Er war ein Volks-Mercedes, der erste Millionenseller mit Stern – und noch heute passt ein /8 in fast jeden Alltag. Als Einstiegsmodell mit Vierzylinder-Benziner ist er sogar günstig geblieben.
Vernunft, Alltagsnutzen, kaufmännisches Kalkül: Das passt – denn so orderten schon die Erstbesitzer ihre /8er. Gerade dann, wenn es Diesel waren oder die Vierzylinder-Benziner, die damals trotz 4,68 Meter Länge als "kleine Mercedes" galten, weil es noch keinen 190er gab. "Die Sparbüchsen des Besitzbürgertums" nannte sie ein Tester, denn es waren nicht die Autos der Bosse, sondern der besseren Bürger, die scharf rechneten und am Ende billiger fuhren, als es die Neider hinterm Jägerzaun glaubten. Über 40 Prozent der Benziner-Typen 200 und 220 lebten bei privaten Besitzern, oft vom Munde abgespart – niedriger Wertverlust und hohe Zuverlässigkeit machten den Traum vom Stern erreichbar. Wenn nicht in erster Hand, dann in vierter. So ist es geblieben, nur dass die noch volksnäheren Diesel, mit denen sich so schön die Langsamkeit entdecken ließ, irgendwann auswanderten. Ihr Anblick fehlt uns, die Ölbrenner waren schon von Weitem am rußgeschwärzten linken Rücklicht zu erkennen.
Glatte Rückleuchten kennzeichnen frühe /8-Typen bis August 1973.
Sie waren schon weg, als der /8 zum Techno-Taxi wurde. Ein Mythos sei er, sprachen junge Fans in den frühen 90ern. Zeitzeugen fanden das seltsam. Sie erinnerten sich noch an die Frühzeit der Modellreihe, die Mercedes-Kenner oft schätzten, aber eher nicht liebten. Vielen kam das Design der neuen Modelle zu nüchtern vor. "Opas Mercedes ist tot", schrieb das Fachblatt "mot" im Premierenjahr 1968 – daher das interne Kürzel /8 –, aber junge Käufer waren rar und das Wort Downsizing noch nicht erfunden. So bot der /8 erst mal weniger Auto als die Heckflossen-Vorgänger. Weniger Länge, weniger Breite, weniger Kofferraum, weniger Chrom. Und innen gab es nicht mal Bodenteppiche ohne Aufpreis. Selbst eine heizbare Heckscheibe kostete bis tief in die 70er-Jahre extra. Tester fühlten sich an die "Behausung armer, aber sauberer Leute" erinnert. Dass sich der Neue in seiner schönen Schlichtheit lange frisch hielt, dämmerte den Kunden erst später. Aber da hatten sie schon erste Rostpusteln am Lampentopf entdeckt, denn konservierte Hohlräume gab es erst zu Beginn der salzigen 70er.
Die milden 68er: $(LC594599:Audi 100, Mercedes 200/8, BMW 2000 im Klassik-Test)$
Das Cockpit war vielen Mercedes-Fahrern der 60er Jahre zu schlicht.Was er wirklich kann, der /8, ist ihm nicht anzusehen: Dass er zu den bestliegenden Autos seiner Zeit gehört, mit fernem Grenzbereich und sanfter Neigung zum Untersteuern in schnellen Kurven. Dass sich das komfortable Fahrwerk eines 200 D (55 PS) keinen Deut von den schnellen Sechszylinder-Typen (130 bis 185 PS) unterscheidet. Dass er zu den wenigen 60er-Jahre-Bürgerautos gehört, die bissig bremsen können. Und dass er sich selbst mit porösen Schwellern noch wie ein Jahreswagen anfühlt. Nebenbei war der /8 der erste wirklich individuelle Mercedes, ein wandelbares Auto, das zu jedem Temperament und Anspruch passte, wenn sein Käufer die Vielfalt des Angebots sortieren konnte. Geizhälse nahmen den 200 Diesel ohne Extras, Heizer einen Sechszylinder mit Fünfgang-Mittelschaltung, Genießer der Untertreibung bekamen mit Leder, Klimaanlage und elektrischen Fensterhebern alles, was auch in der S-Klasse zu haben war. Je nach Farbwahl konnte so ein /8er schweigen oder schreien, besonders populär waren gedeckte Töne, die an Erbseneintopf, eingetrockneten Grießbrei oder Sanitärobjekte erinnerten.
Wer es noch individueller wollte, der nahm das Coupé, die erste aller zweitürigen E-Klassen. Doch die große B-Säulen-Freiheit gibt es heute nicht mehr zum Schnäppchen-Preis. Kleiner Trost: Auch die Limousine ist ein großzügiges Auto, eines mit niedriger Gürtellinie und lichtem Innenraum, eines, das Weite und Gelassenheit symbolisiert wie kein Nachfolger, auch nicht der grandiose W 123. Der mauert seine Insassen schon ein mit hohen Türen und wuchtiger Mittelkonsole, wo der /8 noch die schlanke Linie seiner Zeit verteidigt. Das Lenkrad, der Blinkerhebel und die Türgriffe, alles fasst sich einen Tick filigraner an. Und die Instrumente glänzen noch unschuldig im Chromrand, selbst bei den späten Modellen ab 73, die Hupring und Dreiecksfenster einbüßen mussten. Mal eben von Eitorf nach Riva, notfalls in einem Rutsch? Am /8 wird es nicht scheitern. Alter Benz oder doch neuer Panda? Hinterm Lenkrad eines /8 beantwortet sich die Frage von selbst. Mehr als jeder Nachfolger steht der /8 für Weite und Gelassenheit.
