Krach macht der Mercedes 280 GE wie ein richtiger Rennwagen. Das aggressive Bollern aus dem seitlichen Auspuff schreckt die anderen Geländewagenbesitzer auf dem Offroadkurs bei Gießen auf. Bereitwillig räumen sie die Piste. Dabei habe ich im G-Modell von 1983 nur halb so viele PS unter der Haube wie die meisten der aktuellen SUVs um mich herum. Doch die nach heutigem Maßstab bescheidenen 230 PS reichen vor 25 Jahren aus, die Rallye Dakar zu gewinnen. Dies gelingt dem ehemaligen Formel-1-Piloten und sechsfachen Le-Mans-Sieger Jacky Ickx. Der Belgier sichert sich für die Rallye Dakar 1983 die Unterstützung der Stuttgarter Mercedes-Zentrale. Aber für die Entwicklung von speziellen Rennteilen gibt's kein Budget. Die Ingenieure greifen deshalb auf Serienteile zurück. Beim Motor beispielsweise auf das artverwandte Triebwerk des 280 SE. Die Luxuslimousine liefert unter anderem Ansaugtrakt und Kolben. Mithilfe der Hydraulikpumpe der Niveauregulierung konstruieren die Techniker einen Ölkühler für das Vierganggetriebe. Die passende Ölwanne spendet das Mercedes-G-Modell.

Der Serien-G muss kräftig abspecken

Mercedes 280 GE
Der Mercedes 280 GE musste überall Pfunde lassen - wie beim Dakarsieger erhielt auch der Nachbau ein Heckklappe aus Alu.
Nach der Leistungskur hat der Reihensechszylinder besagte 230 PS, 74 mehr als der Serien-G. Zudem spendieren die Stuttgarter Ingenieure härtere Federn, spezielle Stoßdämpfer und Sandreifen. Und der G muss kräftig abspecken. Er bekommt Motorhaube, Kotflügel, Türen und Seitenscheiben aus Kunststoff. Eine aus Aluminium gefertigte vordere Stoßstange und Heckklappe. Die Techniker entfernen auch Unterbodenschutz und Heizungssystem. Der Dakar-G bringt nun 1725 Kilogramm auf die Waage. Etwa eine halbe Tonne weniger als das Serienmodell. Rundstrecken-Ass Ickx legt auch Wert auf Aerodynamik. Im Sindelfinger Mercedes-Windkanal entstehen Alu-Verkleidungen für Dach und Windschutzscheibe. Die Seitenwände werden mit Aluminiumplatten und am unteren Ende mit Plexiglas um mehr als 30 Zentimeter verlängert. Weil ein Dakar-Auto eine Straßenzulassung braucht, müssen die Rückleuchten auch von schräg hinten sichtbar sein.
Dass der Mercedes 1983 bei der 12.000-km-Tortur Paris-Dakar zu den Favoriten gehört, wird schon nach den ersten Etappen klar. Ickx (Nr. 142) und Teamkollege Jean-Pierre Jaussaud (Nr. 143), legen ein höllisches Tempo vor, sind teilweise bis 185 km/h schnell. Doch in der Sandhölle der Ténéré läuft alles anders als geplant. Fast die komplette Rallye verirrt sich in einem Sandsturm. Drei Wertungsprüfungen werden abgesagt. Ickx Wüsten-G hat einen Schaden an der Vorderachse. Jaussaud überlässt ihm die seines Wagens (erlaubt). Und erhält vom Service eine neue (verboten). Er wird disqualifiziert. Ickx gewinnt.

Den Sieger gibts nur als Replikat

Bis heute der einzige Mercedes-Sieg bei der Dakar. Umso erstaunlicher ist, dass die Spuren des Original-Fahrzeuges ziemlich schnell im Sande verliefen. Mercedes sagt, das Auto sei verschrottet worden. "Möglicherweise hat es Ickx aber auch gekauft, umlackiert und weiterveräußert", vermutet Offroader Jörg Sand. Der hat den Ickx-Mercedes originalgetreu nachgebaut. "Basis war ein fast rostfreies Exemplar aus der Schweiz", erzählt Sand. Daraus entstand das noch nicht ganz fertige Replikat. Noch fehlen einige Motorteile und der im Kofferraum untergebrachte 400-Liter-Sicherheitstank. Ausrüster von 1983 wurden kontaktiert. Aber viele Ersatzteile gibt es nicht mehr.

Das G-Modell ist immer noch beliebt

Mercedes 280 GE
Leichtgewicht: Türen aus Kunsstoff und eine Drahtschlaufe statt Innengriff.
Komponenten wie die aerodynamische Verkleidung wurden von Hand nachgefertigt. Einige Teile wie die Gfk-Türen gibt’s noch im Zubehörhandel. Denn das betagte G-Modell ist bei Privatfahrern immer noch ein beliebtes Fahrzeug für Wüsten-Rallyes. Sogar nach der Fahrt im 1983 Dakar-Oldie ist mir klar, warum. Dank Allradantrieb und sperrbarer Differenziale hält das G-Modell selbst die Sahara so schnell nicht auf. Das Fahrverhalten hat zwar eher was von einem Boot. Dafür meistert die vergleichsweise weiche Federung auch meterhohe Sprünge problemlos, die indirekte Lenkung erfordert wenig Kraftaufwand. Mit 230 PS beschleunigt die im Einsatz mehr als zwei Tonnen schwere Fuhre nicht gerade wie ein Dragster. Aber wenigstens sorgt der infernalische Auspuffsound dafür, dass ich mir unheimlich schnell vorkomme.
Fazit von AUTO BILD MOTORSPORT-Testfahrer Christian Schön: 1983 waren Geländewagen noch keine Sport Utility Vehicles (SUVs), sondern echte Arbeitstiere. Dafür ist der Dakar-Sieger ein Paradebeispiel. Serienteile aus Mercedes-Pkw für die Leistungssteigerung zu verwenden, machen aus dem G-Modell einen ernst zu nehmenden Wüsten-Renner.

Von

Christian Schön