Goodwood 2015: Skulptur
Jedes Jahr enthüllt Lord March, der Hausherr von Goodwood, eine neue Auto-Skulptur. 2015 ist Mazda das Thema.
Bild: Matthias Brügge
Ein heller Lichtschein erstrahlt in der Dunkelheit. Er nähert sich rasend schnell und bringt dröhnenden Lärm mit, der die laue Juni-Nacht zerreißt. Der Krach schwillt an zu einem ohrenzerfetzenden Kreischen, Kreissäge hoch zwei, ein grün-orange gefärbtes Phantom schießt vorbei. Was ist das für ein Monster? Ein Mazda 787B, der Stolz seines Herstellers und der bislang einzige japanische Rennwagen, der die legendären 24 Stunden von Le Mans gewonnen hat. Hin und her rast der Wankel-Renner, ihm folgen ein zweiter Wagen des gleichen Typs, zwei 767B und ein 757. Dann folgt der legendäre Mazda RX-7, der 1981 das 24-Stunden-Rennen in Spa/Francorchamps für sich entschied. Eine Zeitlang gellt das Kreischen der Boliden durch die Nacht, die Dunkelheit scheint den Krach noch zu verstärken. Der Sound ist phänomenal. So spektakulär geht's los, das Festival of Speed 2015 in Goodwood auf dem weitläufigen Gelände des Anwesens von Lord March.
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Video: Goodwood Festival of Speed 2015

Feuerwerk für die Mazda-Skulptur

Bild: AUTO BILD
Genau genommen beginnt der Festivals-Spaß schon einige Augenblicke früher, als ein Feuerwerk schlagartig eine fast 40 Meter in den Nachthimmel ragende Skulptur aus weißen Stahlstreben erhellt. Über 100 Tonnen ist sie schwer, an ihrer Spitze schweben zwei Autos, die ins Blaue zu rasen scheinen. Da ist er wieder, der grün-orangene Renner samt einem silbernen Kameraden, der dem Computer entsprungen ist: Ein Mazda LM55 Vision Gran Turismo, Blech gewordener Renner aus der virtuellen Welt des Games rasen förmlich in den Himmel. Ist die wummernde Musik Kaliber "Mission Impossible" nicht ein wenig übertrieben? Keineswegs.

Das Publikum liebt es laut

Dies ist kein Festival der leisen Töne. Die 200.000 Menschen, die dieses Wochenende (25. - 28. Juni) in Goodwood verbringen, mögen es laut. Brüllende Motoren, über den Asphalt dröhnende Boliden, über die Köpfe jagende Düsenjäger, all das lässt die Herzen der Auto-Fans höherschlagen. Kinder bekommen riesige Ohrenschützer übergestülpt, und das ist gut so. Denn wenn sich Verbrennungsmotoren einer Drehzahl von 10.000 nähern, dann steigert sich der Krach ins Schmerzhafte, Urängste regen sich im Zuhörer, begleitet von unerklärlichen Glücksgefühlen. Hier versammeln sich Auto-Fans und Renn-Legenden. Sir Stirling Moss verkauft ein Auto, und wenn man auf eine Menschentraube stößt, die einen freundlich lächelnden, Bilder signierenden älteren Herren umringt, dann kann dies John Surtees sein, einer der größten Rennfahrer. Star trifft Fans.

