Es war ja doch eine gute Zeit, diese Ära der Flokatis, Digitaluhren und Video-2000-Recorder. Die Deutschen hatten Angst vor Arbeitslosen-Zahlen, die an der Ein-Millionen-Grenze kratzten. Und wer Arbeit hatte, dem reichten 55 PS für das Gefühl, alles im Leben richtig gemacht zu haben. Schon bei 130 km/h Spitze konnte sie sich einstellen, diese Es-ist-geschafft-Euphorie. Dafür genügte ein Mercedes 200 D, denn trotz seiner schütteren Leistung war er kein Sparmodell, sondern ein richtiger Mercedes. Einer, der die Nachbarn zum Tuscheln brachte. Einer, dessen Modellbezeichnung man abbestellen konnte, und dann wussten auf dem Parkplatz nur Kenner, dass kein Doppelnockenwellen-Sechszylinder unter der Haube saß.

Fast alle Diesel gingen in den Export – dank Strafsteuer und Feinstaubzonen

Mercedes-Benz 240 TD S 123
Wir haben das vergessen, weil uns in der heutigen Klassiker-Szene kaum noch 123er Diesel begegnen. Eher finden wir sie am Taxistand in Marrakesch oder Beirut als bei der Creme 21 Youngtimer-Rallye. Das ist schon deshalb schade, weil das meistverkaufte W-123-Modell nicht 280 E hieß, sondern 240 D. Auch vergessen: So ein 240er galt beinahe als spritzig, weil er sich erst mit 65 und später mit 72 PS von der Basis abhob. Heute spüren wir ihn nicht mehr, den großen Unterschied von damals. Selbst ein 300 Diesel mit seinem Fünfzylinder kommt uns wie eine Wanderdüne vor. Und ein 200 D mag zwar aussehen wie ein Youngtimer, aber er fühlt sich beim Fahren durch und durch vorgestrig an.
Das gilt besonders dann, wenn es ein ganz frühes Exemplar ist, also nicht mit Schnellstart-Anlage, sondern mit dem Zugstarter. An dem ist herzhaft zu reißen, sobald der Glühwendel unter dem Tacho kirschrot glimmt. Und dann scheint die Welt unterzugehen. Dabei wird nur der kalte Ölmotor wach und klingt wie ein Gefangenenchor mit Raucherhusten. Ein bisschen stimmt das ja auch, wie die ewige Rußfahne schlecht eingestellter Diesel zeigt. Wie schön, dass dieser Grobmotoriker alt geworden ist. Selbst seine weichen Federkern-Sofasitze und das schon früher erschütternde Servo-Lenkspiel sind jetzt ein Stück Autogeschichte. Sofern er Servo hat. Denn auch das unterstützungsfreie Zerren am riesigen Lenkrad gehörte bis zur dritten Modellpflege im September 1982 zum Serienumfang.

Technik hält ewig

Der Hang zum Frugalen hat damals nicht gestört, heute ist er Old School und deshalb begehrt. Viel wichtiger: Die überschaubare Massiv-Mechanik hat diesen Autos das ewige Leben gesichert. Gut, irgendwann im 200.000er-Bereich des Tachostands muss meist etwas umfangreicher geschweißt werden. Aber Motor, Getriebe und Fahrwerk überstehen locker die dreifache Kilometer-Distanz. Das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, gibt einem der W 123 bis heute.

Plus/Minus

Das stärkste Argument des W 123 ist bis heute seine Alltagstauglichkeit. Besonders Raum- und Langstreckenkomfort überzeugen noch immer, während Temperament und Handling der Diesel-Typen klar nostalgisch wirken. Die Technik hält bei guter Pflege jahrzehntelang, allerdings ist Rost besonders bis zum Modelljahr 1981 ein typisches W-123-Problem: Kotflügel, Stehbleche, Türen, Schweller, hintere Radläufe, Endspitzen, Heckklappen und Seitenscheiben-Ecken des T-Modells zählen zu den verletzlichen Partien. Auch wenn das H-Kennzeichen (Jahressteuer 192 Euro) die Suche nach frühen W 123 nahelegt: Beim Kauf entscheidet allein Rost- und Unfallfreiheit.

Ersatzteile

Die Ersatzteilversorgung ist gesichert – und das gilt, typisch Mercedes, wohl auch noch in zehn oder 20 Jahren. Engpässe gibt es im Grunde nur bei speziellen Innenausstattungsteilen, weshalb ein perfekt erhaltenes Interieur bares Geld wert ist. Schnäppchenjäger nutzen die Vorteile der Klubszene: Mitglieder des VdH bekommen Prozente bei vielen Niederlassungen, zudem bietet der Klub eine eigene Ersatzteil-Infrastruktur.

Marktsituation

Die Steuerkeule hat sie rargemacht: Viele W 123 Diesel rackern heute in den Schwellenländern aller Kontinente – statt in Opas Garage rostfrei alt geworden zu sein. Besonders selten sind gute Diesel mit üppiger Ausstattung; viele Erstbesitzer waren knausrig. Die Preise steigen jedenfalls, je näher das H-Kennzeichen rückt: Ein sehr guter 240 D kostet mindestens 4000 Euro, als T-Modell schnell 2500 Euro mehr.

Empfehlung

Wer noch ein W 123 T-Modell aus pflegender Seniorenhand findet, sollte zuschlagen – billiger werden diese Kombi-Meilensteine nicht mehr. Realistischer ist allerdings die Suche nach einer guten Limousine. Beste Ölmotoren-Wahl: 300 D mit fünf Zylindern, schönem Schiffsdiesel-Sound und moderaten Fahrleistungen. Er verbraucht nicht viel mehr als 200/240 D, wirkt aber souveräner. Und die Steuer? Egal – das H-Kennzeichen macht sie alle gleich.

Von

Christian Steiger