweiten, 150 gehen noch im dritten und erst bei 200 raten die Entwickler zum vierten Gang – kein Wunder, dass der rote Bereich erst bei 7700 Touren beginnt.Unter 3000, 4000 Touren noch handzahm, wie man es vom Baby-Benz nicht anders kennt und dabei für einen Sportwagen ungewöhnlich leise, wird der Schwarze Ritter danach zu einer Bestie: Ungestüm, ungehobelt und vor allem brüllend laut sticht er davon und wer nur lang genug auf dem Gas bleibt, der kann noch heute mit bis zu 250 km/h so manchen Möchtegern-Sportler verblasen. Stark, leicht und schnell – kein Wunder, dass dieses Auto zu den erfolgreichsten zählt, die je in der DTM am Start waren. Die 16 Siege in 24 Rennen jedenfalls, die vielen Punkte, Trainingsbestzeiten, schnellste Runden und Führungskilometer des Evo aus der Saison 1992 sind bis dato unerreicht.
Mercedes 190 Evo II
Wo dem Basismodell anfangs 90 PS und später 118 PS reichen mussten, stehen beim Evo II 235 PS im Datenblatt.
Genau wie seine rohe, wilde Art. Davon kann sich noch heute manches AMG-Modell eine dicke Scheibe abschneiden. Wer so etwas erleben will, darf deshalb keinen C 63 fahren – selbst wenn der mit bis zu 510 PS ungleich stärker ist. Sondern der setzt sich am besten daheim an den Computer und stöbert so lange durch die Gebrauchtwagenbörsen, bis er einen der raren Renner findet. Allerdings wird das kein billiges Vergnügen. Schon 1990 hat Mercedes für den Evo II stolze 115.259 Mark aufgerufen, und als DTM-Pilot Roland Asch kürzlich seinen alten Dienstwagen zurückkaufen wollte, hat der Vorbesitzer über 100.000 Euro verlangt.  Selbst im Stand und übers Internet raubt einem dieses Auto noch den Atem.

Von

Thomas Geiger