Es ist der Code 01014, Artikelnummer C700 0019/80, der Mercedes’ dunkler Seite richtig Macht verleiht: "Leistungssteigerung auf 283 kW (385 PS) bei 5500/min durch Umbau auf 6,0 l Vierventilzylinderköpfe inkl. Sportauspuffanlage, Motor aus- und einbauen. Kompl.-Preis 61.850,70 Mark." Nicht nur bei der Leistung, auch beim Preis überholte AMG die Ausgangsbasis von Mercedes. Ein M117-Tuning im Gegenwert eines Mercedes 300 CE sowie einige Extras für die gleiche Summe noch obendrauf! Plus den Kaufpreis für das Basisfahrzeug von 143.500 Mark. Dabei war die Karosserie dieses am Ende rund 270.000 Mark teuren AMG 560 SEC 6.0 noch nicht einmal kostenpflichtig verbreitert worden.
Mercedes 560 SEC AMG 6.0
Die Farbe Schwarz prägte das AMG-Erscheinungsbild auf Jahre. Von den Erstbesitzern wurde sie als Inbegriff kraftvoller Zurückhaltung empfunden.
Bild: Roman Raetzke
Ja, auch das gab es, dabei galt das großformatige Coupé der Baureihe 126 schon zu Lebzeiten als das Meisterwerk seines Schöpfers Bruno Sacco, als der Ausdruck all dessen, was Mercedes ausmachte. Ein Fahrzeug voller Würde, von überlegener Kraft – und vom Selbstverständnis seiner Konstrukteure beseelt, das beste Auto der Welt gebaut zu haben. Wer könnte mehr wollen, als ein 560 SEC zu bieten hat? Wer? Auch wenn ein SEC in offensivem AMG-Trimm nach 25 Jahren noch immer Köpfe zum Schütteln bringt: Es waren keineswegs nur enthemmte Fantasten, halbseidene Spekulanten oder Oligarchen, die bei AMG ihren neuen Mercedes ablieferten und einen Zuschlag verlangten. Es waren meist hart arbeitende Ingenieure, Kaufleute und Technik-Aficionados, es war die erfolgreiche Mittelstandselite der Bundesrepublik, die in AMG-Produkten eine Steigerung des Besten erkannte.

Der große Preis: Mercedes 300 SE (W112)

Mercedes 560 SEC AMG 6.0
Volles Rohr: Technik und Auftritt des AMG-SEC stehen für absolutistische Machtfülle. Null auf 100 in sechs Sekunden, Spitze über 280 km/h!
Bild: Roman Raetzke
Darin war sie den AMG-Gründern Hans-Werner Aufrecht und Erhard Melcher ähnlich. Beim Entwickeln, Konstruieren und Testen hatten sich der Schwabe und der Rheinländer beim gemeinsamen Arbeitgeber Daimler-Benz kennengelernt. In Aufrechts Wohnzimmer arbeiteten sie in der Freizeit weiter: Oben wurde ausgedacht, im Keller an Motoren gebaut und in der Garage an Fahrwerken getüftelt. 1967 machten sie sich selbstständig, angeblich hoben sie sogar die Grube in der Alten Mühle in Burgstall eigenhändig mit der Schaufel aus. Es war die Geburtsstunde der Firma AMG. Was Aufrecht und Melcher da taten, wagten andere noch nicht einmal zu denken: einen Mercedes besser und schneller zu machen als vom Werk vorgesehen. Sie trauten sich, was ihren Ex-Kollegen untersagt blieb: Sie traten mit einem frisierten 300 SEL 6.3 bei Rundstreckenrennen an und machten auch vor der Mittelklasse nicht halt. Einen 250er-Automatik-/8 bohrten sie bis 2,8 Liter auf, mit 185 PS fuhr der 195 km/h Spitze. Und dass ein viertüriger W123 mit Speichen-Alus und mattschwarzem Kühlergrill aufgerüstet werden konnte, wunderte irgendwann schon keinen mehr – getunte Mercedes waren in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Die große Sause: Mercedes 300 SEL 6.3

