Er wirkte ungeheuer altbacken, aber sein V8 mit 160 PS machte den BMW 3200 Super zur schnellsten Limousine Deutschlands. Mit diesem Kontrastprogramm kriegte BMW in den späten 1950ern die Krise.
Bild: G. von Sternenfels
Fahrer eines BMW 3200 S müssen tapfer sein. Nur ein paar Kenner wissen heute noch, was sie da haben, die Masse der Jüngeren kann mit dem V8-Barockengel nicht viel anfangen. Seine Formen deuten auf Rolls-Royce, doch das Logo ist eindeutig.
Geschmeidig geht der V8 im Barockengel zu Werke. Er macht den Fahrer zum jungen Gott, wenn er auf der linken Spur vorüberzieht.
Bild: G. von Sternenfels
Schon immer polarisierte das Rubens-Design, nur klingt "Barockengel" heute anerkennender, als es der Volksmund ursprünglich meinte. Seine Erfinder hatten hoch gepokert. Für den Neuanfang in München nach dem Krieg, so rechnet der BMW-Vorstand vor, sei nur eine Kleinserie rentabel. Mit der Idee vom Luxuswagen 501 legen sich die Herren aber ein dermaßen dickes Ei, dass das Werk Ende der 1950er fast in die Pleite rutscht. Die runde Karosserie des 501 treibt Karosseriespengler ins Delirium und die Produktionskosten in ungeahnte Höhen. "BMW-Wagen sollen die Visitenkarte der deutschen Gesellschaft sein", verkündet Direktor Hanns Grewenig und schämt sich nicht dafür, dass der 501 nur 65, später 72 PS aus sechs Zylindern quetscht – bei 1,3 Tonnen Leergewicht. So leer die Kasse auch sein mag, BMW bringt genug Dünkel für eine konsequente Lösung auf: den V8 mit 100 PS. Der macht den Wagen in Verbindung mit mehr Chromschmuck zum 502. Auf den Motor hält die Werbeabteilung große Stücke, bezeichnet ihn als "ersten deutschen Leichtmetall-V8", was nicht stimmt: Dieses Prädikat gebührt den Stoewer-Werken und ihrem Greif V8.
Der dicke Hintern macht klar: hier zieht ein V8 vorbei.
Bild: G. von Sternenfels
BMW gelingt somit zwar unter Konstruktionschef Alfred Böning keine echte Innovation, aber immerhin ein solides und schmuckes Stück Technik: eine einzelne, zentral zwischen den Zylinderbänken (Winkel: 90°) angeordnete Nockenwelle wird über eine Duplexkette angetrieben und betätigt über Stoßstangen und Kipphebel die Ventile. Als Besonderheit gibt es für den Ölkreislauf einen Wärmetauscher, der bei kaltem Motor hilft, die Betriebstemperatur zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Aus dem 502 werden ab 1961 der 2600 (100 PS) bzw. 2600 L (110 PS durch erhöhte Verdichtung) sowie der 3200 L mit 140 PS und schließlich das Topmodell 3200 S mit 160 PS aus zwei Vergasern. Ach ja: Verzögert wird ab 1959 mit vorderen Scheibenbremsen und einer Hydrovac-Bremshilfe, deren Einbau laut BMW "auf Fälle beschränkt werden soll, in denen der Wagen von einer Frau gefahren wird". Bis 1963 lebt der V8 noch, dann gibt BMW das Geschäft mit den "Großwagen" auf. Kurz zuvor dichtet die Werbeabteilung noch ein wirres Epos, nennt ihn eine "konstruktive Meisterleistung, die Bewunderung verdient. Sie wird angesichts ihrer Vollkommenheit auch nicht dadurch geschmälert, dass ihre Schöpfer der Verwirklichung ihres Zieles den Vorrang vor wirtschaftlichen Gesichtspunkten geben durften." Heißt im Klartext: Mit jedem V8 macht BMW bis zu 5000 Mark Verlust.
