Schaut man sich die Kombis der 1960er- und 70er Jahre an, dann kommt einem oft das kalte Grauen: klassische Limousinen im Three-Box-Design, praktisch, aber mit einem unansehnlichen Rucksack. In den USA dagegen waren die Kombis zwei bis drei Nummern größer, mit ausladenden Proportionen, wie ihre Limousinen-Vorbilder eine Orgie in Chrom und Leder mit mächtig Leistung unter der Haube. Einer der ersten Kombis, der in Europa Transport und Design miteinander verknüpfte, war ein schwäbisches Oberklassemodell, das in den 70er-Jahren noch nicht den Zusatz "E-Klasse" trug: Die Mercedes-Baureihe W 123 bekam als T-Modell die interne Modellbezeichnung S 123 und wurde zu einem Vorreiter für die coolsten Kombis der Neunziger.Statt des klassischen Kofferraums gab's hinten eine weitere Fensterreihe nebst üppiger Ladeklappe und ein mächtiges Ladeabteil. Gegen die Fahrtrichtung ließen sich zwei Notsitze ausklappen, auf denen zumindest Kinder Platz fanden – so wurde das Mercedes T-Modell zu einem offiziellen Siebensitzer. Das Ladevolumen schrumpfte dann allerdings von stattlichen 520 Litern auf "kaum noch vorhanden". Dank einer pneumatischen Niveauregulierung, verstärkten Dämpfern, optionalen 15-Zoll-Felgen und anderen Federn ließ sich die Nutzlast von generell 560 auf bis zu 700 Kilogramm steigern.

Kleiner Diesel in Deutschland bevorzugt

In Deutschland wurde der S 123 zumeist in kleiner Motorisierung und bevorzugt als Diesel bewegt. Der 72 PS starke Mercedes 240 TD erfreute sich einer ähnlich großen Beliebtheit bei den Kunden wie der 136 PS starke Mercedes 230 TE, der auf der Autobahn ernsthaften Vortrieb brachte und deutlich mehr Kunden fand als das Topmodell 280 TE. Anders als in den USA gab es hier oftmals nicht viel mehr als eine Buchhalterausstattung, die mit Schiebedach, zweitem Außenspiegel oder Colorglas mühsam erweitert wurde. Dann und wann fanden immerhin Alufelgen ihren Weg an die vier Radnaben. Oder eine Zentralverriegelung sorgte dafür, dass man sich beim Öffnen der hinteren Türen nicht die Handgelenke brach.

280 TE mit Sparausstattung und wenig Laufleistung

Mercedes S 123: Warum dieser "Lifestyle" Kombi so teuer ist
Dieser Mercedes 280 TE mit weniger als 50.000 Kilometern ist eine echte Rarität.
Heute sind gute T-Modelle selten und sehr teuer. Ein Auto wie dieser Mercedes 280 TE aus dem Frühjahr 1979 mit Sparausstattung und weniger als 50.000 Kilometern ist daher eine Ringeltaube, die es nicht geben dürfte. Der prächtige Sechszylinder drückt die Tachonadel zwar noch über die 200-km/h-Marke, doch ansonsten bleibt der gehobene Reiseanspruch des Fahrers weitgehend ungehört. Keine getönten Scheiben, kein Schiebedach – nicht mal ein Drehzahlmesser wurde vom Erstbesitzer geordert. Die Gänge werden manuell geschaltet, immerhin gibt es einen Rückspiegel auf der Beifahrerseite und ein Radio mit blechernen Tönen und Stabantenne.

Bassiger Motor und gute Sicherheitsausstattung

Der knapp 1,6 Tonnen schwere 280 TE fährt sich dank geringer Laufleistung und guter Pflege kaum anders als nach der Auslieferung vor 41 Jahren. Der M110er-Motor läuft bassig im Hintergrund, der Anzug ist noch immer eine Schau. Die unpräzise Kugelumlauflenkung ist komfortabler denn je, und so sind die Abstriche bei der Präzision eher Ausdruck des damaligen Gefühls, mit dem Fahrzeug zu reisen. Das Platzangebot im Innern ist dabei mehr als üppig, auch wenn im Fond sogar die lebensrettenden Kopfstützen fehlen. Immerhin boten W 123 und S 123 ab Werk eine damals vorbildliche Sicherheitsausstattung. Ab 1980 wurden sogar ABS und Airbags für die 123er angeboten.

Müheloses Schritthalten auf der Autobahn

Als Fahrer genießt man den Komfort des sanft schunkelnden Fahrwerks und den dynamischen Anspruch des 2,8 Liter großen Sechszylinder-Einspritzers mit 185 PS. Auf der Autobahn hat der 280er auch dank 240 Nm maximalen Drehmoments und Bosch K-Jetronic keine Mühe, mit neuen Modellen Schritt zu halten.Der Verbrauch von rund zwölf Litern Super auf 100 Kilometern lässt sich jedoch nur dann realisieren, wenn man auf Beschleunigungen nahezu verzichtet und den Kombi rollen lässt. Natürlich würde eine Stufenautomatik besser passen als die Viergangschaltung, aber im flotten Galopp lernt man die schnelle Gangwahl per Hand schnell zu schätzen.

Familiärer Lifestyle hat seinen Preis

Auf dem Klassikmarkt einen guten Mercedes S 123 zu finden, ist schon aufgrund der überschaubaren Produktionszahl von 199.517 Fahrzeugen schwierig. Von der Limousine wurden mehr als 2,3 Millionen Autos produziert. Besonders begehrt sind die Versionen 280 TE und 300 TDT mit zumeist besserer Ausstattung. Ein gutes Modell mit weniger als 150.000 Kilometern kostet schnell über 30.000 Euro. Aber wer den familiären Lifestyle der späten 70er-Jahre genießen möchte, der hat mit dem S 123 ein exzellentes Alltagsauto mit viel Platz und eine gute Ersatzteilversorgung.

Von

Stefan Grundhoff