Mercedes 560 SEC AMG 6.0
AMG-Lenkrad (630,24 Mark) und 300-km/h-Tacho (707,94 Mark) sind gängige Extras. Über 10.000 Mark teuer: Recaro-Sitze mit aufblasbaren Stützkissen.
Bild: Roman Raetzke
Die Farbe Schwarz prägte das AMG-Erscheinungsbild auf Jahre. Von den Erstbesitzern wurde sie als Inbegriff kraftvoller Zurückhaltung empfunden und erst in sechster Hand in Türsteher-Kreisen missverstanden. Heute sticht sie wieder, und der Liebhaber erkennt an der hochwertigen Verarbeitung den Grund für die irre Aufpreispolitik: Über 10.000 Mark kostete es, zum Modelljahr 1988 Spoiler, Schweller und Chrom in Blauschwarzmetallic 199 zu tauchen. Selbst das AMG-Schild am Heck wurde noch mit 67 Mark berechnet. Natürlich verblassen all die optischen Luxus-Spielereien – der Zebrano-Schaltknauf, die speziell belederten Recaro-Sitze und der Alcantara-Dachhimmel – neben dem technischen Aufwand, der sich im Vierventil-dohc-Achtzylinder manifestiert. Schon 1984 hatte der von Erhard Melcher konstruierte 32-Ventil-Motor als Fünfliter mit 340 PS debütiert, in der größten Ausbaustufe kam er auf 5953 Kubik. Dass dieses Gesamtkunstwerk angenehm drehfreudig und sogar leichtfüßig zu bewegen ist, verwundert am Ende nicht. Es geht eben immer noch ein bisschen besser.

Technische Daten

Mercedes 560 SEC AMG 6.0
Schon 1984 hatte der 32-Ventil-Motor als Fünfliter mit 340 PS debütiert, in der größten Ausbaustufe kam er auf 5953 Kubik.
Bild: Roman Raetzke
Mercedes 560 SEC AMG 6.0 Motor: V8, vorn längs • vier Ventile pro Zylinder • zwei obenliegende Nockenwellen, Antrieb über Kette • elektr. Einspritzung KE-Jetronic • Hubraum 5953 ccm • Bohrung/Hub 100 x 94,8 mm • Leistung 283 kW (385 PS PS) bei 5500/min • max. Drehmoment 566 Nm bei 4000/min • Antrieb/ Fahrwerk: Vierstufenautomatik • Einzelradaufhängung an Federbeinen und Querlenkern vorn, Diagonal-Pendelachse an Schräglenkern hinten • Scheibenbremsen rundum • Räder/Reifen 8,5 x 17" mit 235/45 ZR 17 vorn, 9,5 x 15" mit 255/40 ZR 17 hinten Maße: Radstand 2845 mm • Länge/Breite/Höhe 4395/1828/1407 mm • Leergewicht 1800 kg • Fahrleistungen/ Verbrauch: 0–100 km/ 6,0 s • Spitze 285 km/h • Verbrauch ca. 17 l SP/100 km • Neupreis 1987: 143.500 Mark (Basis 560 SEC), ca. 270.000 Mark (AMG 560 SEC 6.0).

