20 Jahre und schon Legende. Keine von diesen bemühten, die sich das Marketing einfallen lässt, weil sonst nichts einfällt. Nein, dem Mercedes 500 E ist der Mythos des unbezwingbaren, einzigartigen Helden schon ab Bandablauf im November 1990 an die ausgestellten Kotflügel geheftet worden. Darum gerissen hat er sich nicht, dafür ist er dann doch zu bescheiden. Die Schöpfungsgeschichte der begehrtesten aller 124er-Limousinen beginnt mit der ungewöhnlichen Entscheidung des ebenso legendären Mercedes-Chefs Werner Niefer, Nachbar Porsche behilflich zu sein. Dort, in Zuffenhausen, herrscht ausgangs der 80er Muffensausen. Absatzkrise und Finanzprobleme haben fiese Striche in den Bilanzen hinterlassen.
Mercedes 500 E
So muss ein Mercedes-Cockpit aussehen. Aus dem Vollen geschnitzt, alles da und intuitiv bedienbar.
Und Nullen in den Etagen des Sportwagenbauers, der Anfang 1990 von einem Computerexperten gesteuert wird. Ein solider Mercedes aus dem Hause Porsche kommt da gerade recht. Weissach entwickelt, tüftelt an einer neuen Vorderachse für die kopflastige V8-Limousine und kümmert sich um optimale Verzögerungswerte, denn Bremsen bauen, das können sie bei Porsche. Ansonsten ist das Vertrauen der Mercedes-Techniker in die Künste der schnellen Kollegen nicht grenzenlos, und genau deshalb entsteht ein reger Werksverkehr der eher umständlichen Art. Die Rohkarosse der tausendfach als Taxi genutzten Limousine wird per Tieflader quer durch Stuttgart nach Zuffenhausen befördert.

Mehr Mercedes geht nicht: Mercedes 450 SEL 6.9

Mercedes 500 E
Und tschüss: Der 500 E verkörpert perfektes Understatement. Unkundige könnten ihn auch für einen 200 D halten ...
Zehn bis 15 Autos sind es täglich. Alle Teile, die abweichen, wie Vorderbau, Kotflügel, Stirnwand, werden bei Porsche montiert. Die Lackierung findet sicherheitshalber in Sindelfingen statt, Endmontage, einschließlich Herzstück SL-V8, wieder in Zuffenhausen, Auslieferung natürlich via Sindelfingen über die Mercedes-Handelshäuser. Wo Vertragsabschlüsse kaum länger dauern, als der Benz-Bolide bis Tempo 100 braucht (6,3 Sekunden). Im Nu sind die 10.497 bei Porsche gebauten 500 E für drei Jahre im voraus ausverkauft. Mindestens 134.520 Mark ist zum Start im Oktober 1990 der Listenpreis. Kaum einer zahlt unter 150.000.

Der bessere Porsche

Die Fachpresse überschlägt sich mit Lobeshymnen, nüchterne Profitester lässt der Bolide philosophieren: "Der Wagen fährt nicht, er schwebt – es ist ein Genuss, seine Zeit einfach nur mit Autofahren zu verbringen." (AUTO BILD, 10/1990). "Auto Motor und Sport" attestiert zu Beginn des Jahres 1991 dem Über-Benz den besseren Fahrkomfort samt Abrollverhalten, die präzisere Lenkung und eine perfekt im Verhältnis 50:50 ausgewogene Gewichtsverteilung – auch ohne Transaxle (Motor vorn, Getriebe hinten). Gegner in diesem Vergleich: der Frontmotor-Porsche 928 S – ausgerechnet. Von einem "Meilenstein" unter den Sport-Limousinen ist in der noch jungen Lebensphase des 500 E in noch nie gekanntem Maße allerorten die Rede, vom besseren Porsche sowieso.

Ein Auto von Welt

"Das Beste oder nichts": Jenes Mercedes-Prinzip der Zeit hat mit der Wucht der 326 PS in einem "Mittelklasse"-V8 ihren Höhepunkt erreicht. Es ist eine nachhaltige Wirkung, die dieser Spitzen-Benz erzielt, obwohl er bis weit über die Jahrtausendwende hinaus als typisches Vielfahrerauto geschunden, gescheucht und nicht immer richtig verstanden wird. Tiefer, breiter, härter geht selbst an Porsche-Handarbeit nicht spurlos vorbei, den Rest erledigen unfreiwillige Exportquoten. 2010 intoniert das High Performance Car der 90er den Achtzylinder-Sound ungefiltert in der "underground garage" in Zagreb, tobt über die erstaunlich glatten Pisten des Kosovo und kämpft sich als "Taxi movie" durch New York.

Star im Internet

Der Video-Ego-Kanal Youtube liebt Helden und den großen Auftritt. Mehr Klickquote als 500 E/E 500 schaffen nur Ferrari gegen Porsche, Madonna oder Elvis. Die neue Generation der 500-E-Genießer zappelt zu Techno und House, lauscht aber andächtig dem ursprünglichen Wumm des bollernden V8. In arabischen Ländern ist der V8 übrigens besonders begehrt, allerdings ohne Auto drumherum: Oft werden nur die schier unverwüstlichen Aggregate genutzt, der Rest entsorgt. Ein 500 E im Stationärbetrieb: Selbst so reduziert arbeitet er noch für seine Legende.

