Gerald Cron sitzt an einer alten russischen Nähmaschine, durch die vergitterten Fenster dringt mattes Licht in den kleinen gekachelten Raum. Cron bearbeitet die Jute konzentriert, alles muss perfekt sein. Das Gerippe aus Holz, der Jute-Mantel, die Füllung aus Hobelspänen, der allergiefreie Plüsch. Hier, in der kleinen Werkstatt neben dem Schloss Ehrenstein in Ohrdruf, entstehen Fellschaukelpferde so, wie sie vor fast 150 Jahren gefertigt wurden. "Ich mache das jetzt seit elf Jahren", sagt Gerald Cron. "Und wissen Sie was: Ich lerne noch immer." Heizungsinstallateur war er, bis er arbeitslos wurde. Aber er kommt aus einer Region, in der der Spielzeugbau zu Hause ist. Und deshalb leben hier noch viele alte Menschen, von denen Cron lernen kann. Senioren, die einst den Beruf des Spielzeugmonteurs erlernten.
Das feuerrote Spielmobil
Früher gab es zwischen Thüringer Wald und Franken Hunderte kleiner Spielzeughersteller, und weil diese Tradition lebt, führt seit 1997 die Deutsche Spielzeugstraße auf rund 300 Kilometern von Erfurt bis nach Nürnberg. Und welches Auto wäre geeigneter für die Reisestraße als das originale Feuerrote Spielmobil, Held der TV-Kinderserie aus den 70er-Jahren? Der umgebaute Opel Blitz, Baujahr 1962, war 24 Jahre lang verschollen, bis AUTO BILD ihn in Namibia im Süden Afrikas entdeckte und Opel ihn zurück nach Deutschland holte. Die Tour im Spielmobil ist im hügeligen Gelände kein Kinderspiel, aber ein großer Spaß. Hier gilt: Der Weg ist das Spiel. Von Gerald Cron und seinen edlen Rössern geht die Fahrt Richtung Süden. Vorbei an Gräfenroda, dem Geburtsort der Gartenzwerge, kommen wir in die Puppenstadt Rauenstein.
Zu DDR-Zeiten arbeiteten hier Hunderte Menschen im volkseigenen Puppenwerk, 1993 siedelte sich die 1896 in Mannheim gegründete Firma Schildkröt hier an, nutzte die bestehenden Anlagen. In dem eher schmucklosen Gebäude, an dem nur ein paar Puppen- und Bären-Reliefs verraten, was auf den vier Etagen produziert wird, entstehen hochwertige Puppen made in Germany. Die teuersten Modelle kosten schon mal 350 Euro, sie nehmen den Kampf auf gegen billige Massenware aus China. Im Erdgeschoss entstehen die Köpfe, Arme und Beine, indem Vinyl in Kupferformen gegossen wird. Weiter oben machen Näherinnen die Kleider, wird Kunst- oder Echthaar angebracht und klimpernde Augenlider. Auch eine Restaurationsabteilung gibt es, per Post kommen beschädigte Puppen aus Australien oder Südamerika nach Rauenstein.

Der Puppendoktor

Die Patienten von Thomas Packert kommen eher aus der Region. Packert ist Puppendoktor, einer der letzten in Deutschland. Seine Praxis in Neustadt bei Coburg auf der bayerischen Seite der Landesgrenze ist klein, ein Raum voll mit Ersatzteilen und Werkzeug. 500 bis 600 Puppen und Teddybären heilt der 39-Jährige pro Jahr. "Die häufigsten Krankheiten betreffen die Augen und die Gelenke", erzählt Packert. Der Doktor im weißen Hemd hat sein Handwerk vom Vater, Peter Packert gelernt, der mit seiner Kunst traurige Kinder 30 Jahre lang wieder froh machte. Einmal in der Woche hat Thomas Packert Sprechstunde im Puppenmuseum Coburg. Das Feuerrote Spielmobil, das draußen auf der Goethestraße parkt, kennt er noch von früher. "Das ist wirklich das Original?", fragt er. Und dann: "Wie schön, dass ihr vorbeigekommen seid."

Spielzeugautos für das Kind im Manne

Das feuerrote Spielmobilielmobil
Wir schmeißen den Sechszylinder wieder an, der robuste Motor gehorcht immer noch sofort. Mit dem Spielzeug für große Kinder fahren wir die wenigen Kilometer in die deutsche Spielzeugmetropole: Sonneberg in Thüringen. Hier steht das Deutsche Spielzeugmuseum, ein echter Prachtbau. Vom Spielzeug von vor 5000 Jahren über die Vorkriegszeit bis zum modernen Spiel – hier ist alles ausgestellt. Nur ein Beispiel: Das "Fernlenkauto mit Viergang-Schaltung" und Uhrwerkantrieb aus Blech, Gummi, Kunststoff und Holz von 1938. Hergestellt von der Firma Schuco aus Nürnberg. Auch im Gewerbegebiet von Sonneberg geht es um ferngesteuerte Autos – aber um hochmoderne. Auf dem "Raceway" des Modellautobauers Tamiya werden sogar Europameisterschaften ausgefahren. Heute ist nur ein Mann an der Strecke: Tamiya-Mitarbeiter Ronny Klinkel hat gerade einen Prototyp aus Hongkong erhalten und testet auf der Offroad-Strecke Federn, Reifen und den 0,8-PS-Motor, der das Chassis in wenigen Sekunden auf Tempo 65 beschleunigt.

Das Spielmobil öffnet Kinder-Herzen

Kurz nah weg
Auch wir geben Gas und erreichen das südliche Ende der Route. Im Playmobil FunPark in Zirndorf bei Nürnberg wird das Spielmobil von den Kindern bestaunt, obwohl Mama oder Papa oder AUTO BILD erst mal die Geschichte dazu erzählen muss. In dieser wunderbaren Welt des Plastik-Spielzeugs wirkt unser Oldtimer noch etwas älter als die 47 Jahre, die es auf seinem zerdellten, feuerroten Buckel hat. Schnell klettern die Kinder in und auf unser Auto, weil man in diesem 90.000 Quadratmeter großen Freizeit-Areal einfach überall hinaufklettern darf – auf die Ritterburg, das Piratenschiff oder auf den Steinbruch. Es ist ein Paradies in Plastik. Hier endet die Reise auf der Deutschen Spielzeugstraße. Spaß hat es gemacht. Nie war es langweilig, dafür aufregend und lehrreich. Genau wie ein gutes Spiel eben sein soll.

Die Strecke

Die prächtigen Städte und Mittelgebirge von Franken und Thüringen weisen eine rund 300 km lange Erlebnisroute auf, die geradewegs zu den Träumen der Kindheit führt. Die südlichste Station der Deutschen Spielzeugstraße ist die historische Stadt Nürnberg mitten im Herzen Frankens, von wo aus sich ein Abstecher nach Zirndorf zum Playmobil FunPark lohnt. Weiter geht es über das Coburger Land mit seiner anmutigen Hügellandschaft und der "Bayerischen Puppenstadt" Neustadt in Richtung Thüringer Wald. Dort sind im Schaumberger Land die Schildkröt-Puppen beheimatet, die Sammler-Herzen höher schlagen lassen. Über die ehemalige "Weltspielzeugstadt" Sonneberg geht es weiter zur Farbglashütte in Lauscha, um als nächsten Höhepunkt den Großen Inselsberg (916 Meter) zu erklimmen, dem bekanntesten Berg des Thüringer Waldes. 
Weitere Tipps und Übernachtungsangebote zur Spielzeugstraße finden Sie unter: www.kurz-nah-weg.de/Spielzeug.