Walter Röhrl und der Audi Rallye quattro von 1984 treffen sich zum 30. Geburtstag des quattro-Antriebs auf einem heiklen Teilstück der Rallye Monte Carlo. Auf dem Beifahrersitz: AUTO BILD KLASSIK-Redakteur Frank B. Meyer.
Es gibt Aufträge, die muss man einfach annehmen. Zum Beispiel den, bei Walter Röhrl auf dem Beifahrersitz mitzufahren. Diesen Auftrag hätte ich sogar angenommen, wenn es darum gegangen wäre, Röhrls Copilot in einem Chevrolet Matiz im Bielefelder Feierabendverkehr zu werden. In diesem Fall kam es aber noch besser: Ich sollte ihn begleiten auf dem Col de Turini, einem Pass der legendären Rallye Monte Carlo. Und dann auch noch in seinem Original-Audi Rallye quattro, dem Auto, mit dem Walter Röhrl 1984 die Monte gewann.
Der legendäre Audi Rallye Quattro A2 von 1984 wartet auf seinen Einsatz, inklusive heute völlig undenkbarer Werbung für Zigaretten.Die Vorstellung, in einem Gruppe-B-Rallyefahrzeug mit 360 PS eine enge Bergstraße zwischen Felswänden, Mauern und Abhängen entlangzubraten und dabei dem Fahrer hilflos ausgeliefert zu sein, kann einem schon Angst machen. Aber wenn Walter Röhrl am Steuer sitzt, was soll da schon passieren? Wenn einer das kann, dann er. So überwiegt die Vorfreude, als ich vorm Restaurant "Les Trois Vallées" in der Nähe von Nizza eintreffe und den weiß-gelben Audi Rallye quattro entdecke mit seinem langen Radstand (im Unterschied zum kurzen Sport Quattro), den weißen Rädern und der Zigarettenwerbung drauf, die man so lange nicht auf Rennautos gesehen hat.
Der Meister aller Klassen und sein Audi treffen auf einen alten Gegner, den Col de Turini in den französischen Seealpen.Walter Röhrl kommt dazu, schon in seiner Rallyekombi. Ich fühle mal vor, ob er sich auf die Fahrt freut. "Es ist schon bedrohlich", sagt er, "dass ich immer noch so viel Spaß daran habe wie ein kleiner Bub." Dazu lenkt er mit den Händen in der Luft herum und strahlt. Na dann: einsteigen! Die Feierlaune vergeht mir ein bisschen, als Röhrl weiterplaudert: "Bei dem Auto hier haben sie das Umluftsystem rausgenommen, das den Ladedruck auch beim Schalten oben hält. Dadurch hat er nur noch so um die 320 PS, ist aber vor allem schwieriger zu fahren. Du musst ewig auf den Ladedruck warten. Ich gebe jetzt vor der Kurve Vollgas, damit ich 20 Meter dahinter Beschleunigung habe."
Aufpassen beim Untersteuern
Oha. Das höre ich nicht gern. Es kommt aber noch schlimmer: "Bei dem Rallye Quattro musst du halt aufpassen mit der Lenkerei. Dadurch, dass er kein Mitteldifferenzial hat, hat er zwar eine bewundernswerte Traktion, aber für Kurven ist das nicht so gut. Macht nix, wenn du quer gehst, aber beim Untersteuern musst aufpassen, sonst kann die Rallye gleich vorbei sein." Mein Fünfpunktgurt sitzt inzwischen fest, der Audi Rallye Quattro A2, so die interne Bezeichnung, rollt schon mit Motorgetöse, bellendem Auspuff und dröhnender Karosserie los. Jetzt hänge ich mit drin. Und hoffe, dass Walter Röhrl mit dem schwierigen Motor und dem schwierigen Allrad klarkommt.