Freiluftparty der Superlative

Goodwood FOS 2015
Das ist Goodwood: Gut gelaunte Rennsportfans, meist gutes Wetter.
Bild: Matthias Brügge
Südengland erlebt wieder einen sommerlichen Ansturm von Autoverrückten. Es ist eine Freiluftparty der Superlative, die Motorsportfreunde wie Klassik-Fans mit Motorgedröhn und blitzendem Blech in ihren Bann zieht. Schließlich heißt das Motto dieses Jahr "Furchtlos und mit Vollgas: Rennen am Limit". Klar, das Publikum trifft Rennsport-Stars und guckt Autos, und von denen gibt es reichlich. Auf dem 1,86 Kilometer langen Rundkurs von Goodwood bewegt sich alles, was bunt ist und Krach macht, von Rennwagen vergangener Zeiten wie dem BMW 3.0 CSL Batmobil oder dem zweitürigen Volvo 240 Turbo  bis zum aktuellen Formel-1-Renner. Sie alle werden den ¨Hill¨ hinauf gejagt, der "Hill Climb" ist Tradition in Goodwood. Hier zählen nicht nur Schnelligkeit und Stil, sondern auch Charakter.  Den hat der Plymouth Superbird von King Richard Petty ohne Frage. Er gehört zu den Publikumslieblingen, wenn er die von Heuballen umsäumte Strecke entlangjagt. Wenn dann mal ein Streckenfahrzeug, wie der weiße Mercedes G, unterwegs sind, wirkt es merkwürdig still. 
Goodwood 2014: Die Highlights
Delahaye Typ 165 Cabriolet
Stil und Luxus, keine Frage: Delahaye Typ 165 Cabriolet.
Bild: Matthias Brügge
Wer zwischendurch die Stille sucht, ist auf dem Cartier-Rasen richtig, wo eine erlesene Auswahl der schönsten Klassiker die Besucher zum Staunen bringt. Natürlich darf eine Riege von sieben Göttinnen nicht fehlen, schließlich feiert die Citroen DS ihr 60. Jubiläum. Vom Familiale bis übers Cabrio bis zum extravaganten Coupé, eine DS ist schöner als die andere. Ein Auto für die Ewigkeit. Dem die weitere automobile Gesellschaft auf dem englischen Rasen in nichts nachsteht. Ob Delahaye Type 135 -M-Cabriolet von 1937 oder Bugatti Type 43/44 Roadster Luxe, Talbot-Lago T150C SS "Tränentropfen", Alfa Romeo 8C 2300 MM oder Ferrari 330 GT Vignale Shooting Brake, wer diesen Rasen ohne zu lächeln verlässt, hat kein Herz. Das regelmäßige Geknatter von Helikoptern über dem Kopf, das Aufheulen der Motoren oder die Lautsprecherdurchsagen können die beseelte Stimmung nicht eintrüben, die über der "Stil und Luxus"-Wiese liegt.

Goodwood von Jahr zu Jahr größer

Die einzigartige Atmosphäre aus Rennsport-Event, Autoshow und Gartenparty lockt Enthusiasten aus aller Welt an. Seit 1993 ziehen Rennwagen aller Art und Herkunft in Goodwood ihre drei Tage währende Auto-Show ab. Das Festival begann als Treffpunkt einiger Auto-Enthusiasten, wuchs dann von Jahr zu Jahr und ist mittlerweile ein Ereignis, das regelmäßig den Verkehr im Umfeld von 50 Kilometern um das Gelände zum Erliegen bringt. Ein Stammgast in Goodwood ist die Rennlegende Sir Stirling Moss, der dieses Jahr dort das Auto verkauft, in dem er zuletzt 2011 in einem Rennen unterwegs war – einen Porsche RS-61. Sein Renner bringt atemberaubende 2,675 Millionen Euro.
Publikumsmagnet Auto-Auktion
Überhaupt ist die Auto-Auktion in Goodwood ein weiterer Publikumsmagnet. So versteigert das Auktionshaus Bonham's 2015 zwei Autos des Rolling-Stone-Bassisten Bill Wyman: Dessen Mercedes 250 S (W 108) von 1966, der erste mit geschwärzten Scheiben versehene Benz, war einem Sammler gut 29.000 Euro wert. Dagegen erbrachte Wymans Citroën SM von 1971 gar 87.000 Euro. Seinen "Hobby-Wagen", einen Porsche 911 3.2 Carrera Coupé, warf "Top Gear" Moderator James May auf den Markt, der Wagen erzielte gut 72.000 Euro, nicht schlecht für ein G-Modell von 1984. Als weitere Perle der Auktion erwies sich ein Aston Martin DB5 mit roten Ledersitzen, der für 775.000 Euro einen neuen Besitzer fand. Keinen Käufer fand dagegen ein Mercedes 300 SL Flügeltürer von 1958, der Schätzpreis lag bei 1,3 Millionen Euro.

