Am Nachmittag des 12. August 1986 holt Martin Scherzinger seinen Audi 100 Avant (Typ 44 bzw. C3) vom Händler in Singen am Bodensee ab. 426.000 Kilometer später steht der Audi 100 fast so gut da wie einst. Der Lack glänzt in "Tizianrot Metallic", einer Farbe wie vom Lippenstift. Rost? Fehlanzeige. Eine Sache macht den alten Audi einzigartig: Sein Besitzer hat vom ersten Tag an penibel Buch geführt über jede Ausgabe, die im Zusammenhang mit dem Auto anfiel.
Ein Audi fürs Leben
Auch ohne Navi-Display und Airbag wirkt das Cockpit des Audi heute noch modern.
Kaufpreis, Sprit, Versicherung, Steuer, TÜV, Maut, Reparaturen und so weiter – jede Mark, seit 2002 jeder Euro, ist exakt dokumentiert, in zwei kleinen roten Notizbüchern. Alles in allem hat der Audi über 110.000 Euro gekostet, also ungefähr 25 Cent pro Kilometer. Wertverlust spielt bei diesem Auto längst keine Rolle mehr, sein Neupreis von 33.000 Mark verteilt sich auf nunmehr 31 Jahre.

Zweimal jährlich eine Komplettpflege 

Ein Audi fürs Leben
Schlafplatz: Der riesige Kofferraum dient bei Ausflügen ins Allgäu auch mal als Hotelzimmer.
Die erste Familienreise ging am 13. August 1986 in den Gargano, die Spore des italienischen Stiefels. Hinten angehängt ein Wilk-Wohnwagen, 1100 Kilometer am Stück und in den Alpen nicht etwa durch den Gotthard- Tunnel, sondern über den Pass. "Pässe fahren ist unsere Leidenschaft", sagt Scherzinger, "da war der 90-PS-Benziner ganz schön gefordert, mit vollem Gepäck und Wohnwagen." Mit dabei: die Ehefrau und Söhnchen Matthias, damals zwei Jahre alt. Matthias wuchs heran, und schon als Jugendlicher beteiligte er sich am Intensivpflege-Ritual, das dem Audi zweimal jährlich an einem Samstag zuteil wurde: Handwäsche und Lackversiegelung "selbst in der kleinsten Ecke". Rost lässt sich trotzdem nicht ganz vermeiden, an einigen neuralgischen Stellen: Heckklappe und -schürze sind ebenso wenig verzinkt wie die nach einem Unfall im Zubehör gekauften vorderen Kotflügel.

Vier Totalschäden überlebte der Audi 

Ein Audi fürs Leben
Hochregal: Auf dem Dachboden lagern Blech- und Technik-Ersatzteile für den Audi.
Acht Blechschäden gab es seit 1986, zumeist Kratzer, Bagatellen, aber auch vier Totalschäden. Der unermüdliche Einsatz von Sohn Matthias, inzwischen Kfz-Meister, rettet den Audi über die Zeit. Im Internet fanden die Scherzingers günstige Schlachtfahrzeuge, eines sogar in exakt derselben Farbkombination, innen wie außen. Nicht benötigte Teile wanderten ins Lager auf dem heimischen Dachboden. Der Audi kam im Laufe seines Lebens weit herum in Europa, von John O'Groats in Schottland bis nach Süditalien. Bis vor zwei Jahren immer mit dem Wohnanhänger im Schlepp. Heute machen die Eheleute lieber Urlaub im Ferienhaus. "Man kommt ja ohne Wohnwagen auch viel schneller an", sagt Scherzinger. Mit 31 Jahren wirkt das Blech des Audi 100 wie neu, der Lack sowieso. Ziel seines Besitzers ist es, nun auch den Innenraum wieder herzurichten. "Auch wenn ich nicht sagen würde, dass ich ihn liebe – der Audi ist so was wie ein Familienmitglied geworden", so Scherzinger. Das nächste Reiseziel steht auch schon fest: Kalabrien, die Spitze des italienischen Stiefels.

Von

Frank Rosin