Können 2,5 Millionen Käufer irren? Sie nahmen einen VW Typ 3, weil er wie der Käfer und doch ganz anders war. Bis heute versteht ihn nicht jeder – das hält den VW 1500/1600 bezahlbar.
Was hätten wir selbst gefahren, damals, in den 60er-Jahren? Welches Auto hätten wir genommen, um zarte Damen mit Twiggy-Frisur und Courrèges-Sonnenbrille zu beeindrucken? Was hätten wir uns vor den weißen Winkelbungalow gestellt? Welcher Wagen hätte gepasst zu einem 60er-Jahre-Trendberuf wie Kontakter, Innenarchitekt oder Computer-Fachmann? Viele Fragen, eine Antwort: garantiert kein VW Typ 3. Denn den fuhren die anderen. Und davon gab es immerhin zweieinhalb Millionen. Typen, die weder beeindrucken wollten noch zu beeindrucken waren. Deshalb saßen sie nicht im Alfa, nicht einmal im Opel Commodore oder Audi Super 90, sondern im uneitelsten Auto, das die Republik nach dem Käfer zu bieten hatte. Doch eigentlich war der Typ 3 ja ein Käfer, ein etwas größerer für Besserverdiener, aber natürlich mit Heckmotor, Luftkühlung, Plattformrahmen und 2,40 Meter Radstand. Mehr war nicht drin, weil der Typ 3 sonst zu groß geworden wäre für die Prüfstände der VW-Händler.
Das hängende Heck war typisch für den VW 1600. Viele Besitzer packten Ballast in den Bug, was den schlechten Geradeauslauf stabilisierte.
So sachlich konnte Marketing sein im Sommer 1961, vor 50 Jahren also. Und doch so erfolgreich: Denn mit dem VW 1500 öffnete sich eine Marktlücke, die Wolfsburg mit dem Passat noch immer erfolgreich verteidigt. Merken wir was? Auch der ist kein cooler Typ, höchstens ein etwas unterkühlter. Wie der VW 1500/1600, den heute die jungen Fans so gern haben wegen seiner Schüchternheit. Zum Beweis zitieren sie große Wolfsburger Werbeworte wie dieses: "Der VW 1600 ist kein Blender, der mit Chrom und Styling-Arabesken um sich wirft, sondern ein gediegenes Fahrzeug, befähigt, seinem Besitzer zu dienen." Das teilte die VW-Presseabteilung noch im Jahr 1972 allen Ernstes den Medien der Welt mit. Lange hatten die Käfer-Bauer gar nicht mit Aufsteigern gesprochen. VW-Chef Heinrich Nordhoff ließ sie eher zu Opel und Ford abwandern, als ein großes VW-Modell auf den Markt zu schieben: Denn Wolfsburg konnte dem gierigen Weltmarkt nicht einmal genug Käfer liefern.
Luxuriös war das Cockpit nicht, aber narrensicher und erstklassig verarbeitet.
Als der VW 1500 dann zur IAA 1961 erschien, fiel es ihm schwer, die Besserverdiener zurückzuholen. Ford baute schon den 17M im mutigen Badewannen-Design, VW dagegen pflegte in den Augen vieler Kunden einen "Stil zum Gähnen", wie der "Spiegel" zum Debüt schrieb. Was heutige Fans am VW Typ 3 besonders reizt, war damals sein größtes Handicap: Nordhoffs Festhalten am Käfer-Prinzip. Modernes Design spielte deshalb keine Rolle. "Er sieht aus, als hätte er sich eine Schürze umgebunden, um Pfannkuchen zu backen", ätzte 1962 der "Stern". Auch Leistung war in Wolfsburg nicht so wichtig, 45 PS aus 1,5 Liter Hubraum und Tacho 130 mussten anfangs reichen. Nur den Wunsch der Kunden nach mehr Kofferraum konnten die VW-Entwickler verstehen, weshalb sich der Boxermotor so flach machen musste, dass später nur Mechaniker mit Kinderhänden daran schrauben konnten. Doch darüber blieb wenigstens Platz für einen ebenfalls extraflachen Zweit-Kofferraum – und die Ladefläche des ersten Variant, der aus Wolfsburg kam.
