200.000 Gäste und nur 1,8 Kilometer Rennstrecke, aber mit der legeren Herzlichkeit eines Landes, das alte Autos seit jeher zur Familie zählt. Beim Goodwood Festival of Speed auf den Ländereien des Earl of March in West Sussex ist vieles anders, als es deutsche Oldtimerfans gewöhnt sind. Sogar die Autogrammjäger. Ein Grund, warum Walter Röhrl Goodwood liebt. Klar, auch die Umgebung mit den sanften Hügeln, den kleinen, rosenumrankten Steinhäusern und uralten Pubs. Ganz besonders mag er das Festival of Speed, den weltbedeutenden Event für Freunde des historischen Rennsports. Aber am meisten liebt er die Menschen, die ihn in Goodwood nach Autogrammen fragen. Sie fragen freundlich und bedanken sich herzlich. "In Deutschland schieben sie dir oft einfach nur einen Zettel hin, auch wenn du gerade am Essen bist. Und dann sind sie grußlos weg." Das ist beim Festival of Speed ganz anders, obwohl es dort vor Autogrammsammlern nur so wimmelt. Und auch sonst unterscheidet sich dieses Festival der Geschwindigkeits-Verherrlichung von anderen Terminen der Vollgas-Branche.

Wilde Rennen im wunderschönen Schlosspark

Goodwood Festival of Speed 2009
Schon wegen des Schauplatzes: Die kurze und schmale Rennstrecke schlängelt sich über die privaten Hügel des Earl of March. Führt vorbei am Herrenhaus, das mit seinen vier Türmen auch als Kulisse eines Kitschromans taugen würde. Aber das wirklich Erstaunliche am Festival of Speed ist das Fehlen von Absperrungen, wo immer das irgendwie geht. Nur direkt an der Rennstrecke liegen Strohballen wie damals in den 30ern. Ins Heiligste der Fahrerlager darf jeder. Da brüllt und belfert sich am Morgen der Auto Union Typ D mit seinen zwölf Zylindern warm. Und du stehst auch ohne VIP-Ticket gleich daneben, was erst mal wehtut, wenn du die Ohrenstöpsel zu Hause gelassen hast. Der Bursche, der neben dir steht, sieht auf den ersten Blick aus wie Jacky Ickx. Dann setzt er seinen Helm auf, auf dem Jacky Ickx steht, und fädelt sich ins Cockpit des historischen Renngeräts. Ein paar Schritte weiter signiert Nick Mason, einstiger Drummer von Pink Floyd, in aller Ruhe ein angegilbtes Plattencover aus den sehr frühen 70er Jahren. "Ist schon älter, sechs Jahre oder so", grinst der Besitzer. "Sieben", sagt Mason. Er wirkt allerdings nur so lange ausgeruht, bis auch er im Silberpfeil sitzt und das 70-jährige Rennmonster mit heftigem Lenkradsägen um den kurzen Kurs wuchtet. Er hat Übung, weil er jedes Jahr in Goodwood fährt, als eine Art letzter Werksfahrer der Auto Union. Vergangenes Jahr hat ihm Audi ein sechsstelliges Honorar dafür bezahlt. Es waren genau 152.000 Reichsmark. Das Inflationsgeld aus den 20er Jahren kam von einem Antiquitätenhändler in Ingolstadt. Dieses Jahr fährt Mason für zwei historische Bierkrüge.

Granden des Rennsports, junge Wilde und Hollywood

Goodwood Festival of Speed 2009
Und überall: keine Zäune, keine Gitter, nicht mal Flatterband. Nie waren uns die Rennsport-Titanen näher. Ein kleineres Jubiläum in Goodwood ist übrigens der 40. Geburtstag des legendären Porsche-Seriensiegers 917. Elf Exemplare lassen die Stuttgarter und einige Privatbesitzer in Goodwood fahren. Und wenn sie im Fahrerlager stehen, ist Anfassen das einzige Verbot. Ebenso wie bei George Harrisons psychedelisch bemaltem Mini Cooper S von 1966, dem ältesten bekannten Morgan von 1912, der noch nie in seinem Leben restauriert wurde, oder dem wunderbar patinierten $(LB535397:Bugatti Type 57 S Atalante)$, der kürzlich nach 48-jährigem Garagenschlaf ins Leben zurückkehrte. Aber diese Juwelen müssen in Goodwood nicht fahren. Es reicht, wenn sie da sind. Eine Ausnahme macht der Nachbau jener Extrem-Harley, mit der vor 40 Jahren Peter Fonda durch den Kultstreifen "Easy Rider" fuhr. Die muss natürlich den Berg hoch und runter, vorbei an den vollen Tribünen, denn ihr Fahrer ist ein Originalteil. Tatsächlich: Peter Fonda ist da und fährt noch mal. Der Applaus klingt für ein paar Wimpernschläge lauter als "Born to be Wild" in den Streckenlautsprechern oder das 800-PS-Buggymonster, mit dem US-Fernsehstar Jesse James über den Kurs von Goodwood bolzt. Der hat im Übrigen seine Ehefrau Sandra Bullock dabei. Bei so viel Prominenz lassen sich andere Entdeckungen des Programmhefts gerne mal übersehen. Aber doch, Kennern fällt es auf: Jener Ernst Piech, der den monumentalen Austro-Daimler Prince Henry von 1910 bändigt, ist tatsächlich kein anderer als der Enkel Ferdinand Porsches, der auf stilvollste Weise seinem genialen Opa huldigt. Denn der war von 1906 an Cheftechniker der großen österreichischen Marke. Ernst Piech, ältester Bruder von Ferdinand, ist jedes Mal in Goodwood dabei, wissen Besucher mit Festival-Abo.

Drei Renntage vergehen schnell

So vergehen drei Renntage ziemlich schnell, obwohl sachlich betrachtet nicht allzu viel passiert: 210 historische (und, in der Minderzahl, moderne) Rennsportwagen ballern zweimal täglich den Berg hoch und wieder runter. Zehntausende schauen ihnen dabei zu, wobei es für ihr Vergnügen keine Rolle spielt, ob sie mit einer Coke im Schatten der uralten Bäume im Park sitzen oder vor der 120-Dollar-Champagnerflasche im VIP-Areal. Goodwood tut auf klassenlose Weise gut. Und manche der 200.000 Besucher verlaufen sich sogar ins Wäldchen abseits der Rennstrecke. Dort lässt Lordschaft die Rallye-Klassiker der jüngeren Vergangenheit von der Leine. Gerne quer, meist laut und ganz nah am Publikum. Auch dafür muss man Goodwood lieben.

Von

Christian Steiger