Elfenbeinfarbener Kunststoff, schweres Leder sowie ein zersägtes und glanzlackiertes Waldgebiet erfreuen die Passagiere.
Bild: G. von Sternenfels
Und doch bleibt das Topmodell im Programm, als es schon den 700er und die "Neue Klasse" gibt. BMW bewirbt ihn als "Aristokraten", dessen Linienführung schon seit über einem Jahrzehnt gültig bleibe. Äußerlich tat sich seit 1951 tatsächlich nicht viel. Nur den Innenraum putzten die BMW-Gestalter gewaltig raus. Für ein Auto der 1950er sitzt es sich erstaunlich bequem hinter dem Vierspeichen-Lenkrad. Wie selbstverständlich fällt die rechte Hand auf den großen Pilzkopf der späten Mittelschaltung, der Lenkradkranz trägt sportlich-griffigen Feinripp. Alles wirkt massiv und teuer, manchmal hat die Liebe zum Detail etwas beinahe Manisches: Die Halteseile an den Rückenlehnen der Vordersitze etwa besitzen eine Stahlseele und sehen trotzdem aus wie von bayerischen Omas handgeschlagen. Wecken wir den Wundermotor. Das Alu-Kraftwerk verrichtet seinen Dienst in einer Wolke sahnigen Schnurrens – jedenfalls so lange, wie der Fahrer das Gaspedal nur streichelt wie einen Debütantinnenfuß. Andernfalls gurgelt der Big Block wie ein Kerl und macht deutlich, dass ihm die Betulichkeit doch nicht so liegt. Der servolose V8 fordert eine feste Hand, erweist sich dann als kurvenstabil und lässt sich präzise um Ecken zirkeln. Dem aufwendigen Fahrwerk sei Dank – und der feisten Chromlatte im Blickfeld des Fahrers, mit der es sich besser peilen lässt als mit einem Stern vor der Nase. Eine fiese Frage zum Ende der Fahrt: Was, wenn der V8 für BMW zum Todesengel geworden wäre? Nun, vielleicht dürften es auch BMW-Enthusiasten offen aussprechen: Chance verfehlt – wenigstens mit Stil.
Technische Daten
Den 3,2-Liter-Motor krönen zwei Vergaser, die über ein gigantisches Luftfilter-Gehäuse einatmen. Im Hintergrund links: die Hydrovac-Bremshilfe.
Bild: G. von Sternenfels
BMW V8 3200 Super Motor: V8 (Zylinderwinkel: 90 Grad), vorn längs eingebaut • eine zentrale Nockenwelle, über Duplexkette angetrieben • 2 Ventile pro Zylinder • 2 Doppelfallstrom-Vergaser Zenith 36 NDIX • Hubraum 3168 ccm • Leistung 160 PS bei 5600/min • 240 Nm bei 3600/min • Antrieb/Fahrwerk: Viergang-Schaltgetriebe • Hinterradantrieb • vorn Einzelradaufhängung mit Doppel-Querlenkern, hinten Starrachse mit Dreieck-Schublenkern, Längs-Drehstäbe rundum, Teleskopstoßdämpfer • Scheibenbremsen vorn, Trommeln hinten, mit Hydrovac-Servounterstützung • Reifen 6.50/6.70 H 15 L • Maße: Radstand 2835 mm • L/B/H 4730/1780/1530 mm • Leergewicht 1490 kg • Wendekreis 12 Meter • Tank 70 l • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 14 s • Spitze 190 km/h • Verbrauch 16 l/100 km • Neupreis: 21.240 Mark (1963).
