Der Elfer lebt. Und er hat nie verleugnet, wo er herkommt – ganz im Gegensatz zu seinem volksnahen Cousin, dem Käfer. Den hat die Midlife-Crisis so heftig gepackt, dass er als modischer Retro-Beetle den coolen Hipster rauskehrt. Und dabei glatt vergessen hat, wo eigentlich der Motor hingehört: ins Heck natürlich. Wo auch sonst? Desto mehr erstaunt, wie es die Porsche-Männer in fünf Jahrzehnten immer wieder geschafft haben, ihr Suchtmittel um das überholte Antriebskonzept herum neu zu erfinden, sodass der Elfer seinen Gegnern stets die Rücklichter zeigen und seine Besitzer glücklich machen konnte. Seit es ihn gibt, peinigen aber auch regelmäßig böse Angstattacken die Porsche-Fans: Was, wenn der nächste kein "echter Elfer" mehr ist? Was sie zu verlieren fürchten, versuchen wir in einem frühen 1964er herauszufinden.
Porsche 911 2.0 Coupé Porsche 911 Carrera 4S
Zierlich wirkt die schiefergraue Frühversion des 911 gegen den breiten 993, beinahe zerbrechlich.
Bild: A. Emmerling
"Echter" als das Urmodell kann schließlich kein anderer Elfer sein. Zu ihm gesellt sich die letzte Eskalationsstufe des luftgekühlten 911 diesseits des Turbo, ein Carrera 4S von 1995. Er ist neben dem 300 PS starken RS der potenteste frei atmende 993, die Youngtimer-Perle unter den Porsche der 90er-Jahre. Null auf 100 in 5,3 Sekunden, 270 Spitze. Ein kommender Klassiker. Seine J.Lo-Hüften leiht sich der 4S vom aufgeladenen Topmodell. Sie lassen den indischroten Muskelprotz schon im Stand brutal und schnell aussehen. Diesen 911 fuhren die Börsenmakler, denen wir die Finanzkrise verdanken. Es ist auch kein Zufall, dass er der kurzlebigste aller Elfer war. Der 993 ist Porsches Notnagel, als das Unternehmen noch keine Geländewagen baut und fast bankrott ist. Ein Schnellschuss – wenn auch ein ziemlich scharfer. Damals kommt einer nach Zuffenhausen, der die Sportwagenmarke um fünf vor zwölf gehörig umkrempelt und auf die Erfolgsspur zurücklenkt: Wendelin Wiedeking. Doch das ist eine andere Geschichte. Beim 993 darf Harm Lagaay, der später die Spiegeleier-Lampen für Boxster und 996 brät, als erster Porsche-Designer nach Ferdinand Alexander die Proportionen des 911 anrühren. Serienmäßige Lustbarkeiten wie Klimaanlage, elektrische Sitzverstellung und Soundpaket geben uns das Gefühl, in einem Gran Turismo zu sitzen, nicht in einem Sportgerät.
Meister aller Klassen: Porsche 911 RSR 2.8

Normverbrauch 11,5 Liter

Porsche 911 2.0 Coupé
Das Porsche 911 2.0 Coupé umgibt wegen seiner filigranen Form heute ein Hauch von Unschuld und Dünnhäutigkeit.
Bild: A. Emmerling
Irre: Der 260 PS starke, hinterradgetriebene Ur-Turbo galt in den 70ern als unberechenbares Biest – im 286 PS starken 4S spuren wir jetzt auf nasser Piste, als säßen wir in einem Slotcar mit Fahrbahnmagnet. Danke, Allrad, schlupfabhängige Kraftverteilung, Brems- und Sperrdifferenzial, Mehrgelenk-Hinterradaufhängung und Ausfahr-Spoiler. Famos: Einerseits drückt der Carrera 4S ab 4000/min wie auf Steroiden nach vorn, andererseits kann ihn sein Besitzer notfalls auch in Badelatschen fahren. Das Sechsganggetriebe macht ihn nicht nur schneller, sondern auch sparsamer: Normverbrauch 11,5 Liter pro 100 Kilometer! Das Urmodell soff auch mal 18. Zierlich wirkt die schiefergraue Frühversion gegen den breiten 993, beinahe zerbrechlich. Dabei lastet auf dem Porsche, der auf der IAA 1963 noch 901 heißt, ebenfalls eine schwere Aufgabe. Floppen darf er auf gar keinen Fall. Die Entwicklung eines Nachfolgers für den erfolgreichen 356, der sich noch viele Teile mit dem VW Käfer teilt, hat Porsche rund 15 Millionen Mark gekostet – und viel zu lange gedauert. Bis der Jahrhundert-Sportwagen auf der Erfolgsautobahn davonpreschen kann, müssen Ferry Porsche und seine Ingenieure einen Hindernis-Parcours umwedeln, der die Marke beinahe aus der Spur schleudert: verworfene Motoren-Konzepte, Zoff ums Aussehen und dann die Nummer mit der Zahl. Peugeot hatte sich alle dreistelligen Zahlen mit einer Null in der Mitte sichern lassen. So wurde aus dem 901 der 911.
Der Über-Porsche: Porsche 959