"Hoch das Dach"

Zurück zum Ort des Geschehens. Einmal die Rennstrecke überquert, kommt die Moving Motor Show. Goodwood ist nicht nur Rennkurs, es ist eine Autoshow, auf der alle großen Hersteller ihre neuesten Autos zeigen. Als Weltpremiere zeigte Peugeot den 308GTi. Renault präsentiert seine Wagenpalette gleich neben dem goldgelbem Renaultsport R.S. 01, alle Autos sind im gleichen "Liquid Yellow" gehalten. Ken Block präsentiert in Goodwood den Ford Focus RS mit 350 PS als Großbritannien-Premiere, auf dem Stand steht auch der Focus ST mit 250 PS neben übereinander hängenden GT. Jaguar lüftet das Cover von XES und zeigt einen XVR als Bloodhound Support Vehicle. Mazda, Hauptsponsor des Events, bringt die gesamte Neuwagenpalette mit sowie den neuen Roadster MX-5 in einer eigenen Ausstellung. Deren Motto lautet: "Hoch das Dach". Passt. Ganz sportlich kommt BMW daher, die Bayern fahren mit drei klassischen Rennautos vor: einem Formel-1-Renner BMW McLaren F1 GTR Long Tail, einem Formel-2-Wagen BMW F2 March 782, und einem M3 GTS ALMS, der die 24 Stunden von Le Mans mitgefahren ist. Die Nachbarn aus Ingolstadt präsentieren einen Auto Union Typ D Doppelkompressor von 1939. 
Etwas abseits hat der AA, das britische Pendant zum ADAC, seine Riege an historischen Fahrzeugen aufgestellt, vom Morris Minor bis zum Mini Van von 1963. Abseits des Trubels ticken die Uhren anders, wer will, darf auf dem Stahlrohrsitz des Land Rover von 1948 Platz nehmen. Ein Bedford-Abschleppwagen und eine knallgelbe Harley Electra Glide komplettieren die Sammlung. 
Mazda 787B "Le Mans"
Mazda rollt mit heißen Rennern vor, wie dem "Le Mans"-Gewinner 787B
Bild: Goodwood Press Office
Aber zurück auf die Rennstrecke. Dort werden gerade die Krawallbrüder in ihren bunten Autos mit den dicken Reifen auf das Rund losgelassen. Drift-Legende Ken Block im Ford Mustang "Hoonicorn" und Brachialfahrer "Mad" Mike Whiddett zeigen auf der Hausstrecke von Goodwood ihre Verachtung für Gummi in Reifenform. In wilden S-Kurven tänzeln die Autokünstler über den Asphalt. Dann werden Donuts gedreht, erstmals in Goodwood als Programmpunkt. Die Fahrer beweisen, dass die schnellste Strecke nicht die schönste sein muss. Dann schlägt die Uhr 12.15. Ein Donnern erfüllt die Luft, die Royal Air Force erscheint in Gestalt der legendären "Red Arrow"-Staffel, die den blauen Himmel über Goodwood mit blauen, roten und weißen Streifen durchkreuzt. Hierzulande liebt man die englischen Farben, warum nicht, bei einer besonders gelungenen Kunstflugaktion brandet Beifall auf.

Achtjähriger trifft Driftstar

Mazda FC RX7
Harte Schale, weicher Kern: Driftfahrer Mike Whiddett im Mazda FD RX7.
Bild: Matthias Brügge
Flugshow vorbei, erste Drift-Demo vorbei, die Wagen kehren zurück in ihre Unterstände. Und hier zeigt sich, dass die wilden Kerle in ihren brüllenden Kisten auch sanft sein können. Mike Whiddett, ein tätowierter Kerl, kehrt von der Rennstrecke zurück, parkt seinen Mazda FD RX7 in seinem Unterstand. Und plötzlich ist es ganz leise, als Whiddett auf einen kleinen Jungen zugeht, der im Fahrerlager schon sein Idol erwartet. Der vielleicht Achtjährige sitzt im Rollstuhl, guckt hoch zu dem knorrigen Rennfahrer. Beide sprechen einen Augenblick lang, drücken einander die Hand. Fan trifft Star. Goodwood kann auch leise.