Rechts die Felswand, links der Abgrund
Auf der einen Seite Felsen, auf der anderen Seite der Abgrund: Wer hier nicht präzise fährt, riskiert Kopf und Kragen."26 Jahre bin ich net in dem Auto gesessen", ruft er rüber. Danke, will ich jetzt gar nicht wissen. Hinunter geht’s den engen Turini-Pass. Je nach Drehzahl vibriert das Armaturenbrett aus Metall oder das offene Schaltgestänge, der linke Lungenflügel oder die rechte Schulter. Zu unserer Rechten steht die verschneite Felswand, links eine Mauer aus Schnee, unter der sich Betonblöcke verbergen oder Leitplanken oder gar nichts – dahinter steile Abgründe. Hinter der spitzen Rechtskurve auf einmal ein großer Flatschen Schneematsch. "Darauf ist das Auto unkontrollierbar", brüllt Röhrl gegen den gewaltigen Lärm an – na danke, vielleicht nehme ich doch lieber den Bus.
Gibt er schon hundert Prozent?
Aber wieso? Der zweifache Rallyeweltmeister scheint den Wagen doch kontrollieren zu können. Ja, er fährt flott die Straße hinunter, das Heck schert immer mal wieder aus, zumal auf den Eisflächen, aber ich fühle mich sehr sicher. Zu sicher vielleicht. Er gibt doch nicht hundert Prozent, denke ich, ja, da ist immer wieder Schneematsch und Eis, aber ich muss nicht nach Luft schnappen, wie ich es erwartet hatte. Röhrl mag seine Gründe haben, will mich oder das Auto nicht gefährden – aber ein bisschen enttäuscht bin ich schon. Drei Kilometer weiter unten wendet er. Drückt auf seine Stoppuhr. Und tritt aufs Gas! Die Karre schießt krachend bergauf, dröhnt, bräääht, schwänzelt auf dem Schneematsch.
Der Kindergeburtstag ist vorbei!
Ob mit Servolenkung oder ohne, Walter Röhrl lenkt eh lieber mit dem Gaspedal!Walter knallt die Gänge rein, als wollte er das Getriebe und meinen Rücken zerstören. Ahaah, jetzt ist der Kindergeburtstag also vorbei. Achtung, Kehre! Aaachtu – schon vorbei. Heidewitzka, wie er da hindurchknallt! Nächste Kehre. Er weiß schon, dass hinter der Schneewand nur Beton oder der Abgrund wartet, oder? Himmisakra, der Mann lenkt und schaltet schneller als sein Schatten. Pröööm, knall, pröööm, knall – das Spektakel ist vor allem eins: schnell. Dreimal so schnell wie vorhin oder 38-mal so schnell, ich weiß es nicht. 20 Meter nach der Kurve kommt der Ladedruck? Ha! Auf den Zentimeter genau scheint er den trockenen Asphalt abzupassen, um Vollgas zu geben, und wir schießen auf den nächsten Abgrund zu.
Aber dann diese S-Kurve
135 km/h erreichen wir am schnellsten Punkt, irrsinnig auf dieser Strecke ohne Geraden. Schneematsch, quer gehen, Wasser, vorwärts, auf Schnee den Audi zusammenbremsen – Walter Röhrl kriegt das hin, fängt die schleudernden 1100 Kilo schneller wieder ein, als ich "schleu..." denken kann. Und der Mann ist Jahrgang 1947. Aber dann kommt diese S-Kurve. Erst links, wahrscheinlich ist er da 1,62 km/h zu schnell, dann beim Drift in die Rechtskurve rutscht das Heck Richtung Felswand – ganz leicht platscht der bauchige, teure Kevlar-Kotflügel hinten links gegen die verschneite Wand. Sekundenbruchteile später sind wir schon weit, weit weg.
Kleine Fehler ärgern den Perfektionisten
Der Perfektionist in Walter Röhrl ärgert sich auch heute noch über kleine Fehler.Später wird er von einer Situation auf der Monte erzählen, die genau gleich ablief, und nachsetzen: "Das ärgert mich als Perfektionist. Da beginnt die innere Bestrafung: du Arschloch, sage ich zu mir." Mit Pröööm und Knall und Kraweeehl ballert Röhrl das letzte Stück, noch einmal schlingert der Rallye Quattro, dass ich puste wie bei Presswehen, dann schießen wir im Rechtsdrift auf den Parkplatz, auf Rentner in Wanderkleidung zu, die erstarren. In ihren weit aufgerissenen Augen spiegelt sich innerhalb einer Sekunde ihr gesamtes Leben. Walter Röhrl drückt die Stoppuhr und sagt: "Zwei Minuten zwanzig. Sieben Sekunden langsamer als gestern, wo's trocken war."