Historie

Im Juni 1967 gründen Hans-Werner Aufrecht (A) und Erhard Melcher (M) aus Großaspach (G), der Heimat Aufrechts, in einer alten Mühle in Burgstall ihre Firma mit der sperrigen Bezeichnung "Ingenieurbüro, Konstruktion und Versuch zur Entwicklung von Rennmotoren". Tuningsätze und Komplettfahrzeuge zählen zum Angebot, erst auf dem hohen Niveau der Oberklasse- Mercedes, ab 1968 für die bürgerlichen /8-Typen. Der Durchbruch kommt 1971 mit der "Roten Sau" beim 24-Stunden-Rennen in Spa: Die Rennlimousine auf Basis des 300 SEL 6.3, als AMG mit 6,8 Liter Hubraum und 420 PS am Start, belegt den zweiten Platz im Gesamtklassement. 1971 scheidet Melcher aus und berät als freier Entwickler seine Ex-Firma weiter. 1978 zieht AMG nach Affalterbach um. 1988 startet der Tuner als werksunterstütztes Team mit dem 190 E 2.5-16 in der DTM, 1989/1990 wird ein Kooperationsvertrag mit Daimler-Benz geschlossen und drei Jahre später mit dem C 36 AMG das erste gemeinsam entwickelte Fahrzeug vorgestellt. Zum 1. Januar 1999 gibt Hans-Werner Aufrecht die Mehrheit der AMG-Anteile an die damalige DaimlerChrysler AG ab.

Plus/Minus

Mercedes 560 SEC AMG 6.0
Die hochwertige Verarbeitung ist der Grund für die irre Aufpreispolitik. Selbst das AMG-Schild am Heck wurde noch mit 67 Mark berechnet.
Bild: Roman Raetzke
Zeitgeist, Exklusivität, Technik, Leistung. In diesen vier Punkten ist ein Sechsliter-SEC-AMG der Trumpf einer jeden Autosammlung – mehr Mercedes C 126 ist nicht zu bekommen. Schon die Basis in Form des 560 SEC gilt, sowohl formal wie konstruktiv, als eine Spitzenleistung des deutschen Automobilbaus und als sichere Wertanlage. Bei der AMG-Spielart kommt noch eine individuelle Note hinzu, die langsam, aber stetig an Akzeptanz und Bedeutung gewinnt: Es ist nicht mehr peinlich, sich im wilden Tuning-Look der 80er-Jahre zu zeigen. Die Hochfrisuren vergangener Jahre gewinnen als technisches und stilistisches Kulturgut an Sympathie. Für Liebhaber der extrovertierten Mercedes-Schiene ist ein AMG die Idealbesetzung des alltagstauglichen Showcars.

Ersatzteile

Sie kennen einen, der einen kennt, der früher mal einen bei AMG kannte? Und der weiß noch, wie man an Technik-Teile kommt? Dann gratulieren wir, denn sonst können Sie Ihr Vorhaben von der Instandsetzung eines Sechsliter-V8 des Typs M117 mit Kosten in astronomischer Höhe bezahlen. Während serienmäßige Komponenten wie Blech, Motor und Fahrwerk eines SEC relativ problemlos zu bekommen sind, bleiben AMG-Teile selten. Ausstattungs-Features wie AMG-Räder, speziell angefertigte Tacho-Zifferblätter, Spoiler und Schürzen mögen ab und zu bei Ebay auftauchen, aber ein Vierventil-Zylinderkopf? Nein, AMG fahren wird niemals ein günstiges Vergnügen sein.

Marktlage

Es gibt sie noch, die in Maßen getunten oder grell frisierten S-Klassen in Vollschwarz sowie die breit gemachten Widebody-Coupés. Und im Vergleich zu ihrem ehemaligen Wert in Mark sind sie lächerlich billig. Aber aufpassen: Ein nachträglich mit AMG-Teilen aufgebrezelter 500 SEC ist weit vom Status eines echten, werthaltigen Umbaus entfernt.

Empfehlung

Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, ein Vermögen in die historisch korrekte Rekonstruktion eines alten AMG -Modells zu stecken, muss die Frage erlaubt sein, ob es ein serienmäßiger 560er nicht auch tut. Der ist zwar nicht so extrem, kostbar und selten, aber er verschlingt im Ernstfall auch nicht so viel Geld wie sein komplexes AMG-Derivat. Das war und bleibt ein Fall für solvente Fans.