Der VW 1600 war kein teures Auto, doch nichts an ihm wirkt billig
Der Typ 3 Kombi war ein Erfolg, der auch Marketing-Geschichte schrieb: Als erste Marke bot ihn VW als Familienwagen an, nicht als Transporter fürs Grobe. "Was hat ihre Frau gegen dieses Auto?", fragten doppelseitige VW-Anzeigen – und ließen später jeden zweiten Käufer zum Variant greifen. Sie benutzten ihre Familienkombis so intensiv, dass kaum einer übrig blieb. Wer heute einen VW 1500/1600 sucht, findet fast immer das klassische Stufenheck, manchmal auch einen 1600 TL, für den VW 1965 das neue Kunstwort "Fließheck" erfand. Nur beim Fahren unterscheiden sie sich nicht – und machen schon beim Einsteigen klar, was in den 60ern ihr größter Vorzug war. Sie waren nicht teuer, doch bis heute wirkt nichts an ihnen billig. Meist waren die Sitze auch nach 40 Jahren noch nie beim Sattler, der erste Dachhimmel sieht neuwertig aus, die Uhr im Armaturenbrett tickt, die Schalter sagen "Klack".
Entschleuniger: VW Typ 3
Der Motor, meist der werksoriginale, startet spontan und grummelt, gut angefettet von der Startautomatik, im Sound des Stoikers. Wer die Karosserie seines Typ 3 gegen Rost schützte, der konnte in den 60ern ein Auto fürs Leben kaufen. Es waren meist keine Heizer, die sich am dünnen Kranz des Plastik-Lenkrads festhielten, denn schnell fahren macht hier keinen Spaß. Hecklastigkeit und Seitenwind lassen den Typ 3 auf seinen schmalen Reifen tänzeln. Und speziell frühe Exemplare reagieren auf Lastwechsel so ungehalten wie ein CSU-Wähler auf ein APO-Traktat. Manche VW-Tuner greifen sich einen 1600er und machen ihn richtig schnell, aber das ist ein großes Missverständnis. Selbst die träge Dreistufenautomatik passt besser zum Naturell eines Autos, dem einst nichts so fremd war wie Prestige und Hektik. Als freundlicher Entschleuniger cruist der VW Typ 3 durch den heutigen Alltag. Seine Fans sind jung, oft hübsch und weiblich, und haben eines gemeinsam: In den 60ern hätten sie ganz andere Autos gefahren.
Historie
1961: Auf der IAA zeigt VW den VW 1500 als Stufenheck-Limousine, dreitürigen Variant und Cabriolet, das dann doch nicht in Serie geht. Statt eines Cabrios baut Karmann ein Ghia-Coupé. 1963: VW 1500 S mit zwei Vergasern und 54 statt 45 PS. Der neue Motor erweist sich als thermisch sensibel, was ein großes Medienecho auslöst ("Dreht der VW 1500 S zu hoch?"), außerdem braucht er Superbenzin. 1965: VW 1600 mit neuem 54-PS-Motor für Normalbenzin und vorderen Scheibenbremsen. Das Fließheckmodell TL soll die Stufenheck-Limousine ablösen, doch die läuft weiter, weil sich der TL nur zäh verkauft. Zudem bleibt der Einvergaser-Motor mit 45 PS im Angebot. 1967: Dreistufenautomatik und elektronische Einspritzung (1600 LE) auf Wunsch. 1969: große Modellpflege mit zwölf Zentimeter längerem Bug, größerem vorderem Kofferraum, neuen Stoßstangen, Blinkern und Rückleuchten. 1971: neues Vierspeichen-Sicherheitslenkrad. 1973: Produktionsstopp im Juli nach 2.584 904 Exemplaren. Nachfolger des VW 1600 wird der frontgetriebene und wassergekühlte Passat.
Technische Daten
Der Preis für den Kofferraum im Heck war ein schwer zugänglicher Motor.
