Das MG-Alphabet

"Em Dschi". Der Kenner sagt "Em Dschi". Was sonst? "Em Ge?" Nee, das klingt nach Bundeswehr und nicht nach englischen Roadstern. Fakt ist: Nur wer "Em Dschi" zur Marke mit dem Oktagon sagt, kennt sich aus. Alle anderen haben keine Ahnung. Fachchinesisch ist für Autofans so wichtig wie hochoktaniger Sprit für Sportwagen. Also weiter im Alphabet: "Em Dschi Ti Ef" heißt der letzte MG aus der bereits vor dem Krieg aufgelegten T-Serie. Zwei Jahre lang wurde er gebaut. Von 1953 bis 1955. Das allerdings ist auf den ersten Blick schwer zu glauben. Auch auf den zweiten und dritten. Denn der TF sieht viel älter aus, als er ist.

Früher war das ein Problem. Heute wird das Manko zur Marketing-Masche. Die MG-Manager haben die Bezeichnung TF aus der Mottenkiste geholt. Statt MG F heißt der aktuelle Roadster wieder MG TF. Von wegen Namen sind Schall und Rauch. Namen sind bares Geld. Ein MG TF verkauft sich leichter als ein MG F. Oder? Hoch leben die Experten. Aus dem Geschichtsbuch wollen sie Kapital schlagen. Gar nicht so einfach. Die Firmenhistorie ist kompliziert. M, C, D, F, J... - Vorkriegs-MG wurden wild durchbuchstabiert.

Bis zur T-Serie 1936. Da bekam die Typologie plötzlich Logik. Zwar hatten Autos in England auch weiterhin das Steuer rechts, aber immerhin führte MG nachvollziehbare Namensregeln ein. Das erste T-Modell erhielt den Zusatz A. Das machte Sinn. So ging es munter weiter: TB, TC, TD und schließlich TF. Auf den ersten Blick sehen sie alle gleich aus. Derartige Unkenntnis sollte man allerdings nie im Kreise von "Em Dschi"-Enthusiasten zu erkennen geben. "Shocking", sagen sie dann und laufen aus wie schottische Whiskyfässer.

Das Dach ist nur eine Kapuze

So viel steht fest: Der TF hatte ein ernstes Problem. 1953 war er nagelneu, steckte aber angesichts der angestaubten Optik schon bei seiner Geburt in der Midlifecrisis. Seine antiquierte Karosserie erinnert an Vorkriegsmodelle. Die Konkurrenz hatte mehr zu bieten. Triumph präsentierte ebenfalls 1953 den rassigen TR2, Austin Healey einen 160 km/h schnellen Zweisitzer, und Jaguar sorgte mit einem Roadster für Furore, der über 200 km/h schaffte.

In diesem Umfeld war der TF ein Fossil. Geschwungene Kotflügel, hoher Kühlergrill, hinten angeschlagene Türen, zwei seitlich öffnende Motorhauben und das außen am Heck montierte Reserverad stammen aus dunklen Vorkriegsjahren. Fans nennen so was klassisch. Kritikern war der TF aber zu unpraktisch und zu langsam. Ob stilvoll oder lahm, eines ist er ganz gewiss: ein Anglo-Roadster reinsten Wassers. Das bedeutet vor allem den Verzicht auf ein richtiges Verdeck. Sein Dach ist bestenfalls eine schlechte Kapuze. Wer die Seitenscheiben montieren will, muss mit einem fummeligen Steckmechanismus kämpfen.

Deshalb fahren die meisten TF permanent offen durch den englischen Landregen. Auch Nebel, Sturm und sogar Schnee können echte TF-Lenker nicht schocken. Engländer eben. Harte Jungs, die auch bei Minusgraden in kurzen Hosen und T-Shirts an ihren Autos basteln. Festland-Europäer schütteln mit dem Kopf und drehen die Heizung wärmer.

