Der betagte Reihensechser macht fröhlich Schnurrrrr und heiter Summm­summm, während ich das ozeanblaue Opel-Schiff am majestätischen Ruder-Rad rhythmisch auspendele, da­mit es mir nicht aus den Spurril­len schlingert wie ein Frachter aus der Fahrrinne. Ich bin Kapi­tän im 62er Opel Kapitän, sanft schaukelnd über die von Lkw-Reifen ausge­walzte Autobahn A40 bei Moers. Und dann: Wir stecken mitten in einer Reportage über Tankstellen und haben ganz vergessen, Sprit zu fassen. Denn die Tankuhr, na ja, sie ist nicht mehr die Jüngste und ihr Zeiger ein bisschen weltfremd zu einem wonnigen Instrument ewi­ger Fahrt gealtert. Wir erleben den GAU des Automobilisten: Dürre im Tank.
Tankstelle in Essen (1924)
Nun liegt der Kapi­tän an der Ausfahrt Duisburg-Häfen trocken. Kraftlos trudeln wir aus, retten uns warnblinkend auf einen Gehweg an der Werftstraße. Uns fehlten nur noch 30 Kilo­meter bis zur ältesten Tankstelle Deutschlands, in Essen-Holster­hausen auf einem Hinterhof. Sie stammt aus dem Jahr 1924, ver­kauft Aral, was aber nicht dran­stehen darf, denn offenbar ist sie den Aral-Lenkern nicht schick genug. Stattdessen besitzt sie Charme. Ein auskragendes Dach an einem Garagenflachbau, der ehemaligen Kutschenwerkstatt von 1894, darunter drei topmo­derne Tanksäulen mit allem elektronischen Schnickschnack, an die es – Achtersteven voraus – einzuparken gilt.
Ehemalige Tankstelle in Nijmegen (1936)
Vor 70 Jahren standen da noch "Eiserne Jung­frauen", gegossene Ungetüme mit Handpumpe und Messglä­sern. Wir werden nett bedient, von einem echten Tankwart, der kontrolliert sogar das Öl und wünscht eine angenehme Reise. Fast alle historischen Tankstel­len traf das Schicksal hart. Nur wenige überlebten mehr oder weniger original, und wenn, dann meist zweckentfremdet. Wie der Texaco Auto-Palace im hollän­dischen Nijmegen. Seine Architektur stammt aus dem Jahr 1936. Jetzt betreibt der Architekt Koos van Lith sein Büro in dem aufregenden Gebäude. Ein Musterbeispiel für beste Form ist auch die Station des dä­nischen Designers und Archi­tekten Arne Jacobsen nördlich von Kopenhagen, direkt am Meer, auch eine 1936er, auch für Texaco.

Opel hat die treuesten Fans

Die Ölkonzerne selbst haben es hingegen nicht so mit der Historie, am wenigsten kümmert sich Shell. Dass Ulf Berger, Alleinunterhalter sei­nes Tankstellenmuseums mit ehemaliger Shell-Tankstelle im sächsischen Kamenz, auch nur ein klein wenig Unterstützung bekäme, ist Wunschdenken. Für Romantik und die Bedeutung des eigenen Tuns scheint Shell nichts üb­rigzuhaben. Esso ist da traditi­onsbewusster. Es gibt eine gut gemachte Broschüre und zum Beispiel eine restaurierte Tank­stelle in Wolfsburg, die heute von Volkswagen Classic genutzt wird. Mit Esso-Logo wurde auch eine ehemalige Esso-Station aus dem Jahr 1937 im brandenburgischen Gransee verziert. Sie galt seiner­zeit, kaum zu glauben, als Groß­tankstelle! Nun ja, es passen un­gefähr zwei Opel Kapitän gleich­zeitig unters Dach.
Ehemalige Tankstelle in Gransee
Jetzt wurde daraus laut Schild ein "Drive In Imbiss". Kaffee zu 50 Cent, Bratwurst mit Brot für 1,30. Den Schriftzug "Esso" hat der Betrei­ber schlitzohrig zu "Essen" umgetextet, man merkt es erst beim zweiten Hinschauen. Manche Leute auch gar nicht, die an den innerlich hohlen Säulen Sprit zu zapfen beginnen und schon mal richtig sauer werden, weil da nix fließt. Als wir dann dem Heimathafen entgegenschippern, singt im MP3-Player, Entschuldigung, Hans Albers heiser "Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise". Unser Opel sagt dazu nur Schnurrrrr und Summm­summm. Denn der launischen Tankuhr begegnen wir inzwi­schen mit Kilometerzählen und Kopfrechnen. Wie früher.
Lust bekommen auf klassische Tankstellen? In der Bildergalerie gibt es mehr davon!