Der Deutsche beneidet Italien um sein Wetter, um bissfeste Spaghetti und um den meist exquisiten Bekleidungsstil. Der gilt sogar für Polizei-Autos. Während Inspektor Wanninger, Bayerns TV-Grantler der 60er, noch im BMW-Barockengel unterwegs war und Kommissar Haferkamp einen VW Käfer zum Tatort lenkte, jagten Italiens Carabinieri die Gauner in blau-weißen Alfa Romeo Giulias. Ausgestattet mit Blaulicht und knapp 90 PS, verfolgten sie nicht nur böse Buben, sondern jagten auch durch die Träume von ehrlichen Männern auf beiden Seiten der Alpen. Einmal Carabiniere sein ... Was die Giulia damals so attraktiv machte, zählt bis heute: leichtes Auto, starker Motor – das Erfolgsrezept aller Alltagssportler. Der Alfa gilt als geistiger Stammvater aller späteren BMW 02 und Golf GTI. Von denen hebt er sich auf zwei Arten ab: Vier Türen gab es bei Alfa serienmäßig – ein Detail, das Familiensinn verrät. Und anders als ihre Nachahmer kultiviert Giulia den kantigen Charme der frühen 60er. Da steht der Grill noch ungeniert senkrecht, die Fenster ragen hoch in den Fahrtwind, und das zerklüftete Hinterteil der ersten Serien nennen die Fans "Knochenheck". Menschen wären froh, würden sie so zeitlos altern wie Julia.

Sportsgeist bis ins Blech gepresst

Alfa Romeo Giulia Super 1300 TI
Kaum zu glauben, dass ihr knorriger Charakter tatsächlich im Windkanal geboren wurde. Doch der immer noch gute cW-Wert von (allerdings damals gemessenen) 0,34 beweist, dass der Giulia ihr Sportgeist bis ins Blech gepresst wurde. Und dann der Motor! Liegt da mit seinem Doppelnocker-Zylinderkopf appetitlich wie ein Antipasti-Büfett unter der Haube und erwacht mit einer Klangfülle, wie wir sie heute gar nicht mehr kennen. Der Vierzylinder schnüffelt, brabbelt, grantelt, hustet, rülpst, singt, röhrt, lebt und fegt seinen heißen Atem so freudig aus dem Endrohr, dass man per Gaspedal daraus eine Arie komponieren möchte.

Die Giulia ist anders schön

Genau das macht Alfa fahren zum Erlebnis, sogar in einem nutzwertigen Viertürer wie der Giulia. Dass der nächste TÜV-Besuch mal wieder teuer wird – na und? Wer sich in diese Motoren-Melodie verliebt, hat kein Ohr für Julias Zicken. Objektiv betrachtet fahren brave Bürger-Coupés heute Kreise um den Alfa, nicht umsonst rüsten Liebhaber gern das Fahrwerk mit steiferen Lagern nach oder spendieren ihrer Herzdame den Zweilitermotor des Spider oder Bertone, die ihre Technik aus dem gleichen Baukasten bezogen. Nur beim Blech, da steht die Giulia ohne die Hilfe ihrer schönen Verwandten allein im Regen. Und rostet schneller, als der Rest der Welt. Flott war sie eben schon immer.

Technische Daten

Alfa Romeo Giulia Super 1300 TI Vier Zylinder, Reihe, vorn längs • zwei oben liegende Nockenwellen • Hubraum 1290 cmÍ • 61 kW (82 PS) bei 6000/min • max. Drehmoment 106 Nm bei 4900/min • Fünfganggetriebe • Hinterradantrieb • Scheibenbremsen vorn/hinten • Reifen 155/SR 15 • Länge/Breite/Höhe 4140/1560/ 1430 mm • Radstand 2510 mm • Einzelradauf-hängung vorn, Starrachse hinten • Leergewicht 1010 kg • Beschleunigung 0–100 km/h in 13,0 s • Spitze 167 km/h • Verbrauch 9,8 l/100 km • Neupreis (1965) 8950 Mark.

Historie

1962: Die Giulia TI wird vorgestellt (1,6 Liter, 92 PS). 1964: Sparversion Giulia 1300 mit 78 PS und Einzelscheinwerfern. Der 1600er bringt ab 1970 mit Doppelvergaser 102 PS, der kleine Motor 89 PS. Zugleich Facelift mit Zweikreisbremse, hängenden Pedalen und Zündschloss an der Lenksäule. Das markante Knochenheck verschwindet 1974 mit der glatteren Giulia Nuova (gleiche Leistung). Die Produktion endet 1978 nach 572 646 Exemplaren.

Plus/Minus

Alfa Romeo Giulia Super 1300 TI
Der kantige Alfa ist ein verkappter Sportler im Kleid einer voll alltagstauglichen Limousine. Die Giulia bietet vier Türen, viel Platz unterm hohen Dach und einen respektablen Kofferraum. Aus 16 Jahren Bauzeit gibt es bis heute Giulias für die verschiedensten Geschmäcker: mit Bandtacho für die Sixties-Freunde bis zum Kunststoffgrill der moderneren 70er. Der Antrieb (schon damals mit fünf Gängen!) gilt bei vernünftigem Umgang als solide und haltbar. Was man von der Karosserie nicht behaupten kann. Rost bleibt der größte Feind der schönen Italienerin, erst eine gesunde Vorsorge macht den Alfa ganzjahrestauglich. Und zu einem stilvollen Begleiter, der noch bezahlbar ist.

Marktlage

Das Angebot beginnt bei scheintoten Rostruinen für 1500 Euro und reicht bis über 20.000 Euro für exquisite Sammlerstücke mit lückenloser Historie. Die Masse sammelt sich rund um die 10.000 Euro – eine realistische Investition für eine gute Giulia. Ältere Modelle aus den 60ern sind viel rarer als die Nuova-Glattlinge nach 1974, die eine Option für Sparfüchse sein können. Wichtigstes Kriterium ist der Zustand des Blechs: Wer sparen will, steckt schnell ein kleines Vermögen in Flickwerk.

Ersatzteile

Zuerst die gute Nachricht: Der Antriebsstrang aus dem Baukasten der 105er-Modellreihe ist problemlos und zu akzeptablen Preisen zu bekommen. Schwieriger und teurer wird’s beim Blech. Vor allem Türen sind nur mit gewissem Aufwand zu finden, berichtet Hossein Niemann-Ardehali vom Sportwagen Service Hamburg. Also vor dem Kauf unbedingt das Blech checken: etwa die Längsträger und Federbein-Aufnahmen vorn, Radläufe hinten.

Empfehlung

Wenn Sie eine schöne 1600 Super finden: zugreifen – der große Motor, der schönste Bums, die beste Ausstattung sprechen dafür. Aber nicht blind dem Ideal hinterherrennen: Oftmals finden sich auf der Julchen-Jagd unerwartete Gelegenheiten am Wegesrand. Auch einem 1300 TI strömt der Charme dieser glänzenden Alfa-Ära aus jeder Ritze. Hände weg von Kat-Nachrüstungen: Die bringen nur Ärger!

Adressen

Club: Alfaclub, 32107 Bad Salzuflen, www.alfaclub.de; Alfa Classic Club, 76877 Offenbach,
www.alfa-classic-club.de
Literatur: Dirk-Michael Conradt: Alfa Romeo Giulietta und Giulia, Motorbuch-Verlag (antiquarisch)

Von

Joachim Staat