Historie
Weil das einstige BMW-Autowerk in Eisenach nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetischen Besatzungszone liegt, präsentiert BMW erst 1951 auf der IAA einen neuen Personenwagen. Gefertigt wird der Typ 501 in München, sein Zweiliter-Sechszylindermotor basiert auf dem Triebwerk des Vorkriegs-326, der Rest ist völlig neu: Ein "Vollschutzrahmen" genanntes Fahrgestell mit massiven, rohrförmigen Trägern nimmt hinten eine Starrachse und vorn eine komplizierte Einzelradaufhängung mit doppelten Querlenkern auf. Gefedert wird der große BMW durch Drehstäbe, die längs zur Fahrtrichtung über fast die gesamte Fahrzeuglänge reichen. Im Juli 1954 lanciert BMW den 502 mit 2,6-Liter-Leichtmetall-V8 – äußeres Erkennungszeichen: noch mehr Chrom als der 501. 1958 streicht BMW den Sechszylinder nach rund 9000 Exemplaren zugunsten des V8 aus dem Programm. Der aufwendig konstruierte Barockengel schreibt mit seiner unrentablen Manufaktur-Fertigung nur rote Zahlen, doch mangels Alternativen überlebt das Topmodell bis 1963: So bringt es der V8 in neun Jahren auf knapp 13.000 Stück.
Plus/Minus
Der aufwendig konstruierte Barockengel schreibt nur rote Zahlen. Mangels Alternativen überlebt das Topmodell bis 1963.
Bild: G. von Sternenfels
Der Barockengel ist einer der schillerndsten Klassiker der 1950er – aber die Sammler-Szene scheint das nicht recht zu goutieren. Die Form des V8 war halt schon immer speziell und ein Mercedes die unproblematischere Wahl. Zwar gilt die Technik des V8 als zuverlässig und langlebig, doch poröses Blech oder schlecht sanierte Unfallschäden können zu einer Lebensabschnitts-Aufgabe werden. Zweifellos aber gehört ein V8 – gerade in der späten Ausführung – zu den komfortabelsten und langstreckentauglichsten Autos seiner Zeit.
Ersatzteile
Bei BMW Classic gibt’s nicht viel: Bremsscheiben, Dichtungen, Embleme und sonstige Kleinigkeiten – das war’s. Doch spezialisierte Fachhändler sichern die Versorgung mit Technik-Teilen, sodass es nur ein großes Krisengebiet gibt: das Blech. Eine Nachfertigungs-Aktion von vorderen Kotflügeln geriet vor Jahren zum Fiasko, weil falsche Muster hergenommen wurden – am Ende blieb es oft günstiger, Altteile zu reparieren. Die müssen wie bei einem Vorkriegs-Klassiker immer mühsam angepasst werden, oder sie lassen sich (wie zum Beispiel im Fall der Türen) überhaupt nicht von einem Auto ans andere montieren. Zylinderköpfe und Kurbelwellen werden langsam rar; ein echtes Problem stellt der Motoröl-Wärmetauscher dar, der sich kaum überholen lässt. Kleiner Trost: Für den Barockengel Ersatzteile in mieser Qualität herzustellen, lohnt sich erst gar nicht. Und die Preise? Gehobenes Niveau, wie es sich für ein BMW-Spitzenmodell gehört.
Marktlage
Die Abbrecher-Quote ist unter V8-Restaurierern so hoch wie an Brennpunkt-Schulen: Ohne handwerkliches Multitalent oder viel Geld geht’s nicht voran. Wracks und Bausätze gibt es daher für verlockend kleines Geld, Autos zum Fahren ab 20.000 Euro – hohe Ansprüche an Optik oder Details darf da aber keiner stellen. Ein V8 im Zustand 2 kostet mindestens 40.000 Euro; Cabrios werden sechsstellig gehandelt.
Empfehlung
Ein Barockengel ist rund. Wer sich daher nicht bestens aufs Freihand-Blechklopfen versteht, sollte vom Selbstrestaurieren die Finger lassen. Am gesuchtesten sind die Topmodelle mit 3,2-Liter-Motor, doch wer auf ein paar PS verzichten kann, ist mit einem 2.6er ebenso gut unterwegs und kriegt für weniger Geld unter Umständen das bessere Auto.