Die VW-Entwickler sind Anfang der 70er-Jahre schwer gefordert. Denn mit den Langweiler-Modellen 1600 und 411 ist gegen Ford und Opel kein Staat mehr zu machen. Ein in Wolfsburg entwickeltes Frontantriebsmodell namens EA 272 (EA für Entwicklungs-Auftrag) ist zwar in Arbeit, wäre aber erst 1974 serienreif. Deshalb die Blitzentscheidung von VW-Chef Rudolf Leiding: Den Audi 80 muss es auch als VW geben. Das geht auf die Schnelle, denn technisch ist nicht viel zu ändern – bis auf die Modifikationen von Federn und Dämpfern an der Hinterachse. Die werden notwendig, weil der Passat auch als Variant erhältlich sein soll. Die Hauptarbeit fällt den Stilisten zu, weil die Konzernstrategie für VW-Modelle ein schräges Heck vorschreibt. Aber das haben sie in Wolfsburg schon: Der Rücken des EA 272, von Giorgio Giugiaro gestaltet, findet sich jetzt am Passat.
VW Passat GLS
Das Passat-Schrägheck stammt von Giorgio Giugiaro, als Zweitürer – damals weniger verlangt – wirkt der VW wie ein Coupé.
Bild: U. Sonntag
Schöner als der Audi ist er nicht geworden, aber er sieht aus wie ein eigenständiges Auto, größer und gewichtiger als die feingliedrige Limousine aus Ingolstadt. Auch im Innenraum gibt es Unterschiede. Der Passat kommt aus Kostengründen mit VW-Sitzen und höherer Sitzposition. Schlechter als im Audi fühlt sich der VW-Fahrer nicht. Auch der Passat glänzt mit einer leichtgängigen, von zerrenden Antriebseinflüssen nahezu freien Lenkung. Das leicht untersteuernde Kurvenverhalten sowie der auch bei hohen Geschwindigkeiten stabile Geradeauslauf beweisen die Vorzüge des neuen Frontantriebskonzepts. Wegen der großen Glasflächen ist der Passat nach Werksangabe etwas schwerer als der Audi, was aber für diesen Vergleich nicht zutrifft, weil der Audi mit Automatikgetriebe antritt. So rollt der Passat als der leichteste Kandidat im Vergleichstest an, und trotz geringster Motorleistung erzielt er in fast allen Disziplinen die besten Fahrleistungen. Er ist ein ausgesprochen munteres, fast schon sportliches Auto, das auch auf der Autobahn locker mitschwimmt. Nur an das ungewohnt hohe Drehzahlniveau und entsprechendes Motorbrummen müssen sich VW-Benutzer gewöhnen. Die Zeit der Fünfgang-Getriebe ist noch nicht angebrochen.

Von

Götz Leyrer