Auf den ersten Blick wirkt der BMW 2002 eher bürgerlich und konventionell. Wer es nicht erlebt hat, ahnt kaum, dass dieses Auto vor 40 Jahren die Freude am Fahren in einer neuen Klasse kultiviert hat. Im Grunde bis heute.
Bild: C. Bittmann
Gar nicht einfach, das Phänomen BMW 2002 zu erklären. Denn eigentlich ist er kein außergewöhnliches Auto. Seine Form erregt weder Aufsehen, noch ist sie besonders praktisch. Technische Leckerbissen suchen wir vergeblich, und mit seiner Leistung lassen sich heutzutage allenfalls ganz kleine Autos verschrecken. Der alte BMW, einst Dominator der linken Spur, eine Ikone der wilden 60er – am Ende nur ein Durchschnittstyp? 1968 ist die Wirtschaftslage längst kein Wunder mehr. An den Wohlstand haben sich die Deutschen gewöhnt. Die Mittelschicht leistet sich Kühlschränke mit Gefrierfach, Farbfernseher und Urlaub im Süden. Flugreisen sind noch teuer, das Fernweh fährt im Käfer, Kadett oder – wenn Vati sich was traut – im Ford 17M mit 70 PS. Das reicht dann schon zum Angeben.
Mit stolzem Gesichtsausdruck und kräftigem Antrieb sichert sich der BMW 2002 ab Ende der 60er-Jahre Erfolg auf der Überholspur.
Bild: C. Bittmann
1966 präsentiert BMW den 1600-2 mit dem modernen Motor der größeren "Neuen Klasse". Der hat 85 PS und wiegt nur 940 Kilogramm, ist also großzügig motorisiert. Als die Münchner 1968 die Zweilitervariante 2002 nachliefern, gilt der Nullzwo endgültig als Sportwagen im Limousinenkleid. Prompt erheben sich Zeigefinger: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" spricht von einem "übermotorisierten Kompaktauto" und fragt sich, ob der unerfahrene Lenker mit so viel Potenz zurechtkommt. Was ist da los? Alte Tests bescheinigen dem 2002 mit 100 PS eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 170 km/h. Der 2002 ti mit zwei Doppelvergasern schießt gar mit fast 200 Sachen über die Autobahn. Selbst ein Porsche 911 ist damals kaum schneller. Um das Nullzwei-Gefühl der späten 60er-Jahre verstehen zu können, müssten wir heute in einem 240-PS-Kompaktwagen sitzen, der 250 läuft. Dabei war der 2002 nicht unerreichbar: Er kostete im Premierenjahr 9400 Mark, also etwa so viel wie zwei VW Käfer – und 2000 Mark weniger als ein Mercedes 200/8. Schon in den 60ern ist der Kauf eines BMW ein offensives Bekenntnis. Die einen verehren die Autos wegen ihrer dynamischen Eigenschaften, andere lehnen sie wegen der aggressiven Ausrichtung ab. Die Bayern gießen auch noch Öl ins Feuer indem sie mit der eigenen Überlegenheit prahlen. Werbezeilen wie "BMW goes like schnell" und "Move over" ("mach’ Platz") nähren das Image des rüpelhaften Lichthupen-Dränglers.
Dünne Säulen und große Glasflächen geben dem 2002 einen filigranen Charakter.
Bild: C. Bittmann
Die umstrittenen Jahre hat der 2002 längst hinter sich. So schmal und zierlich, wie er vor einem steht, weckt er nostalgische Gefühle. Seine Karosserie unterscheidet sich deutlich von den modernen, aerodynamisch optimierten Formen, die neben Effizienz auch noch Insassen- und Fußgängerschutz bieten müssen. Durch die abfallende Seitenlinie wirkt der alte BMW stets sprungbereit, dünne Säulen und große Glasflächen geben der Limousine einen filigranen Charakter, wohldosierter Chromschmuck betont das Profil. Die Kulleraugen wecken Beschützerinstinkte, doch Mitleid erregt der 4,23 Meter kurze BMW nicht. Die hohe Niere trägt er stolz auf der eingezogenen Front, streckt sie dem Fahrtwind entschlossen entgegen. Damals wie heute lieben wir an ihm das Fahrerlebnis. Wer erstmals den Fahrersitz des 2002 entert, staunt über die angenehme Sitzposition, vorbildliche Ergonomie und tadellose Bedienbarkeit. Größter Unterschied zu modernen Autos und vielen anderen Klassikern: die ungewohnte Übersichtlichkeit. Mit einsehbaren Karosserie-Enden, steiler Windschutzscheibe und niedriger Gürtellinie ist das Rangieren spielend leicht. Auch das Starten mit dem Choke erfordert keine besondere Fingerfertigkeit, die Viergangschaltung arbeitet leichtgängig und präzise, Gaspedalbefehle setzt der 2002 entschlossen um.
