Der Fiat 500 Jolly avancierte in den 50er-Jahren zum geliebten Spielzeug der Schönen und Reichen. Nur sehr wenige Exemplare überstanden ihr Luxusleben fernab aller kleinlichen Gedanken an Alltagstauglichkeit.
Bild: A. Emmerling
Kleinigkeiten, nette Details spielen in der Welt der Schönen und Reichen, ganz besonders in der Welt der ganz schön Reichen, eine wichtige Rolle. Die richtige Uhr am gebräunten Handgelenk, die richtige Handtasche am Ellbogen sind in der Upper Class Accessoires, die über in und out entscheiden und die ganz en passant geeignet sind, dem neureichen Nachbarn im Hafen von Antibes, Monte Carlo oder Portofino zu zeigen, was für ein provinzieller Lackel ohne Stil und Ideen er doch ist. Wahrscheinlich spielte dieses "Ich hab’ was, was du nicht hast" auch die Hauptrolle bei der Geburt des Fiat 500 Jolly. Einer glaubhaften Legende zufolge erkannte Giovanni Agnelli, dass ihm stilvollere Wege als der des Laufens offenstehen, um von seiner Zweimast-Jacht "Agneta" zur nächsten Bar, ins Hotel oder nur zu seinem Auto zu kommen, das ihm dienstbare Geister von Hafen zu Hafen nachbrachten. Agnelli, 1921 geborener Sprössling aus schwerreichem italienischem Industrie-Adel, war damals schon Fiat-Vizepräsident und beauftragte die Carrozzeria Ghia, ein kleines Strandauto zu bauen.
Warum zu Fuß von der Jacht in die Bar, wenn es mit einem Fiat 500 Jolly bequemer geht?
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Da die Agneta nur 82 Fuß lang war und Platz knapp, fiel die Wahl auf den im Juli 1957 vorgestellten Nuova 500, den Heckmotor-Cinquecento, der die Massenmotorisierung Italiens beschleunigte. Im Grunde kein Auto, das zum Eindruckschinden in Agnellis Kreisen getaugt hätte. Doch interessanter war ja die Idee, auf dem Schiff ein Landfahrzeug mitzuführen, das sich von der Crew ohne Mühe abladen ließ. Eines, mit dem man wendig, witzig und einzigartig mobil war. Ghia ließ sich nicht lumpen und zauberte aus dem Nuova 500 innerhalb von nur vier Monaten ein Schnuckelchen, dem die Lebensfreude aus allen Karosseriefugen sprühte. Dem bevorzugten Einsatzort in sonnigen Hafenstädten angepasst, schnitt Ghia kurzerhand das Dach ab, kupierte die Windschutzscheibe und entfernte die beiden Türchen. Auch das hintere Seitenteil kam unter die Blechschere, damit alles möglichst leicht und luftig geriet.
Weißwandreifen müssen sein. Anfangs saßen unter dem Fransendach nur Leute mit viel Geld.
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Da Einsätze bei Regen ebenso unwahrscheinlich waren wie die Gefahr, an nur einem Casino-Abend das ganze Familienvermögen durchzubringen, hat der 500 Jolly auch kein richtiges Verdeck. Das leichte Baldachin-Dach mit den Rundum-Fransen wird an dünnen Stangen mit dem Auto verschraubt und ist Schattenspender, sonst nichts. Scheibenwischer? Ach, wozu – 1958 und 1959 sollen manche Jolly allerdings damit ausgerüstet worden sein. Wenn der Jolly, dessen Name mit den drei Begriffen Joker, Jolle und fröhlich spielt, von Bord gehievt wurde, schien die Sonne. Basta. Dazu passte auch die Idee, die Sitzgestelle nicht mit Stoff zu überziehen, sondern mit Sisal-Geflecht. Denn das nimmt es nicht übel, wenn Signore mit der nassen Badehose und Signora mit dem vom Bade feuchten Einteiler vom Strand zum kleinen Imbiss ins Bistro düsen. Und Agnelli lebte nicht allein abseits des Existenzminimums: Schnell sprach sich sein Strandauto in den Jetset-Kreisen der späten 50er-Jahre herum.