Historie
Juli 1967: Beginn der Vorserien-Produktion. Januar 1968: Präsentation und Verkaufsstart ("Serie 0,5"). November 1968: Erscheinen der Coupé-Version 250 C/CE. August 1969: kleine Modellpflege, zum Beispiel breiterer Aschenbecher, Teppichboden statt Gummimatten ("Serie 1"). August 1971: serienmäßige Hohlraum-Versiegelung. April 1972: Detailänderungen, zum Beispiel Verbundglas-Frontscheibe, Automatikgurte, Scheibenwischer-Intervallschalter serienmäßig ("Serie 1,5"). 280/280 E ersetzt die 250er-Motoren. Februar 1973: Vierspeichen-Sicherheitslenkrad für alle Modelle. August 1973: umfassende Modellpflege, unter anderem Wegfall der Ausstellfenster, breitere Kühlermaske, gerippte Rückleuchten, größere Außenspiegel, überarbeitete Innenausstattung ("Serie 2"). Neue Motorvarianten 230.4 (statt 220) und 240 D, auf Wunsch auch Normalbenzin-Variante des 200. Juli 1974: 240 D 3.0 mit Fünfzylinder-Dieselmotor, damals schnellster Serien-Diesel der Welt (149 km/h). Dezember 1976: Produktionsstopp nach 1,919 Millionen Exemplaren, der Nachfolger W123 läuft bereits seit Januar 1976.
Technische Daten
Der Vierzylinder mit 105 PS galt als kraftvolles Triebwerk.Mercedes 220/8: Reihenvierzylinder, vorn längs • oben liegende, kettengetriebene Nockenwelle, Stromberg- Flachstromvergaser • Hubraum 2197 ccm • Leistung 77 kW (105 PS) bei 4800/min • max. Drehmoment 179 Nm bei 2800/min • Viergang-Schaltgetriebe, auf Wunsch Vierstufenautomatik • Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung, vorn Doppelquerlenker, Schraubenfedern, Stabilisator, hinten Schräglenker, Schraubenfedern, Stabilisator • Reifen 175 SR 14 • Radstand 2750 mm • Länge/Breite/Höhe 4680/1770/1440 mm • Leergewicht 1360 kg • 0–100 km/h in 14 s • Spitze 168 km/h • Verbrauch um 12 Liter Super/100 km • Neupreis 1971: 13.820 Mark.
Plus/Minus
Ein gepflegter Mercedes /8 ist ohne Wenn und Aber alltagstauglich, ohne sich antik anzufühlen. Die Diesel sind für heutige Begriffe allerdings sehr lahm, die Benziner ziemlich durstig – ein schnell bewegter 200er lässt sich schon 13 Liter und mehr schmecken. Die Technik ist unproblematisch, die Rostvorsorge aber eine Katastrophe – auch bei späteren Modellen mit werksseitiger Konservierung. Ein vernachlässigter /8 kann überall rosten, gern im Verborgenen, zum Beispiel an Quer- und Längsträgern und am Lüftungs-Wasserkasten, was dramatische Reparaturen nach sich zieht. Merkmale siecher /8 sind vor allem rostige Kotflügel, Stehbleche, Spritzwände, Schweller, Türböden, Radläufe, Kofferraumböden und Schiebedach-Kanten. Kaum ein /8 ist nach mindestens 35 Jahren ungeschweißt und unfallfrei, typisch für ältere Sanierungen sind Pfuschreparaturen, von mittelprächtigem Neulack kaschiert – also äußerste Vorsicht vor Blendern, wie sie im mittleren Preisbereich verbreitet sind. Teuer können verwohnte Innenausstattungen werden, weil es keine Neuteile mehr gibt. Und Gebrauchtes ist oft verbraucht.
Ersatzteile
Fast alles ist erhältlich, wenn auch nicht immer billig (neue Rohbau-Türen bei Daimler um 700 Euro), doch das Angebot an Gebrauchtteilen kann trösten: Rostfreie vordere Kotflügel oder Türen kosten zwischen 100 bis 200 Euro.
Marktlage
Glatte Rückleuchten kennzeichnen frühe /8-Typen bis Herbst 73.Rund 10.000 Exemplare sind in Deutschland zugelassen, da findet sich ein solider /8 für jeden Geschmack. Top-Limousinen mit fünfstelliger Kilometerleistung und makellosem Teint kosten 10.000 Euro und mehr, sind aber zu schade für den Alltag. Für 6000 bis 8000 Euro gibt es einen 200, 220 oder 230.4 in vorzeigbarem Zustand 3+, wobei der Marktwert mit den originalen Extras steigt: Schiebedach, Klimaanlage, Lederpolster, Servolenkung, Lenkradschaltung, E-Fenster und Colorglas stehen bei vielen Fans auf dem Wunschzettel. Zunehmend begehrter: der komplette Satz Fahrzeugpapiere mit Scheckheft, Datenkarte, erstem Brief und möglichst der originalen Mercedes-Neuwagen-Rechnung. Automatik oder Schaltung ist Geschmackssache, wirkt sich kaum auf die Preise aus.
Empfehlung
Viele Mercedes-Fans kaufen nach Spielwert und lassen Autos mit Magerausstattung links liegen: Schnäppchen-Alarm. Ein Tipp sind auch /8er in weniger populären Farben – wenn der Fahrer charakterfest genug ist für Textmarker-Gelb und Stützstrumpf-Beige.