Gnadenlose Enge im Innenraum

Roadsterfahren ist nämlich eine Philosophie. Ihre Besitzer sind demnach Philosophen. Waschechte Vertreter dieser Gattung Mensch haben eisenharte Grundsätze. Für sie gehört das Triebwerk nach vorn und der Antrieb nach hinten. Dann noch zwei Sitze in die Mitte - fertig. Andere Konzeptionen verdienen nicht das Prädikat Roadster. Der TF erfüllt diese Kriterien. Mehr noch: Er glänzt mit liebevollen Details. Ob verchromte Flügelmuttern am Scheibenrahmen oder die roten Ledersitze, ob achteckig eingefasste Instrumente oder der blitzende Tankschnellverschluss - ein Oldtimer im besten Sinne des Wortes.

Die Selbstmördertüren werden mit Chromklinken geöffnet. Anschließend lässt sich der Fahrer hinter das riesige Bakelit-Lenkrad plumpsen. Die Sitzverstellung ist minimal. Folge: Normalgewachsene hocken zu dicht am Volant. Gelenkt wird mit angewinkelten Armen. Gnadenlose Enge herrscht auch im Fußraum. Die Pedale liegen so dicht beieinander, dass es schwer fällt, sie einzeln zu treffen. TF-Fahrer bevorzugen schmales Schuhwerk.

Gestartet wird der Motor per Zugknopf. Er hustet kurz und läuft mit einem sonor-kernigen Knattern los. Erster Eindruck: Der TF fährt wie ein Auto. Rauf auf die Bremse. Dabei passiert wenig. Trommeln halt. In die Kurven muss man diesen MG mit Gewalt zwingen. Er hüpft und schwänzelt, wackelt und klappert.

Ohne BMW zurück ins Rampenlicht

Zweiter Eindruck: Dies ist kein Auto, sondern ein Schnauferl. Ein Veteran. Ein Wagen von vorvorgestern. Sein Kastenrahmen sitzt hinten auf Blattfedern, was dazu führt, dass er über Bodenwellen tanzt wie ein Schlauchboot im englischen Kanal. Kein Zweifel: Dieses Auto lebt. 9600 Exemplare liefen in knapp drei Jahren im MG-Werk Abingdon vom Band. Eine respektable Zahl. Moderne Sportwagen sahen Mitte der 50er Jahre jedoch anders aus. Wie ein Porsche 356 zum Beispiel. Oder ein Alfa Romeo Giulietta. Wie gesagt: Der TF war bereits bei seiner Geburt steinalt.

Auf der Insel ist seitdem manches, aber nicht alles anders geworden. Im Pub wird die Zeche immer noch mit Pfund statt Euro bezahlt, und die Autos fahren immer noch links. Doch sonst? Von Britanniens einst stolzer Autoindustrie ist nicht viel übrig geblieben. Austin, Morris, Triumph, Riley...? Alles Geschichte. Auch MG war eigentlich schon tot. Bis MG-Eigner Rover sich 1995 für eine Wiederbelebung der Marke entschied. Das Ergebnis der Operation hieß MG F. Zwei Sitze, schnittige Karosserie, starker Motor plus achteckiges MG-Zeichen - fertig war die Reinkarnation der Legende.

So etwas sieht man gerne im traditionsverliebten England. Doch alles kam ganz anders. Denn MG und Rover gehörten schon zum BMW-Konzern, und der wollte in der gleichen Marktnische auch seinen Z3 vermarkten. Der Aufbruch aus den Trümmern der Vergangenheit wurde für MG zum Rohrkrepierer. Auch das ist inzwischen Geschichte. Ohne BMW am Ruder darf MG endlich ins Rampenlicht fahren. "Die Münchner hatten angeordnet, dass unsere Autos nicht zu sportlich sein durften", erinnert sich MG-Rover-Marketingvorstand John Parkinson. Für ihn ein Fehler. Der Wert der Marke MG sei extrem wertvoll. Besonders in Amerika. "Neue MG-Modelle haben ein gewaltiges Potenzial." So reden Verkäufer.

Eher ein Spider als ein Roadster

Nun soll also der neue TF an die britische Roadster-Tradition anknüpfen. Die Sache hat nur einen Haken: Der Neu-TF ist genau genommen kein Roadster. Sein Motor sitzt nicht vorn, sondern in der Mitte. Der Begriff Spyder trifft deshalb besser. 160 PS holt das Topmodell aus seinem 1,8-Liter-Vierzylinder. Vom klassischen Langhuber keine Spur. Der von oben völlig unzugängliche Quermotor ist eine Drehorgel. Erst ab 5000/min packt er richtig zu und kreischt laut bis 7100/min. Die feine englische Art ist das jedenfalls nicht. Wenig Drehmoment untenrum, kein Bollern, viel Schaltarbeit und glattes Styling - MGs neuer TF ist eher ein verkappter Italiener.

