Die Sicherheit des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden wird im Frühjahr 1981 von einer Postkarte aus Regensburg bedroht. Die Rückseite ist mit 18 Zeilen in schwungvoller, aber gut lesbarer Handschrift beschrieben, die Vorderseite zeigt einen Fiat 131 Abarth und das Porträt eines Rotschopfs. Die Postkarte stammt von Walter Röhrl, dem damaligen Monte-Carlo-Sieger und Rallye-Weltmeister. Und sie wird das Leben des DDR-Bürgers Peter Arndt aus der Industrie- und Bergarbeiterstadt Aue nachhaltig beeinflussen. Denn Arndt ist der Empfänger dieser Postkarte – und gerät damit unbewusst ins Visier der Staatssicherheit. Fangen wir vorn an: Peter Arndt ist 16 Jahre alt, als die 7. Pneumant-Rallye International im März 1967 durch Aue kommt. Es ist ein Lauf zur Europameisterschaft, deshalb fahren auch Werkswagen von Porsche und Alpine sowie jede Menge Autos von Privatfahrern aus dem Westen mit. "Ich war total fasziniert", erzählt der Sachse, "damals dachte ich: Das willst du auch machen."

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Trabant P 601 Peter Arndt
Mit seiner 50er-Simson fährt er erst bei Moped-Rallyes mit, steigt später auf Motorräder um, fährt ein paar Mal für einen Bekannten als Copilot im Wartburg und borgt sich schließlich den Trabant seiner Eltern aus. "Ich bau da mal einen Bügel rein", erzählt er zu Hause, "das dient ja auch eurer Sicherheit." Was der Sohnemann verschweigt: Den Überrollbügel braucht er, um mit dem Trabi bei Bergrennen und später bei Rallyes für den MC Wismut Aue starten zu dürfen. Zwei Zylinder, zwei Takte und luftgekühlte 26 PS, in der verbesserten Rallyeausführung bis 50 PS: Wer jetzt denkt, dass man damit keine Wettbewerbe fahren könne, der täuscht sich. "Natürlich musstest du immer volle Kanne fahren, um überhaupt eine Chance zu haben", erzählt der 59-Jährige, der heute in Hof lebt, "aber der Rallye-Trabant hatte im Gegenzug eine großartige Straßenlage. Vor allem auf Schotter, Eis und Schnee war das Auto immer gut unterwegs."

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Mit den ersten Erfolgen bekommt Peter Arndt sogar einen Sponsorenvertrag. Die sogenannte Binnenwerbung ist in der DDR zu der Zeit zwar schon nicht mehr erlaubt, aber Betriebe, die in den Westen exportieren, dürfen durchaus Reklame machen – und die Auer Besteck- und Silberwarenwerke (ABS), für die Ingenieur Arndt die Maschinen instand hält, gehören dazu. Fortan trägt der ehemalige Familien-Trabant die Aufschrift "ABS" an der Seite, und auch bei der Teilebeschaffung ist die Stelle in Aue hilfreich: "Wenn ich neue Reifen brauchte, bin ich ins Reifenwerk gefahren und habe denen für die Werkskantine Bestecke mitgebracht. Wenn ich neue Stoßdämpfer brauchte, habe ich die Bestecke ausgepackt. Und wenn neue Federn dranwaren, na, dann bin ich wieder mit meinen Bestecken losgefahren." Aus dem Hobby wird eine Berufung. Als bei den Automobilwerken Zwickau Anfang der 80er-Jahre ein paar ältere Werksfahrer aufhören, soll Peter Arndt hauptberuflich für den Trabant-Hersteller um Titel fahren.

Stasi stoppt Arndt

Die nötige Delegierung von seinem bisherigen Betrieb hat er bereits in der Tasche, jetzt geht es noch um eine Formalie: Weil die Zwickauer auch bei Rallyes in Griechenland und Finnland antreten, also im sogenannten nicht sozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW), muss Arndt Reisekader werden. Und da kommt die Staatssicherheit ins Spiel. "Beim abschließenden Kadergespräch in Zwickau erklärte mir der damalige Leiter der Sportabteilung, dass es ihm leid täte, aber ich sei aus Sicherheitsgründen nicht tragbar", erinnert sich Arndt. Der Ingenieur versteht damals die Welt nicht mehr: Gut, er ist zwar nicht in der Partei, aber dafür ist er verheiratet und hat eine einjährige Tochter. Fluchtgefahr ist also praktisch nicht vorhanden. Einen Ausreiseantrag hat er auch nie gestellt. "Ich muss dir den Grund nicht sagen", eröffnet ihm der Genosse schließlich, "aber ich gebe dir ein Stichwort: Walter Röhrl." Die Postkarte aus Regensburg.

Eine Postkarte von Walter Röhrl beendet Arndts Rallye-Karriere in der DDR

Postkarte Walter Röhrl
Zeitenwechsel. Um exakt 9.45 Uhr, sogar noch 15 Minuten vor dem vereinbarten Termin, betritt Walter Röhrl den Hofer Lokschuppen – das Modelleisenbahngeschäft von Peter Arndt. 28 Jahre nach dem folgenreichen Briefkontakt treffen Rallyefahrer West und Rallyefahrer Ost auf Vermittlung von AUTO BILD KLASSIK aufeinander. Dann betrachten sie gemeinsam die Postkarte, die Röhrl damals in den Osten geschickt hatte, nachdem Peter Arndt ihn schriftlich um ein Autogramm gebeten hatte. Sie kam übrigens in einem Briefumschlag, der folglich von der Stasi geöffnet und wieder verschlossen worden sein muss. "Die Schrift ist so ordentlich, dass ich immer gedacht habe, deine Frau hätte sie geschrieben", erzählt Arndt. Röhrl erwidert: "Nein, nein, ich habe jeden Brief selbst beantwortet!" Und schon damals hat der Weltmeister kein Blatt vor den Mund genommen. "Es drängt sich wirklich die Frage auf, war es richtig, Fiat zu verlassen?", schreibt Röhrl in seiner Postkarte an Arndt und gibt die Erwiderung gleich selbst: "Die Antwort lautet im Moment sicher nein."
Trabant P 601 Peter Arndt
Da ist sein Wechsel zu Mercedes gemeint – die Stuttgarter stoppten ihr Rallyeprojekt, nachdem Röhrl ihnen beigebracht hatte, dass der 500 SL bei der Rallye Monte Carlo nicht siegfähig sei. Und wie geht die Geschichte der beiden deutschen Rallyefahrer weiter? Nun, Röhrl wird 1982 in einem unterlegenen Opel Ascona zum zweiten Mal Weltmeister und endgültig zur Legende. Peter Arndt hingegen fährt als Privatmann noch ein paar Rallyes, wechselt dann zu den Rennbooten, schafft es sogar in die Nationalmannschaft der DDR und hört rechtzeitig auf, bevor er – wie damals manche seiner Konkurrenten – auf dem Wasser sein Leben verliert. Heute fährt er in der Interessengemeinschaft "Slowly Sideways " mit historischen Rennwagen im Rahmenprogramm von Rallyeläufen. Sicher, die Berühmtheit eines Walter Röhrl hat der Rallyefahrer aus Sachsen nicht erreicht. Ein Gewinner ist er trotzdem. Denn Peter Arndt ist noch da und quicklebendig. Der Staat aber, der ihm wegen einer Postkarte den Traum von der großen Rallyekarriere verwehrte, der ist verschwunden.

Von

Alex Cohrs