Fünf wilde Klassiker aus der goldenen Ära der Muscle Cars im knallharten Road-and-Track-Check. Wir vergleichen Dodge Charger 440, Ford Torino GT 429, Pontiac GTO, Chevrolet Chevelle SS 350 und Plymouth Road Runner Superbird.
In den 1960er-Jahren erkennt sich Amerika selbst nicht wieder. Schluss mit Cruising in Daddys mintfarbenem Straßenkreuzer. Beinahe zufällig entsteht in den Werkshallen der Automobilhersteller etwas Neues, beinahe zufällig. In Detroiter Entwicklungsabteilungen basteln junge Ingenieure an einem neuen Fahrzeugkonzept: Factory Hot Rods, schnörkellose Mittelklasse-Autos, sogenannte "Intermediates", ohne Chrom und Luxus, aber mit ordentlich Leistung ab Werk. Die Jungs überzeugen ihre Bosse davon, dass viel Wumms für wenig Geld dem Zeitgeist entspricht. Es entstehen die ersten Muscle Cars. Noch etwas unsicher, lässt General Motors 1964 den Pontiac GTO mit 6,3 Liter großem Achtzylinder auf die Straße. Die neuen Autos gefallen den halbstarken Benzinköpfen. Sie treffen den Geschmack der Jugend. Die gelangt in den Sechzigern zu Wohlstand und kauft diese neuen Spielzeuge.
Chrysler, Ford und General Motors überbieten einander
Wie vergleicht man irrationale und übermotorisierte PS-Schleudern? Auch mit dem Bauch.
Fast jeder Hersteller nimmt ein eigenes Muscle-Car-Modell ins Programm. Chrysler, Ford und General Motors überbieten einander mit psychedelisch-bunten Werbekampagnen, aggressiven Slogans und abgedrehten Leistungsangaben zu ihren übermotorisierten Fahrzeugen. Aus der Cruising Night wird Drag Racing, der Rock’n'Roll hämmert härter als je zuvor. Der Gegenkulturautor William S. Burroughs entwickelt die Bezeichnung "Heavy Metal" als Metapher für Suchtmittel, die Band Steppenwolf huldigt dem Rausch der Geschwindigkeit mit ihrem Klassiker "Born to Be Wild". Wir haben fünf wilde Hunde aus dem goldenen Zeitalter der Muscle Cars zum großen Showdown geladen. Doch wie bewertet man rational völlig irrationale Autos? Ford Torino, Pontiac GTO, Chevy Chevelle, Dodge Charger oder Plymouth Superbird – wer ist der Beste? Hier das Ergebnis ausgiebiger Testfahrten und einem temperamentvollen Disput über Hubraum, PS, Farben, Sound und Adrenalin.
Nein, der Superbird fliegt nicht allen davon, er überflügelt sie. Design und Image des Plymouth Road Runner Superbird sind kaum zu fassen, ebenso der heutige Preis. Handling und Alltagstauglichkeit stufen wir als abenteuerlich ein. Nasenprothese und kapitaler Henkel sind Ausdruck des schrägen Designs, die "Beep-Beep"-Hupe sorgt für eine irre Akustik. Der höchste Neidfaktor kombiniert mit einem lächerlich geringem Nutzwert haben Folgen für die Platzierung: Das NASCAR-Rennauto mit dem XXL-Spoiler landet nur auf Platz 5.
Ford Torino GT – der Vergessene
Der Ford Torino ist vergessenes Muscle Car und schöner Außenseiter zugleich. Dennoch: ein begehrenswertes Auto!
Der Ford Torino GT ist der Underdog in dieser Formation. Niemand hat ihn auf dem Zettel, das hält die Preise niedrig, macht ihn aber nicht weniger begehrenswert. Die fast zwei Tonnen schwere Fuhre mit dem betörend schönen SportsRoof ist mit dem 429er-V8-Motor gut versorgt, der komfortable Innenraum mit seinen weißen Kunstledersesseln ist wie geschaffen für romantische Ausflüge. Aber der Torino ist nicht der Urknall, der ein neues PS-Universum erschließt. Daher: Platz 4.
Dodge Charger 440 – der Bösewicht
Der Dodge Charger: Leinwandfiesling und König der Ampelrenner. Wie wild fühlt sich das Coupé mit dem bärigen 7,2-Liter-Motor heute an?
Der Dodge Charger ist der Superstar in der Manege unseres Muscle-Car-Zirkus. Er punktet mit seinem Bad-Boy-Image und der harmonischen Karosserieform. Das Fahrwerk unseres Standard-Charger ist mit der drehmomentstarken 440er-Maschine zwar überfordert, bei respektvollem Umgang fühlt man sich aber trotzdem wie ein NASCAR-Pilot. Ein 1968er Charger kann heute mehr als das Zehnfache des Neupreises kosten, die Teileversorgung ist dank der verschworenen Mopar-Gemeinde prima. Glückwunsch, Platz 3.
Chevrolet Chevelle SS 350 – der Patriot
Chevrolet Chevelle SS 350: Die Chevelle ist der übellaunige Underdog in diesem Test. Mit frisiertem 6,3-Liter-Motor und Mach-mich-nicht-an-Attitüde.
Die Chevelle wird hierzulande unterschätzt. Die Amis dagegen lieben ihre Chevys. Dieses Teil ist was für Patrioten, und wenn auch noch SS 396 draufsteht, salutiert nicht nur der Republikaner. Unser Testwagen kann sein Potenzial dank sinnvoller Fahrwerk-und Motormodifikationen voll ausschöpfen. Der Chevrolet driftet auch dank problemloser Ersatzteillage auf Platz 2. Diesen ganzen Wahnsinn hätte es wohl nie gegeben ohne den "Gran Turismo Omologato" – wobei wohl kaum ein Ami jemals wusste, was das bedeutet.
Pontiac GTO – der Brandstifter
Das natürliche Jagdrevier des Pontiac GTO ist die Landstraße, am besten trocken und ohne scharfe Kurven.
Der Pontiac GTO markiert die Urzündung der Muscle Cars: Mit ihm beginnt das Zeitalter der hemmungslosen Übermotorisierung. Der exzessive US-Sportler beeindruckt mit Power und ausgereiftem Handling. Unser Testwagen bereitet mit dem handgeschalteten 6,5-Liter-V8, der Dreifach-Vergaser-Batterie und dem fauchenden Sound den größten Spaß. Daher ganz klar: Platz 1 für den Pontiac GTO!
Es ist schon etwas Besonderes, mit fünf glorreichen Muscle Cars über norddeutsche Landstraßen und Flugplätze zu brettern. An diesem Tag ist das Straßenbild ein bisschen bunter, lauter und auch wilder. Wir fragen uns plötzlich, was in den letzten Jahrzehnten schiefgelaufen ist? Wieso sehen alle Autos gleich aus, wieso sind sie alle silber oder schwarz, oft mit schlecht gelaunten Menschen darin? Und warum hört man die Autos kaum? Wir fühlen uns wie in H. G. Wells' Zeitmaschine und versuchen zu verstehen, warum die Jahre 1968 bis 1970 aufregender waren. Unsere Vermutungen und Erklärungen haben Sie gerade gelesen, und mit etwas Glück werden die Straßen vielleicht ja bald wieder etwas bunter und wilder. Wir sind auf jeden Fall dabei.