Historie

Mercedes 300 SEL 6.3
Überflieger: Der 300 SEL 6.3 mit 250 PS starkem V8 fegte ab 1968 alles weg, was ihm vor den Stern kam.
Präsentation des 500 E auf dem Pariser Salon im Oktober 1990 als Topmodell der Baureihe W 124. Der 326 PS starke Fünfliter-V8-Motor basiert auf dem Triebwerk des Roadsters 500 SL (R 129) und wird bei Porsche in Zuffenhausen optimiert. Dort finden auch der Bau der Rohkarosserie und die Endmontage statt. Ab 10/1992 sechs PS weniger. Aus dem 500 E wird im Juni 1993 der E 500: Die Baureihe heißt seitdem offiziell E-Klasse, Leistung unverändert 320 PS (235 kW). Produktion nun ausschließlich im Daimler-Benz-Werk Sindelfingen. Mit der Modellpflege umfasst die Serienausstattung Klimaanlage, elektrisch verstellbare Vordersitze, Wurzelnussholz und Beifahrerairbag. März 1993 bis November 1994 Mercedes E 60 AMG. Dieser auf 381 PS (280 kW) erstarkte E 500 wird zu einem Listenpreis von 179.860 Mark über die Mercedes-Händlerorganisation verkauft. Gesamtproduktion 500 E/E 500 inklusive E 60 AMG: 10.479 Stück. Mercedes 400 E (279 PS): ab Juli 1991; E 420: Juni 1993 bis Juni 1995. Vom 4,2-Liter-V8 der Baureihe W 124 wurden 22.802 Exemplare gefertigt.

Technische Daten

Mercedes-Benz 500 E W 124
V8, vorn längs eingebaut • zwei oben liegende Nockenwellen pro Zylinderreihe, vier Ventile pro Zylinder, zwei geregelte Keramik-Katalysatoren • Hubraum 4973 ccm • Leistung 240 kW (326 PS) bei 5700/min • max. Drehmoment 480 Nm bei 3900/min • Vierstufenautomatik mit Antriebsschlupfregelung • Hinterradantrieb • vorn Querlenker, Federbeine, Stabilisator; hinten Raumlenkerachse, Schraubenfedern, Stabilisator • Reifen 225/55 R 16 • Radstand 2800 mm • Länge/Breite/Höhe 4750/1796/1408 mm • Leergewicht 1790 kg • 0–100 km/h in 6,3 s • Spitze 250 km/h (abgeregelt) • Verbrauch 15,5 l Super/100 km • Neupreis 1990: 134.520 Mark

Plus/Minus

Den Mercedes 500 SL der Baureihe R 129 als Limousine? Dann heißt die Antwort 500 E. Ein Sportwagen im Allerweltsauftritt. Aber auch: ein Auto für das Leben in Saus und Braus. Geld sollte also nicht knapp sein, denn das typische Vielfahrerauto wurde stets hart rangenommen, entsprechend schmerzen ihm im Alter die Gelenke, vor allem wenn die Bereifung individuell angepasst worden ist. Die großvolumigen Motoren sind für weit mehr als 300.000 km ausgelegt, Probleme entstehen an der Peripherie (Steuergeräte) und darüber hinaus bei den zahlreichen Komfortextras. Rost hält sich im üblichen 124er-Rahmen (Wagenheberaufnahmen, Radläufe), das Verbundglas vorn wie hinten zieht häufig Luft und wird milchig.

Marktlage

Es sind noch genügend 500er am Markt, doch das Angebot schrumpft rapide. Stark nachgefragt: Modelle im Originalzustand ohne Tieferlegung und Gesamtlaufleistungen unterhalb von 200.000 Kilometern. Top-Exemplare mit nachvollziehbarer Vita liegen zwischen 16.000 und 18.000 Euro, vereinzelt auch schon darüber. Die Sonderversionen E 500 Limited Edition (500 Stück) und der nur zwölfmal gebaute E 60 AMG werden unlimited frei ausgehandelt.


Ersatzteile

Auch der 500 E ist ein 124er und damit bei vielen Blech- sowie Verschleißteilen relativ günstig. Teuer wird es bei 500-E-spezifischem Ersatzbedarf, wozu nicht nur Motor und Getriebe, sondern vor allem auch Vorderachse, Bremsanlage und die hydropneumatische Niveauregulierung an der Hinterachse zählen. Daimler-typisch ist generell fast alles innerhalb von Tagesfrist lieferbar, um Einspritzanlage und Pumpen kümmern sich Bosch und eine rührige Liebhaberszene. Preise: Austauschmotor ohne Anbauteile 16.065 Euro, mit Anbauteilen 20.825 Euro, AT-Getriebe 4069 Euro (Preise ohne Einbau).

Empfehlung

500 E/E 500 im Serientrimm, möglichst aus seriöser Quelle mit nachvollziehbarem Lebenslauf. Schweiz- und Österreich-Fahrzeuge in aller Regel mit geringerer Laufleistung als Autos aus Deutschland. Achtung, viele Fahrzeuge mit Wartungsstau. Ein lückenloses Scheckheft sollte also vorliegen. Besonders für den Achtzylinder-W-124 gilt: Der billige Kauf ist immer der teuere. Als echte 500-E-Alternative empfiehlt sich der 400 E/E 420. Er ist kaum langsamer, tritt ohne Kotflügelverbreiterungen angenehm bescheiden auf und ist noch unter 10.000 Euro zu haben.

Von

Karl-August Almstadt