Solche Geschichten kann nur das Leben schreiben. Irgendwo in Texas steht der letzte Horch, der je gebaut wurde. Ein Unikat aus dem Jahr 1953, das längst als verschollen galt. Dabei hat ein Sammler seit 1967 auf den Wagen aufgepasst.
Al Wilson ist verrückt nach Autos, seit er denken kann. Irgendwann in den 60er-Jahren hat er das Sammeln angefangen. Und nie aufgehört. Al war in seinem Leben alles. Autoverkäufer, Manager einer Schuhfabrik, Inhaber einer Firma für Stahlverarbeitung. Er lebt in San Angelo, einer Stadt mitten in Texas, die einen skurrilen Rekord hält: Sie ist die größte der USA ohne Interstate-Anschluss. Zufällig kommt hier niemand vorbei. Doch jetzt ist eine Delegation aus Ingolstadt gelandet. Vor Al parkt ein Hudson Terraplane aus den 30ern. "Das erste Auto, das ich restauriert habe", sagt er. Vor vierzig Jahren war das. Ein MG TF steht in seiner Blechhalle, ein Cadillac Lasalle, ein Jaguar E-Type, sogar ein Mercedes 300Adenauer als viertüriges Cabrio. Drum herum verteilen sich ein paar Dutzend Autos, bewacht von Kakteen und Klapperschlangen. Rare, aber völlig verbrauchte De Soto, Chrysler, Ford aus den 50er- und 60er-Jahren sind hier gestrandet.
Er will sie restaurieren, erklärt Al. Mit seinen 78 Jahren hat er mehr Pläne als ein Teenager. Und: Er besitzt den letzten Horch, der je gebaut wurde. Es ist eine verrückte Geschichte. Sein Schwager war es, der ihn 1967 anrief. Da sei ein alter Wagen auf seinem Schrottplatz gelandet, der zu skurril sei, um ihn zu verschrotten. "Oorrsch" muss er am Telefon gesagt haben, und Al meinte, irgendwas wie "Poorsch" verstanden zu haben. Er zahlte 500 Dollar, und eigentlich war es kein Kauf. Al bot ihm Asyl, aus Neugier und ohne zu wissen, was das heißt: ein Horch, Baujahr 1939. Immerhin saß ein V8 unter der Haube. Al spürte einen amerikanischen Horch-Sammler auf. Der konnte den Fund nicht zuordnen, und so schrieb Al Briefe. Er schickte sie zu Audi nach Ingolstadt, ans Deutsche Museum nach München, sogar in die DDR. Die Antworten ließ er sich übersetzen. Er hat sie alle aufgehoben. Jetzt, Anfang 2008, zieht er sie aus einer dicken Mappe.
Erste Hilfe: Al Wilson spendierte neue Lager und Dichtungen
Ein Umschlag ist dabei, auf dem ein Stempel für die "Leipziger Frühjahrsmesse 1969" wirbt. Für einen Texaner war das weit weg. Sehr weit. Der DDR-Bürger, der damals zurückgeschrieben hatte, war Dr. Peter Kirchberg, ein Auto-Union-Experte, der heute Audi in Sachen Historie berät. 1969 tippte Kirchberg in seine Schreibmaschine, dass er Al Wilson "zum Kauf des Horchwagens" gratuliere. Zwei Adressen in der DDR folgten, auch Fotos legte er bei. Sie zeigen Horch-Modelle, wie sie typisch für 1939 waren: mit frei stehenden, schwungvollen Kotflügeln. Al Wilson half das nicht: Sein Horch sah anders aus. Er forschte weiter, doch niemand schien sich erinnern zu können. Irgendwann gab er das Forschen auf. Das hielt ihn nicht ab, seinen Schatz zu heben. Dem Motor spendierte er neue Lager und Dichtungen, prüfte und stellte ihn ein, bis er wieder lief.
Ein lädiertes Getriebezahnrad bereitete Probleme. Al ließ das Teil aufschweißen. Tagelang feilte er von Hand, bis alle Zähne in Form waren. "Ich bin mit dem Horch gefahren", sagt er: "Exzellent lief er." Doch nach 20 Meilen war das Zahnrad wieder zerbröselt. Al schob den Horch beiseite. "Ich hatte ja keine Ahnung, was ich da hatte", sagt er.
Alles war Handarbeit
Heute weiß er es. Auf dem Tisch in seiner Halle liegt ein Stapel alter Fotos, die Audi-Historiker Ralf Hornung aus Ingolstadt nach San Angelo mitgebracht hat. Al staunt: Sie zeigen den Bau seines Wagens. Auf einem Bild steht eine Gruppe Männer am Horch. In ihrer Mitte eine Tafel, auf der in akkurater Schrift steht: "Die herzlichsten Glückwünsche zum 67. und gute Fahrt". Ralf Hornung weiß, wer angesprochen war: Richard Bruhn, der erste Auto-Union-Chef nach dem Zweiten Weltkrieg. Sein Dienstwagen war ein DKW 3=6, mit Chauffeur. Ein seltsames Bild muss das gewesen sein: der Industriekapitän, umgeben von einer blauen Zweitaktfahne. Doch der 3=6 war das luxuriöseste Modell der Marke, mehr gab es nicht. Zu wenig für den Herrn Direktor, befürchteten die Verantwortlichen.
