20 Jahre Mauerfall: Trabant, Wartburg und Co
Trabi kontra Sozialismus

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Hat das Auto den Sozialismus zerstört? Wissenschaftler haben die Rolle von Trabi, Wartburg & Co untersucht. Ergebnis: Wer im Ostblock auf vier Rädern mobil war, genoss individuellen Freiraum – und leistete indirekt Widerstand.
Der Trabi bricht durch die Mauer – das beliebte Fotomotiv an der East Side Gallery, einem der wenigen verbliebenen Mauer-Reste in Berlin, hat allegorischen Charakter. 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs haben sich Wissenschaftler in Ost und West mit der Rolle des Automobils im Sozialismus beschäftigt. Ihre Studien legen den Schluss nahe: Der eigentliche Todfeind von Marx & Engels war gar nicht der Kapitalist – es war der Autofahrer im eigenen Lande. Seine egoistischen Bedürfnisse nach Mobilität brachten nicht nur die Mangelwirtschaft der DDR und anderer Ostblockstaaten dauerhaft in Bedrängnis, sie waren auch Keimzelle des Widerstandes und der Abgrenzung. Die Auswirkungen auf die sozialistische Gesellschaft "waren in der Tat fatal", fasst es der Autohistoriker Kurt Möser aus Karlsruhe zusammen. Einerseits belastete der Versuch, Massenmotorisierung zu ermöglichen, die Planwirtschaft erheblich – andererseits erlaubte der Besitz eines Autos eine begrenzte Flucht aus dem Kollektiv, war also die einfachste Form des Widerstandes.
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Politikum, auch im Westen
Die Amerikanerin untersuchte speziell die Rolle, die das Auto in der Sowjetunion spielte. Offenbar eine sehr große, sonst hätte Chruschtschow nicht mit dem Gedanken gespielt, den Sozialismus 2.0 einzuführen; nach der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln als nächster Schritt das Verbot des eigenen Autos. Warum der Plan letztendlich fallen gelassen wurde, ist bisher nicht erforscht. Möglicherweise aus Sorge, die Umsetzung wäre auf zu großen Widerstand gestoßen? "Das Auto war immer ein Politikum", sagt Professor Möser. Automobilist und Staat, das seien immer Gegensätze gewesen: Hier die theoretisch unbegrenzte Freiheit – dort die Regulierung, die Einschränkung. "Wenn die Mobilität eingeschränkt wird, gerät der Bürger aus seiner Lethargie." Ein Beispiel sei die Ölkrise: Im Herbst 1973 sei in der Bundesrepublik sehr intensiv das Thema Tempolimit auf den Autobahnen diskutiert worden.
Schon das Fahrrad galt einst als "Freiheits-Maschine"

Teetablett und Heckflossen-Verlängerung als Protest
Individualismus drückte sich in der DDR auch darin aus, wie man das Auto individualisierte: So war es zum Beispiel beliebt, die angedeuteten Heckflossen des Trabant noch ein wenig zu verlängern. Wie diese Parodie auf Ami-Schlitten bei den Herrschenden ankam, ist bisher nicht erforscht. Ein anderer verbreiteter Tuning-Ansatz war es, Rückspiegel auf die vorderen Kotflügel zu schrauben. Breitreifen hatten dagegen nur die mit Westkontakten. Das Basteln wurde sogar gefördert: In der Bastelzeitschrift "Praktik" gab es Bauanleitungen, wie man zum Beispiel im Trabi ein Teetablett oder einen Halter für Parkgroschen installierte. Anders sein – die Flucht aus dem Kollektiv, die kleine Revolution fand in der Garage statt. Um aus dem sozialistischen möglichst schnell wieder ein ganz persönliches Auto zu machen, wurden auch gewagte Lackierungen durchgeführt, Nebelscheinwerfer oder Rallye-Spiegel montiert. Möser: "Dabei imitierte man oft Westautos, man versuchte sein Auto westlich aussehen zu lassen."
Zur Arbeit fuhren Bus & Bahn, der Wagen wurde geschont

Sozialistische Autos waren Kinder der Mangelwirtschaft
Zugleich versuchte man wirklich, das "sozialistische Auto" zu bauen. Allerdings eher unfreiwillig, indem die Konstruktion den besonderen Zwängen der Mangelwirtschaft folgte. So wurde der Fiat 124, den die Sowjetunion in Lizenz baute, von russischen Ingenieuren in rund 100 Details auf die schlechten Straßenverhältnisse in der UdSSR angepasst. Auch der ostdeutsche Trabant konnte so nur im Sozialismus entstehen: Die Plaste-Beplankung der Karosserie, die materialsparende Mini-Ausführung, der winzige Motor – alles Spar- und Improviationszwang. "Zugleich waren Trabi wie auch Wartburg so konstruiert, dass die leichteren Instandhaltungsarbeiten auch von weniger qualifizierten Personen erledigt werden konnten", so Möser.
Trabant nT – die Rückkehr des Trabi auf der IAA 2009

"Das Auto hat den Sozialismus gekillt"
Die Wirklichkeit im tristen realsozialistischen Alltag sprach eine andere Sprache. Kein Wunder, dass die DDR-Bürger nach der Wende ihren vierrädrigen Zwangs-Genossen, sobald es ging, gegen einen Westwagen ersetzten. Es ging also weniger um die Banane, als um das Auto. "Ein Kollege hat mal gesagt: 'Das Auto hat den Sozialismus gekillt.' Ist vielleicht etwas simpel. Aber als der ultimative Konsumgegenstand hat es sicher dazu beigetragen", sagt Kurt Möser.
Buchtipp: "Trabant. Fahren – Tanken – Fahren"
Der Trabant ist DAS Auto der DDR: geliebt und gehasst, gepflegt, repariert und nach der Wende tausendfach achtlos weggeworfen, spiegelt er die Sozialgeschichte Ostdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg exemplarisch wider. Über dieses Kultauto, das heute fast den Status eines Youngtimers erreicht hat, berichtet der langjährige Auto-Schriftsteller Peter Kurze in seinem Buch "Trabant. Fahren – Tanken – Fahren." (Verlag Delius Klasing, 110 Seiten, 12,90 Euro, über 200 Fotos und Abbildungen). Zahlreiche Abbildungen aus zeitgenössischen Werbebroschüren, von privaten Trabi-Fahrern und offiziellen DDR-Zeitschriften illustrieren die Vita dieses kuriosen Autos, das 30 Jahre lang fast unverändert gebaut wurde. Obwohl es nie genug gab, sind rund drei Millionen Trabant-Limousinen und -Kombis im Kombinat VEB Sachsenring Automobilwerk Zwickau gefertigt worden. Sie mobilisierten die DDR und transportierten ihre Bürger klaglos ans Meer, in die Berge und 1989 über die endlich offene Zonengrenze in den Westen. Kurze setzt dem Wegbegleiter durch schlechte wie gute Tage in dem unterhaltsamen Bildband ein würdiges Denkmal.
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