Volkswagen 1600 L Typ 3: Vierzylinder-Boxer, hinten längs • zentrale Nockenwelle über Stirnräder angetrieben • zwei Ventile pro Zylinder • zwei Solex-Fallstromvergaser • Hubraum 1584 ccm • Leistung 40 kW (54 PS) bei 4000/min • max. Drehmoment 110 Nm bei 2200/min • Viergangschaltgetriebe • Hinterradantrieb • vorn Kurbellenkerachse mit Drehstab-Stabilisator, hinten Längslenker • Reifen 165 SR 15 • Radstand 2400 mm • Länge/Breite/Höhe 4340/1640/1470 mm • Leergewicht 1010 kg • Tankinhalt 40 l • 0–100 km/h in 25 s • Spitze 135 km/h • Verbrauch um 11 Liter Normal pro 100 km • Neupreis 1969: 7070 Mark.
Plus/Minus
Die Nähe zum Käfer ist allgegenwärtig: Ein VW 1500/1600 lässt sich problemlos im Alltag fahren, ist zuverlässig und solide, im Grenzbereich aber schwer zu beherrschen und das Gegenteil eines praktischen Autos. Selbst der 1600 Variant ist kein wirklich geräumiger Familien-Kombi, und für ihre beschaulichen Fahrleistungen sind alle VW Typ 3 zu durstig. Die Fans stört das nicht, sie lieben den 1500/1600 für seine Seltenheit und Originalität. Dafür nehmen sie auch in Kauf, dass der Mittelklasse- VW trotz seines sorgfältigen Finishs grauenhaft rosten kann – zum Beispiel an den vorderen Kotflügeln, den A-Säulen, Stehblechen, Schwellern und Stoßstangen-Aufnahmen. Wie beim Käfer kommen durchgegammelte Vorderachskörper häufiger vor. Unproblematisch ist die Technik: Bei guter Pflege halten die Typ-3-Motoren über 200.000 Kilometer, Ölverlust im Bereich der Stößelrohre ist jedoch typisch.
Ersatzteile
Der Mode-Farbton Clementine ließ 1969 den schon altmodischen Typ 3 jugendlicher wirken.
Vordere Kotflügel – speziell für das späte Modell ab Herbst 1969 – sind schon seit 20 Jahren rar und teuer, Neuteile kosten bis zu 800 Euro pro Stück. Auch gute Stoßstangen, besonders die frühe Version mit Hörnern, sind inzwischen schwer zu beschaffen. Da noch immer rostige Schlachtwagen auftauchen, gibt es reichlich gebrauchte Technik-Teile und mitunter sogar Innenausstattungen in gutem Zustand. Die Preise bewegen sich auf Käfer-Niveau.
Marktlage
Häufigstes Modell im Angebot ist der späte 1600 L als Stufenheck-Limousine, Preis (Zustand 2): rund 5000 Euro. Seltener und gesuchter: Variant, TL und alle Versionen mit originalem Schiebedach (bis 7000 Euro). Rar geworden sind frühe Typ 3 – nicht nur die von 1963 bis 1965 gebaute Luxusversion 1500 S, sondern alle Exemplare mit kurzem Vorderwagen. Massenauto hin oder her: Ein 1500 S Variant mit Schiebedach und originalen 60.000 Kilometern ist seltener als jeder gleich alte Porsche911 und kann Preise erzielen, die deutlich über der Classic-Data-Notierung (6000 Euro in Zustand 2) liegen.
Empfehlung
Alle Typ 3 sind sympathische Autos mit dem bürgerlichen Flair der 60er-Jahre. Wer viel fahren will, ist mit einem späten 1600 am besten dran – zwölf Volt, Scheibenbremsen vorn und Doppelgelenk- Hinterachse sind gute Alltags-Argumente. Sammler mit Sinn für Seltenes sollten sich auf die Suche nach einem frühen Exemplar machen, das optisch fragiler wirkt und sich beim Fahren musealer anfühlt. Besonders rar und reizvoll: VW 1500 S und frühe Exemplare der Fließheck-Version 1600 TL.