Aristoteles Onassis bestellte gleich drei Jollys
Der Jolly bekam reichlich Chrom umgehängt und stilvolle Korbsessel verpasst.
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Daher fädelte Fiat eine Kleinserie ein, um auch guten Freunden des Chefs zu ihrem Jolly zu verhelfen. Aristoteles Onassis, griechischer Reeder und Freund großer Jachten, bestellte gleich drei. Und auch in den USA wurde der Kleine ein ganz Großer. Wer etwas auf sich hielt in der Society, zeigte sich im Jolly. Glatzköpfchen Yul Brynner, Berufs-Cowboy John Wayne, Busenwunder Mae West und auch Fürstin Gracia Patricia von Monaco, vor 1956 bekannt als Grace Kelly, zeigten sich auf den Korbsesseln des Millionärs-Cinquecento. Dass der alltagsferne Jolly in den USA fast doppelt so teuer war wie ein Basis-500er, dass er in Europa mehr kostete als ein VW Käfer, fiel nur Erbsenzählern auf. Die solvente Klientel gönnte ihn sich wie die dritte Segeljolle und knatterte, vergnügt im unsynchronisierten Getriebe kratzend, am Strand entlang oder über die eigene Farm wie US Präsident Lyndon B. Johnson.
Hat das Volk etwas verpasst, von dem es den Enkeln zu berichten lohnte? Schwierige Frage. Das nett gemachte Auto mit dem großzügigen Chromschmuck weckt Sammler-Sehnsucht, ist aber heute noch viel mehr Spielzeug als vor 50 Jahren. Die Korbsessel sind knochenhart, besonders ihre gewölbten Lehnen. Über die flache Scheibe bläst der Wind größeren Fahrern genau auf die Stirn und in die Augen, durch die Türausschnitte zieht es wie Hechtsuppe. Selbst ein BMW Z1 mit heruntergelassenen Türen wirkt dagegen wie ein lauschiges Plätzchen im Windschatten. Längere Touren? Och nö. Und wenn, raten Jolly-Kenner selbst bei Hitze zum Nierengurt, da der Wind im Innenraum aus allen Richtungen weht. Unschlagbar cool ist es aber schon, mit einem Jolly zum nahen Strandbad zu prötteln oder kurz zum Gartenlokal um die Ecke. Man sieht gut darin aus und kann sicher sein, hier als Einziger im Jolly vorzufahren. Fast ist es wie vor 50 Jahren: ein exklusiver – und sehr teurer – Spaß.
Historie
Das spindeldürre Lenkrad war in Wagenfarbe gehalten, zusätzliche Instrumente gab es nicht.
Bild: A. Emmerling
Der im Juli 1957 vorgestellte Fiat Nuova 500 kommt dem mächtigen Fiat-Mitgesellschafter Giovanni Agnelli wie gerufen: Er gibt bei dem mit Fiat eng verbundenen Karosseriespezialisten Ghia auf Basis dieses kleinen Heckmotorautos einen leichten, lebensfrohen Strandwagen in Auftrag. Der 500 Jolly erlebt seine Weltpremiere auf dem Turiner Salon im November 1957 und ist im Frühjahr 1958 dann auch auf dem Genfer Salon zu bestaunen. 1958 startet der Export in die USA, wo der Jolly wegen der Zulassungsbestimmungen größere und höher montierte Scheinwerfer trägt. Im Sog des 500 Jolly verwandeln sich auch weitere Großserien-Fiat zu Beachcars. So werden nicht nur der seit 1955 gebaute 600er, sondern auch sein Van-Ableger Multipla, der 1956 in Serie ging, das Dach und die Türen los. Bis in die 70er-Jahre entstehen in Einzelanfertigung hin und wieder Jolly-Replicas. Zu den wohl seltensten Jolly des Hauses Fiat zählt der Shellette Jolly auf Basis des 850 Spider (1965–1973). Den kleinen Sportwagen öffnete jedoch nicht Ghia, sondern Mitbewerber Michelotti.
