Zeitreise im TS 250 Coupé
Im Goggomobil von München nach Kiel

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Deutschland, der Länge nach: 920 Kilometer in einem Autochen aus den Fünfzigern, das aussieht, wie vom Kinderkarussell gefallen. Eine Zeitreise mit 13,6 PS, wenig Platz – aber viel Raum zum Nachdenken.
"Er wohnt in München, sie in Kiel. Lösung klar: Goggomobil." So bewarb in der Kundenzeitschrift Nummer neun von September 1957 die Dingolfinger Hans Glas GmbH den Kleinstwagen Goggomobil. Der Karikaturist Peter Großkreuz zeichnete seinerzeit verantwortlich für diesen Lösungsansatz zu mehr zwischenmenschlicher Nähe. Da er 1975 verstarb, ist es nicht mehr zu klären, ob er es als reinen Scherz angelegt hatte. Gut 50 Jahre später steigt AUTO BILD KLASSIK ein, die Wahrheit der Dichtung zu erfahren. "Ich hab' noch mal die Bremsen überholt, neue Schläuche eingebaut und den Radzylinder gangbar gemacht. Die Reifen sind neu, es müsste also klappen." Herbert Suchy (68) ist eine der treuen Seelen im Hintergrund der Mobilen Tradition von BMW in München an der Schleißheimer Straße. Kein Mann großer Worte. Sondern einer, der zupackt. Der sich vor allem mit Goggo auskennt, die er mobil gehalten hat an seiner eigenen Service-Tanke – weit übers Jahr 1967 hinaus, als die anderen Glas-Mobile trotz der Schubkraft des BMW-Propellers ihre Hauben bereits Richtung Schrottplatz streckten. "Der Zweitakter ist robust. Wenn was kaputtgeht, dann meist an der Peripherie", weiß Herbert. Und genauso sollte es kommen.
autobild.tv hat Autor Almstadt nicht aus den Augen gelassen
Doch erst einmal lautet die Frage: Wohin mit dem Gepäck? Auf vier Tage, also drei Übernachtungen, haben wir uns eingestellt. Wir, das sind Fahrer, Fotograf nebst Assistent und eben Herbert, der Goggo-Spezi mit mobiler Werkstatt im BMW X5. Irgendwie beruhigend. Nach mühsamer Sitzprobe (erst seitlich mit dem Hintern, dann die Beine reinfalten) und ernst gemeintem Vorschlag, die Drei-Meter-Kurzware von der Rücksitzbank aus zu steuern, lautet die Lösung: Alles bleibt, wie es ist, die Klamotten ab in den BMW. Wir können starten. Links der Choke, daneben die Heizung. Es gibt einen Wischer, den Blinker und die Hupe. Die Einweisung ist kürzer als die Zigarette, die es benötigt, um aufkommende Nervosität zu unterdrücken: Wie fährt sich so was überhaupt? Übersehen mich die anderen? Verdammt schlechtes Leistungsgewicht, müsste sowieso mal abnehmen. Bin ich ab sofort der Kopf jeder Kolonne? Und überhaupt: hält der?
Angst beflügelt: am Limit unterwegs

Hübsch ist der Tacho anzuschauen, ganz wie die Großen von VDO, er reicht tatsächlich bis 120. Links den Fuß aufs Radhaus, das entspannt, der Arm greift um den Beifahrerlehne und trommelt mit den Fingern gegen die rechte Türscheibe. Wie war das noch mit dem "Goggo-Lied"? "Fahr mit mir durch die Welt ...", weiter weiß ich nicht, vermutlich ein schlichter Stabreim auf "Held" oder so. Eine Weltreise im Goggo hat es tatsächlich gegeben. Die Tour eines Hamburger Pärchens 1957 durch 80 Länder bis nach Japan und Südamerika ist dokumentiert. Vermutlich hat der Fahrer am Steuer auch so geträllert oder zeitgeistig gereimt: "Irle Bier und Rama-Butter hilft dem Vater auf die Mutter." Ach, lassen wir das. Die Tour soll übrigens fast fünf Jahre gedauert haben ...
Ziel: die Kolben bei Laune, den Fahrer am Leben halten

Goggeln heißt: Entdecke die Langsamkeit!

Schau an: Die norddeutsche Tiefebene ist voller Berge

Am hoffentlich Lkw-freien Tag der Deutschen Einheit trauen wir uns in Hildesheim zum ersten Mal auf die Autobahn. Herbert hat die Kupplung noch mal bis zum Ende nachgelassen und den Vergaser sparsamer eingestellt. Das bedeutet, der Kleine bekommt mehr Luft. Und auf geht's in die norddeutsche Tiefebene. Doch davor liegt der Harz. Beherzt und mit viel Schwung berappelt sich der Zweizylinder aufs gesetzlich verfügte BAB-Mindesttempo von 60 km/h. Motorräder fliegen wie Feuerwerkskörper vorbei, viel gemeiner jedoch sind diese wahnsinnigen Wohnmobile, deren Windzug den Goggo bis zu einem halben Meter aus der Spur versetzt. Im Dauerstau vor Hamburg kriegt die Ölbad-Kupplung den Rest, mit letzter Kraft krabbelt der Kleine nach Kiel. Trotz Nieselregens und fehlender Braut: Wir sind alle stolz wie Bolle. Und endlich lacht auch Herbert, der seine Wette gewonnen hat. Zentrale Erkenntnis nach 920 Kilometern Goggo-Tort(o)ur: Früher war's nicht besser, aber schön. Die norddeutsche Tiefebene ist voller Berge, und beim nächsten Mal nehmen wir den bärenstarken Goggo TS 400 mit 20 PS!
Technische Daten Goggomobil TS 250 Coupé (1957-1969)
Zweitakt-Zweizylinder im Heck, Gebläse-Luftkühlung • 247 cm³ • 10 kW (13,6 PS) bei 5400/min • max. Drehmoment 19,82 Nm bei 4400/min • Hinterradantrieb • Viergang • Querlenker vorn, Pendel-Schwingachse hinten • Trommelbremsen • Reifen 4.80-10 • L/B/H 3035/1370/1235 Millimeter • Leergewicht 480 Kilogramm • Wendekreis 9,4 Meter • Spitze 84 km/h • Verbrauch sechs Liter Gemisch 1:25 • Tank 25 Liter • Neupreis 1957: 3722 DM • Versicherungs-Wert heute: 17.000 Euro
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