Daran ändern auch der kleine Union Jack und die karierte Flagge hinter den vorderen Rädern wenig. Die Plaketten haben eher Alibi-Funktion. Motto: Seht her, ich bin tatsächlich ein Engländer! Dass der frisch renovierte Pseudo-Roadster dennoch viel Fahrspaß bietet, verdankt der MG TF vor allem dem komplett überarbeiteten Fahrwerk. Statt der skurrilen Hydragasfederung - in ähnlicher Form bereits im Mini von 1959 verwendet - kommen konventionelle Schraubenfedern und eine aufwendige Mehrlenkerachse zum Einsatz.

So ausgerüstet, ist der TF der Neuzeit ein nach Kurven gierendes Spaßgerät. Dabei kommt ihm natürlich sein Mittelmotor-Konzept zugute. Die Haftgrenze ist sehr hoch. Diese Auslegung prädestiniert ihn für Pass-Straßen, Haarnadeln und enges Landstraßengeschlängel. All das ist in Großbritannien selten zu finden. Irgendwie ist dem englischen Enkel der Stallgeruch abhanden gekommen, er ist zum Europäer geworden.

Die MG-Historie

Die MG-Historie Ein Mann, eine Vision: Cecil Kimber träumte als Manager der Morris Garages in Oxford von sportlichen Autos. 1923 baute er den ersten Morris Cowley zum M.G. um. Die Abkürzung für Morris Garages trug anfänglich noch Punkte zwischen den Buchstaben. 1925 präsentierte er "Old Number One". Die Marke hieß jetzt schlicht MG. Kimber nahm mit seinen Kreationen an Rennen teil, machte MG dadurch bekannt. 1929 zog die Firma nach Abingdon. Dort begann die Produktion der Midget-(Mücke) Modelle.

Die preiswerten Vierzylinder waren gefragte Autos für sportliche Fahrer. Außerdem gab es Sechszylinder. In den 30ern wurde MG durch viele Rennerfolge weltberühmt. Nach dem Krieg baute die Firma neben Sportwagen auch Limousinen. Mit dem MG A entwickelte sich der Betrieb zum Massenhersteller. Der anschließende MG B wurde sogar zum meistverkauften Roadster der Welt. Es folgte noch ein MG C mit sechs Zylindern. 1979 war Schluss. Abingdon machte dicht. Mit dem Achtzylinder-Typ RV 8 flackerte der Name MG kurz wieder auf. 1995 begann Rover mit dem Bau des MG F.

Technische Daten

1954er MG TF Vierzylinder-Reihenmotor, vorn längs eingebaut • seitliche Nockenwellen, über Kette angetrieben • zwei Ventile pro Zylinder • Bohrung und Hub 66,5 x 90 mm • Hubraum 1250 cm3 (TF 1500 ab 1954: 1466 cm3) • zwei SU-Vergaser • Verdichtung 8,0:1 • Leistung 58 PS bei 5500/min (TF 1500: 64 PS bei 5000/min) • 88 Nm bei 3000/min • Vierganggetriebe • HinterradantriebReifen 5.50-15 • Leergewicht 875 kg • Tankinhalt 57 l • Beschleunigung 0-100 km/h in 18,9 s • Höchstgeschwindigkeit 129 km/h • Wert ca. 25.000 Euro

2002er MG TF 160 Vierzylinder-Reihenmotor, quer vor der Hinterachse • zwei oben liegende Nockenwellen • 1796 cm3 Hubraum • Leistung 118 kW (160 PS) bei 6900/ min • max. Drehmoment 174 Nm bei 4700/min • Fünfgang-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb • ABS • innenbelüftete Scheibenbremsen vorn • Reifen vorn 195/45 R 16, hinten 215/40 R 16 • Tankinhalt 50 l • Kofferraumvolumen 210 l • Verbrauch 7,5 l auf 100 km • Beschleunigung 0-100 km/h in 7,6 s • Höchstgeschwindigkeit 220 km/h • Preis 24.710 Euro