Technische Daten
Fiat 500 Jolly: Reihenzweizylinder, luftgekühlt, längs im Heck • eine Nockenwelle, über Kette angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder • ein Weber-Vergaser • Hubraum 499 ccm • Leistung 13,2 kW (18 PS) bei 4600/min • max. Drehmoment 30 Nm bei 3000/min • Viergang-Schaltgetriebe • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung, vorn an Querlenkern und Querblattfeder, hinten an Schräglenkern und Schraubenfedern • Reifen 135 R 13 • Radstand 1840 mm • L/B/H 2970/1320/ca. 1200 mm • Leergewicht 520 kg • 0–100 km/h keine Angabe • Spitze 100 km/h • Verbrauch ca. 5,0 l N/100 km • Neupreis 1958: circa 5000 Mark.
Plus/Minus
Der kleine Zweizylinder im runden Heck ermöglicht etwa 100 km/h - theoretisch!
Bild: A. Emmerling
Viel luftiger als im 500 Jolly ist man eigentlich nur auf dem Fahrrad unterwegs – viel spartanischer allerdings auch nicht. Dass der flotte Hüpfer an lauschige Plätzchen kommt, die normalen Autos nicht zugänglich sind, erhöht seinen Reiz, birgt in sich allerdings die Gefahr von Strafzetteln. Immerhin besteht in halbwegs festem Sand kaum Gefahr, sich einzubuddeln. Dazu ist das Auto schlicht zu leicht. Alltagstauglichkeit stand nicht im Lastenheft bei der Entwicklung – Spaß auf engstem Raum war gefordert. Noch nicht einmal der kleine Kofferraum im Bug ist abschließbar, das Flatterdach schützt den Innenraum selbst im Stehen nicht vor Regen. Kurz gesagt: ein Spielzeug für wenige Stunden im Jahr.
Ersatzteile
Wie so oft bei Karosserieumbauten aus der Kleinserie: Was die Technik angeht, ist die Situation entspannt. Seien es Motor, Getriebe oder Fahrwerk: Ohne langes Suchen bekommt man alle Teile, denn die 500er-Gemeinde funktioniert blendend und ist sehr hilfsbereit. Ein ganz düsteres Kapitel sind allerdings jene Karosserieteile, in denen sich der Jolly vom normalen 500 unterscheidet. Das gilt bei US-Versionen auch für die geänderten Scheinwerfer. Geht hier einmal etwas zu Bruch, wird der Jolly ohne die Hilfe eines talentierten Spenglers zum Problemfall. Die gekürzte Windschutzscheibe gibt es nur noch als teure Einzelanfertigung.
Marktlage
Wann haben Sie das letzte Mal einen Porsche Carrera 2.7 RS in freier Wildbahn gesehen? Genau. Nicht viel höher sind die Chancen, einen originalen Fiat Jolly zu treffen. Kenner schätzen, dass maximal 700 Jolly auf Basis des 500, 600 und Multipla entstanden, von denen nur 100 überlebten. Besonders selten ist der Multipla Jolly, der in seinen ersten Jahren häufig als Taxi lief. In den USA ziehen die Preise seit Jahren heftig an, ein 500 Jolly wurde im Frühjahr für 82.000 Dollar versteigert. Ein 600 Jolly, Baujahr 1959, aus vierter Hand ging Ende Mai in Monaco für 40.000 Euro weg. Wertsteigernd wirkte bei diesem Auto sicherlich, dass sein erster Eigentümer Giovanni Agnelli höchstpersönlich war.
Empfehlung
Wenn Sie für den Jolly eines Ihrer Reitpferde verkaufen müssten, überlegen Sie es sich lieber noch mal. Wenn nicht: Checken Sie, ob an Deck Ihrer Jacht genügend Platz ist. Dann lassen Sie Ihre Crew im Fitnessstudio trainieren und einen Kran an Deck montieren, um das Auto im nächsten Hafen ohne peinliche Szenen abladen zu können. Ansonsten: viel Glück bei der Suche.