Wer erstmals den Fahrersitz des 2002 entert, staunt über die angenehme Sitzposition, vorbildliche Ergonomie und tadellose Bedienbarkeit.
Bild: C. Bittmann
Man kann seine Altersgenossen zum Vergleich heranziehen, um den Temperamentsbolzen 2002 zu begreifen, muss es aber nicht. Denn eine Beschleunigung von rund zehn Sekunden bis Tempo 100 ist auch heute noch überdurchschnittlich gut. Erst jenseits der Autobahn-Richtgeschwindigkeit bremst die miserable Aerodynamik den Tatendrang des durchzugsstarken Vierzylinders. Macht nichts, auf Landstraßen fühlt sich der 2002 traditionell sowieso wohler. Dank guter Gewichtsverteilung – 55 Prozent auf der Vorderachse, 45 Prozent auf der Hinterachse – sowie des modernen Fahrwerks mit Mc-Pherson-Federbeinen vorn und Schräglenkern hinten, legt sich der Hecktriebler zwar mit deutlicher Schlagseite in scharf gefahrene Kurven, hält die angepeilte Richtung aber unbeirrbar bei. Der Dynamik zuträglich ist dabei die wohldosierbare Übersteuerneigung.
All das macht aus dem Nullzwo keinen tückischen, knüppelharten Rennwagen – auch wenn er seine Talente im sportlichen Wettbewerb ausgiebig bewiesen hat. Die Limousine federt überraschend komfortabel und qualifiziert sich auch für den zügigen Einsatz auf langen Reisen. Nur heillose Nostalgiker und Romantiker kann ein 2002 enttäuschen: Er fühlt sich einfach zu modern an, um das Fahren zum Abenteuer werden zu lassen. Was diesen BMW so unkompliziert im Gebrauch macht, steht dem Gefühl des Besonderem mitunter im Weg. Solide Großserientechnik kann überzeugen und zufriedenstellen, Euphorie löst sie aber nur selten aus. Jeder, dem ein handliches Format und verlässliche Technik wichtiger sind als extrovertiertes Design und der kurzweilige Kick. Der BMW 2002 ist als Oldtimer keine Diva, sondern ein Kumpel. Vielleicht ist es heute die größte Überraschung, dass er seinen Fahrer nicht überrascht. Und dass es so einfach ist, sich an ein außergewöhnliches Auto zu gewöhnen.
Technische Daten
Das Zweiliter-Kraftwerk dreht bei Höchstgeschwindigkeit knapp 6000/min.
Bild: C. Bittmann
BMW 2002 Motor: Reihenvierzylinder, vorn längs • eine obenliegende Nockenwelle, über Kette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder, ein Fallstromvergaser (Solex 40 PDSI) • Hubraum 1990 ccm • Leistung 74 kW (100 PS) bei 5500/min • max. Drehmoment 157 Nm bei 3000/min. Antrieb/Fahrwerk: Viergangschaltgetriebe (auf Wunsch Fünfganggetriebe oder Dreistufenautomatik) • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung rundum, vorn an McPherson-Federbeinen, hinten Schräglenker, vorn und hinten Stabilisatoren • Scheibenbremsen vorn, hinten Trommelbremsen, Bremskraftverstärker • Reifen 165 SR 13. Maße: Radstand 2500 mm • L/B/H 4230/1590/ 1410 mm • Leergewicht 990 kg • Fahrleistungen/Verbrauch: 0–100 km/h in 10,6 s, Spitze 176 km/h, Verbrauch ca. 11 Liter Super pro 100 km • Neupreis: 12.300 Mark (1973).