Dabei stand die Luxusmarke Horch doch vor dem Zweiten Weltkrieg für den dritten der vier Ringe, die den Auto-Union-Konzern bildeten. Doch in den Aufbau-Jahren gab niemand Horch die Chance für einen Neubeginn. Nur 1953 glimmte die Hoffnung alter Mitarbeiter noch mal auf, die nach dem Krieg aus Sachsen Richtung Ingolstadt geflohen waren. Um Direktor Bruhn ein adäquates Fahrzeug zu bieten, erzählt Ralf Hornung, schien ein Horch die ideale Wahl.
Der Aufbau der Karosserie ist bis ins Detail dokumentiert
Als Basis diente eine 830 BL Pullman-Limousine aus dem Jahr 1939. Neuere Modelle gab es nicht. "Der Aufbau der Karosserie ist gut dokumentiert", sagt Ralf Hornung: "Selbst Details sind nachvollziehbar." Einer der Männer auf dem Gratulationsbild ist Erwin Appel, heute 81 Jahre alt. Nichts hat er vergessen: "Ein Dutzend Mann hat es gebraucht, um die alte Pullman-Karosserie abzuheben." Alles war Handarbeit. Erst bauten Modellschreiner Holzformen, dann klopften Karosseriebauer sorgfältig Bleche darüber. "Für einen Kotflügel", weiß er noch, "brauchten wir eine Woche." Nach fünf Monaten war der Nachkriegs-Horch fertig. Es war zugleich der letzte. Doch Direktor Bruhn reiste nun im Fond, mit standesgemäßer Trennscheibe zum Chauffeur. Zu einer Serie ließ sich der Auto-Union-Boss allerdings nicht verführen – eine Rückkehr aus dem Nichts in die Oberklasse schien viel zu gewagt. Vermutlich hatte er recht. BMW bewies es Jahre später: Mit V8-Noblesse ließ sich kein Geld verdienen.
Nun steht Ralf Hornung in Texas und ist glücklich. Weltweit spürt er verschollene Autos für die Werkssammlung auf. Noch vor kurzem endete die letzte Spur des Wagens mit einem Foto. Werner Oswald hatte es 1980 in seinem Standardwerk über Horch-Automobile abgedruckt: Irgendwo in Amerika habe "jemand das Wrack auf einem Autofriedhof" fotografiert, schrieb er.
Ein in Deutschland stationierter US-Soldat kaufte den Bruhn-Horch
Damit schien das Schicksal besiegelt. Bis Ralf Hornung Post bekam. Und seitdem weiß, dass der Fotograf Al Wilson war. Sogar das fehlende Puzzlestück in der Geschichte ließ sich inzwischen finden. Ein in Deutschland stationierter US-Soldat kaufte den Bruhn-Horch, als man in Ingolstadt nichts mehr mit ihm anzufangen wusste. Er nahm ihn mit in seine Heimat. Als das Getriebe platzte, ließ der GI ihn stehen, irgendwo in Texas. Das Leben kann spannender sein als jeder Krimi. Und schöner, weil es kein Opfer gibt. Denn auf den letzten Horch wartet das zweite Leben, weil Al Wilson zum Verkauf bereit war. "Er gehört nach Hause", sagt er. Nun will Ralf Hornung das Unikat restaurieren lassen. In einem Container hat der Bruhn-Horch inzwischen die Heimreise angetreten. Als die Nachricht in Ingolstadt bekannt wird, kann es Erwin Appel kaum fassen. Bald wird er das Einzelstück wieder sehen, dessen Blech er vor 55 Jahren in Form geklopft hat. "Wir waren ja so stolz damals", sagt er. "Stolz und sehr beeindruckt."
Die Karriere des begnadeten Konstrukteurs August Horch
Er war ein begnadeter Konstrukteur, dieser August Horch, der 1899 seine erste Firma gründete – sie trug seinen Nachnamen. Horch hatte Ideen und war innovativ, baute den ersten deutschen Vierzylinder und engagierte sich stark im Motorsport. Mit Erfolg – und hohen Kosten. Es kam zu Differenzen zwischen ihm und seinen Geschäftspartnern. 1909 stand Horch ohne Horch da. Kurzerhand gründete er eine neue Firma, die er jedoch nicht mehr nach sich benennen durfte. Er taufte sie Audi, lateinisch für "horch" oder "höre". Damit standen Horch und Audi im Wettbewerb, bis sie 1932 unter dem Dach der neu gegründeten Auto Union zwangsvereinigt wurden. DKW und die Auto-Sparte von Wanderer waren ebenfalls eingebunden. Und August Horch gehörte dem Aufsichtsrat des neuen Konzerns an. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen die sächsischen Produktionsstätten der Auto Union unter sowjetischer Verwaltung. Aus ihnen entwickelte sich die DDR-Automobilindustrie, während in Ingolstadt ein Zirkel ehemaliger Auto-Union-Mitarbeiter die Marke DKW neu aufbaute. Die Horch-Markenrechte wanderten so ebenfalls westwärts. August Horch war, trotz seines hohen Alters, einer der Motoren dieses Wiederbeginns. Er starb 1951.
Technische Daten Bruhn-Horch (1953)
V8-Motor • vorn längs, Hubraum 3823 cm3 • Leistung: 92 PS bei 3600/min • Hinterradantrieb • Viergang-Getriebe (mit Ferngang) • Radstand 3350 mm • Leergewicht 2100 kg • Höchstgeschwindigkeit 125 km/h