Nein. Der Ring ist nicht sein Ding. Heizen mit voller Last, auf langen Rennstrecken zum Beispiel, mag der Integrale nicht. Und vor allem kann er es nicht ausstehen, wenn man ihn nach fröhlichem Galopp achtlos abstellt, als habe man eben nichts gemeinsam erlebt. Da wird er zickig, und wer das öfter mit ihm macht, erhält die Quittung: Irgendwann verbackt sich die Ölkohle so im Turbolader, dass der streikt. Eine Diva also. Kein Wunder, stammt der Delta schließlich aus dem Mutterland der großen Gefühle – und der lässigen Verarbeitung. So ein Delta Integrale ist doch Teufelszeug: heikle Allradtechnik, hochgezüchtete Turbo-Technik, und das alles verpackt in einer kastig-kompakten Karosserie von zweifelhaftem Finish. Alles Quatsch. "Das stimmt nicht", sagt Werner Blättel (47) aus dem hessischen Elz. Der Architekt ist Integrale-Fan durch und durch: "Sieben oder acht Integrale habe ich besessen. Liegen geblieben bin ich nie."
Lancia Delta Integrale
Überflieger: Sechs Mal wurde Lancia mit dem Delta Integrale Rallye-Weltmeister.
Das ist kein Wunder, meint Ralph Sauer (41) aus Goldbach bei Aschaffenburg. Er hat bei Lancia gelernt, geschraubt und sich in den Integrale verliebt, als er ihn 1992 auf dem Col du Turini im Schnee hat tanzen sehen. Und dessen Konkurrenz, die kläglich verhungerte. Es war die "Nacht der langen Messer", jene legendäre Etappe der Rallye Monte-Carlo in den Seealpen. Seit 15 Jahren kümmert sich Sauer mit seiner Werkstatt um das italienische Allrad-Geschoss im Tarnkleid eines braven Kompakten. Und sagt: "Nur Integrale, nach denen nicht geschaut wird, machen richtig Probleme." Was er an Teilen braucht, findet er. Doch woher kommt der schlechte Ruf? Alles Vorurteile? Nein. Denn früher gab es durchaus nach nur 30.000 Kilometern Motorschäden. "Heute jedoch gehen Integrale-Besitzer bewusster mit den Autos um", weiß Ralph Sauer, "die meisten sind um die 40. Jetzt erfüllen sie sich ihren Jugendtraum." Billig ist der nicht mehr.
Lancia Delta Integrale
Das kantige Delta-Design stammt von Giorgetto Giugiaro – und war wegweisend.
Die Integrale-Preise haben sich seit 2005 verdoppelt, für manches rare Sondermodell kratzen verrückte Forderungen sogar an der sechsstelligen Marke! Doch ordentliche, fahrbereite Integrale der ersten Serie starten noch deutlich diesseits der 10.000-Euro-Schwelle. "Anfangs litten sie unter einem schnellen Wertverlust", sagt Werner Blättel, "und als sie richtig billig waren, sind sie herumgereicht worden." Die Folge: kaum noch kundige Fahrer, kaum noch kundige Schrauber, dafür umso mehr halbgare Tuning-Experimente. "300 PS gibt’s schon ab 3000 Euro", sagt Blättel, "doch die toben nicht lange." Wäre es so, hätte das Lancia-Team einst nicht so viel Geld in die Werks-Rallyeautos gesteckt.

Lancia powered by Ferrari: Lancia Thema 8.32

Unter uns gesagt: So ein Integrale ist schon ab Werk alles andere als schlapp. Wenn sein Turbo Druck macht, schiebt er urgewaltig voran. Und nichts verpufft, jeder Newtonmeter wird zu Vortrieb. Dabei läuft der Integrale gut geradeaus und zirkelt so locker-lässig durch alle Kurvenradien, dass es Ungeübten schnell bange werden kann. Muss es nicht, der Integrale kann es, solange der Pilot den griffigen Wildlederkranz des Lenkrads festhält. Meist dürften die Grenzen des Fahrers deutlich unter denen seines Gefährts liegen, dessen Fahrwerk die Lancia-Techniker mit einer großen Portion Leidenschaft extrem schmackhaft abgestimmt haben. Dazu bremst ein Integrale so scharf, wie er fährt. Er ist hart, aber nicht zu sehr, bietet jedoch mit vier Türen Alltagsqualitäten. Die nutzt natürlich kaum einer.
Ein Integrale taugt nicht als Kindergarten-Zubringer. Es sei denn, man hat die Zeit bis zum Abholen frei. Und eine feine, kleine Bergstrecke vor der Tür. Wer das heute so über ein paar Tausend Kilometer im Jahr treibt, dabei die Wartungsintervalle einhält und nicht ständig Vollgas gibt, wird den Spaß genießen. Sofern er nicht vergisst, den Motor nach jedem heißen Ritt ein paar Minuten im Stand laufen zu lassen, bis der Turbo sich auf Wohlfühl-Temperatur abgekühlt hat. Wer’s weiß, macht es gern. Heute weiß es fast jeder. Und, ach ja, die Delta-Elektrik leidet unter schlechtem Masse-Anschluss. Italienisch eben, geschenkt. Muss man halt einmal machen. Sogar der Rost ist kein großes Problem. Nur ein kleines: Der Delta Integrale hat seine typischen Stellen, zum Beispiel am vorderen Scheibenrahmen und am Ende des Dachs. Manchmal trifft es die Radkästen oder die unteren Türkanten. Andere machen das auch nicht viel besser.