Historie
März 1966: BMW zeigt auf dem Genfer Salon den 1600-2 (Typ 114), die "-2" weist auf den kleinen Zweitürer hin. Die mechanischen Komponenten kommen aus dem viertürigen BMW 1600 "Neuen Klasse". 1967 erscheint der 1600-2 ti mit zwei Doppelvergasern und 105 PS, bleibt wegen des hohen Preises jedoch eine Randerscheinung. Im Januar 1968 schlägt die Geburtsstunde des 2002 mit Zweilitermotor und 100 PS. Neun Monate später legt BMW den 2002 ti mit 120 PS nach, den 1971 der 2002 tii mit Einspritzmotor und 130 PS ablöst. Im gleichen Jahr kommt der 1802 mit 90 PS, findet als Lückenmodell aber nur wenige Käufer. Mit zahlreichen Detailmaßnahmen optimiert BMW das damalige Einsteigermodell, erweitert die Ausstattung um Kopfstützen, Sicherheitsgurte und Zweikreis-Bremssystem. Ab Sommer 1973 gibt es umfangreiche Modifikationen wie bessere Sitze und veränderte Armaturen. Große Rückleuchten und ein schlichterer Kühlergrill passen den 02 optisch der neuen 5er-Reihe an. 1973 schockiert der wilde 2002 turbo mit 170 PS die Nation – und wird ein Flop. 1975 erscheint der erste 3er als Nachfolger des 02, nur die neue Sparversion 1502 bleibt zwei Jahre parallel zum 3er im Programm. In elf Jahren Bauzeit entstehen rund 861.000 Nullzwei-Exemplare.
Plus/Minus
Ein BMW 02 ermöglicht Klassiker-Genuss fast ohne Reue: unproblematisch im dichten Altagsverkehr und selbst beim Kilometerfressen auf der Langstrecke.
Bild: C. Bittmann
Ein BMW 02 ermöglicht Klassiker-Genuss fast ohne Reue: unproblematisch im dichten Altagsverkehr und selbst beim Kilometerfressen auf der Langstrecke. Die Technik ist robust, die typischen mechanischen Mängel sind überschaubar. Häufigstes Motorproblem sind verdreckte Vergaserdüsen und ausgeschlagene Drosselklappenwellen. Zu den klassischen Alterserscheinungen zählen verhärtete Ventilschaftdichtungen, bei hohen Laufleistungen auch verbrauchte Kolbenringe. Beides verursacht messbaren Ölverbrauch und das typische Auspuff-Bläuen, Abhilfe schafft sinnvollerweise gleich eine Teilrevision mitsamt Austausch der Pleuellager und einem frischen Motordichtungssatz. Selbst ein neuer Austauschmotor schlägt mit rund 3700 Euro nicht so stark ins Kontor wie die Sanierung einer Karosserie: Auch bei BMW spielte der Rostschutz in den 60ern und 70ern eine untergeordnete Rolle. Folge: Jeder Nullzwo ohne nachträgliche Konservierung gammelt. Klassische Rostnester sind Schweller, hintere Radläufe und Radhäuser, Kofferraumboden und A-Säulen. Obwohl die Preise für gesunde 02 in den letzten Jahren gestiegen sind, ist die Restaurierung eines maroden Exemplars in der Regel nicht rentabel.
Ersatzteile
Rund 35 Jahre nach Produktionsende ist die Ersatzteillage entspannt. Die Klassik-Abteilung von BMW führt alles, was zum Erhalt des 02 notwendig ist. Bei Spezialisten, in Web-Foren und Internetauktionshäusern finden sich große Mengen an gebrauchten Teilen.
Marktlage
1502 bis 2002 unterscheiden sich preislich nur wenig. Originale Autos mit solider Karosserie und ohne Reparaturstau gibt es ab circa 5000 Euro. Für Spitzenexemplare wird etwa die dreifache Summe verlangt – und auch bezahlt. 2002 ti und tii erzielen Aufpreise von etwa 80 Prozent.
Empfehlung
Schon die 100 PS des Einvergaser-2002 ermöglichen Fahrspaß und souveräne Längsdynamik. Der 2002 ti mit Doppelvergaser und die Einspritzerversion tii sind subjektiv nicht bedeutend schneller, kosten in der Anschaffung aber unverhältnismäßig mehr Geld. Und wenn’s doch etwas mehr als 100 PS sein sollen, bietet sich der M10-Motor als dankbares Tuningobjekt für alltagstaugliche Leistungssteigerungen an.