Lancia Delta Integrale: ein Auto für Könner und Kenner

Sammler lieben die deutlich verbesserten Evo-Modelle ab 1991. Wer aufs Budget achtet, findet seinen Spaß auch mit den frühen, etwas weicheren Modellen. Genügend Geld sollte jedoch bei jedem Trip dabei sein: Kostverächter sind die Integrale nicht. Je nach Gasfuß setzen sie locker bis zu 20 Liter auf 100 Kilometer um. Inzwischen schaut bei Ralph Sauer in Goldbach ab und zu der Nachwuchs vorbei. Die Jungs tragen coole Kappen, den Integrale kennen sie von ihrem Playstation-Bildschirm: "Ralph, was macht der denn Spitze?" Falsche Frage. Sauer weiß: Die haben das Auto noch nicht verstanden. "Jungs", rät er dann, "ihr braucht ein anderes Spielzeug." Kenner und Könner dagegen werden glücklich mit der Diva. Richtig glücklich.

Historie

Lancia Delta Integrale
Gekippt und quer passt der 16V-Vierzylinder unter die Haube mit der markanten Hutze.
Auf der Frankfurter IAA schickt Lancia 1979 den brandneuen Delta ins Rennen. Unter seinem kantigen Blech, von Giorgetto Giugiaro gezeichnet, steckt neben Fiat-Ritmo-Technik noch eine Menge Lancia-Geist – der Delta wird "Auto des Jahres 1980". Mit 1,3- sowie 1,5-Liter-Motoren geht es los (75 und 85 PS), 1982 kommt ein GT (1,6 Liter, 105 PS) dazu, ein Jahr später folgt der HF Turbo (1,6 Liter, 131 PS). Der erste Paukenschlag kommt 1985: Mit dem Delta S4 (200 Exemplare) entsteht die Basis für ein Gruppe-B-Rallyeauto. Weniger extrem fällt 1986 der Delta HF 4WD aus (2,0 Liter, 165 PS), der den Start für die Integrale-Serie markiert. Der Name selbst taucht erstmals 1987 beim Delta HF Integrale auf (185 PS). Zwei Jahre später bietet Lancia den Delta HF Integrale 16V an (200 PS), 1991 kommt der große Schritt: Mit dem umfassend überarbeiteten Delta HF Integrale Evoluzione (auch Deltone, großer Delta, genannt) startet die zweite Phase. In Deutschland gibt’s dieses Modell als 8V mit Kat und (auf Wunsch) als 16V ohne Kat. 1993 kommt der 16V mit Kat. Als 1994 die Produktion stoppt, ist er längst Kult.

Technische Daten

Lancia Delta Integrale Evo 16V Martini 6: Reihenvierzylinder, Turbo, vorn quer • zwei oben liegende Nockenwellen, über Zahnriemen angetrieben, vier Ventile pro Zylinder, Saugrohreinspritzung • Hubraum 1995 ccm • Leistung 155 kW (210 PS) bei 5750/min • max. Drehmoment 298 Nm bei 3500/min • Fünfgang-Schaltgetriebe • permanenter Allradradantrieb mit Visco®-Kupplung, Torsen-Differenzial hinten • Einzelradaufhängung, vorn und hinten an Querlenkern und McPherson-Federbeinen • Reifen 205/50 R 15 • Radstand 2480 mm • Länge/Breite/Höhe 3900/1770/1365 mm • Leergewicht 1300 kg • 0–100 km/h 5,7 s • Spitze 220 km/h • Verbrauch: bis 20 l S/100 km • Neupreis 1992: 66.000 Mark.

Plus/Minus

Lancia Delta Integrale
Den springenden Elefanten als Maskottchen für Motorsport-Einsätze setzt Lancia seit den 1950er-Jahren ein.
Das größte Plus: der unglaubliche Fahrspaß. Das größte Minus: der unglaubliche Fahrspaß. Denn wer den auf öffentlichen Straßen genießen will, riskiert permanent seinen Führerschein. Oder mehr. Doch bei langsamem Tempo ist ein Delta Integrale ziemlich reizarm, Vernunft quittiert er mit Langeweile – eine typische Supersportwagen-Attitüde. Und an getunten Exemplaren oder solchen, die Motorsport-Vergangenheit haben, finden allenfalls Insider dauerhaft Freude. Für Gelegenheitsnutzer bergen sie zu viele unüberschaubare Risiken.

Marktlage

Das allgemeine Preisniveau ist hoch, doch immerhin scheint es sich inzwischen stabilisiert zu haben. Immer wieder tauchen noch Integrale mit wenig Kilometern und guter Historie auf dem Markt auf. Stimmt der Preis, finden sie rasch einen Abnehmer, sagt Experte Werner Blättel: "Autos, die über längere Zeit verfügbar sind, sind entweder zu teuer oder haben Mängel." Vor gefälschten Sondermodellen warnt Ralph Sauer (JMR KFZ-Service) – und sagt zudem: "Die Zeit der Schnäppchen ist definitiv vorbei." 

Empfehlung

Noch werden Delta Integrale nicht in größerem Maßstab komplett restauriert. Es lohnt sich, auf ein originales Auto zu setzen – und zur Suche Geduld mitzubringen. Wer vor allem fahren will, greift zu einem soliden, gepflegten Evo-Modell (ab 15.000 Euro). Sammler suchen sich eines der vielen Sondermodelle, nur komplett und mit nachprüfbarer Geschichte, versteht sich (ab 30.000 Euro). Eine günstige Integrale-Alternative stammt aus der Phase bis 1991: Fahrbereite, gesunde Autos ohne Reparaturstau gibt es aus dieser Epoche bereits ab rund 7000 Euro.