Heckschleuder belfert und sägt

Porsche Carrera 4S (993)
Der Porsche Carrera 4S (993) ist dagegen die Vollfettstufe: 3,6 Liter, 286 PS, Allradantrieb.
Bild: A. Emmerling
Im Ur-Elfer sinkt der Pilot in einen roten Sessel, der für einen Sportwagen überraschend bequem ist. Sie hatten so viel Stil, die frühen Sechziger: weiches Leder, wohnliches Holzfurnier, wenig Chrom. Schlichtheit statt Schwulst. Immer im Blickfeld des Fahrers: die fünf Rundinstrumente mit dem zentral platzierten Drehzahlmesser. Blaugrün sind sie unterlegt, was heute sehr zeitgeistig wirkt. Das Zündschloss sitzt wo? Natürlich: links vom Lenkrad, ein Überbleibsel aus Le Mans. Vier Ausstellfenster lassen Luft ins Innere und wieder heraus. Die Hand fällt lässig auf den gebogenen Schaltstock. Generationen von Testern philosophierten darüber, wie die "Heckschleuder belfert und sägt". Hören wir genau hin, klingt der Zweiliter-Boxer tatsächlich ein wenig wie ein Käfer auf Speed, oben liegende Nockenwellen hin, Trockensumpfschmierung her. Der 911 ist der VW für Angekommene. Und das ist nicht böse gemeint, denn Deutschlands Sport-Ikone Nummer eins ist mindestens genauso zuverlässig. Das Technikmagazin "hobby" stellt 1963 fest: "Überholvorgänge können, bei einer Beschleunigung von 9,1 Sekunden von null bis 100 km/h, in kürzester Zeit abgeschlossen werden." Hinterm Vierspeichenlenkrad des Alten wird allerdings auch klar, warum die Tester den schlanken Erstling zwar als Fahrerauto lobten, ihm aber auch Seitenwindempfindlichkeit und mäßige Spurtreue ankreideten.

Der Elfer ist sich treu geblieben

Porsche 911 2.0 Coupé
Der Ur-Elfer schreit förmlich nach gelochten Fahrerhandschuhen. Zartes Holzlenkrad, Rundinstrumente im 356-Look, erster Gang links unten, Bremse noch ohne Servohilfe.
Bild: A. Emmerling
Bei Nässe neigt der Ur-911 in ungeübter Hand zu wilden Ausbrüchen. "hobby" ist begeistert. "Der neue Porsche-Sechszylinder hat es geschafft: Die weltweite Porsche-Familie hat ihn nicht nur akzeptiert, sondern in ihre Arme geschlossen." Bis heute hält sie ihn umklammert, denn der Elfer ist sich treu geblieben. An seiner Grundform hielt Porsche ebenso fest wie am Boxer im Heck, obwohl unter dem Blech in fünf Jahrzehnten technisch sonst kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Die Frage, was einen "echten Elfer" ausmacht, wird Porsche-Fahrern immer Diskussionsstoff liefern. Die luftgekühlten Baureihen, die zwischen 1963 und 1998 entstanden, sind da aus heutiger Sicht über jeden Zweifel erhaben. Aber die Weichen sind auch für die Zukunft richtig gestellt. Ferry Porsche legte Wert darauf, dass jeder Neue sofort als Porsche zu erkennen sein muss. Und technologischer Stillstand liegt der Marke nicht. Oder hätten Sie den nächsten Turbo gern wieder mit Drehstabfederung, Kurbel- und Pendelachsen, wie sie Professor Porsche vor 82 Jahren zum Patent anmeldete? Na, sehen Sie.

Historie

Der Erbe des 356 feiert seine Premiere 1963 auf der IAA in Frankfurt, damals noch unter dem Namen 901. Porsche liefert 82 Autos mit dieser Typenbezeichnung aus, bevor Peugeot eine Umbenennung erzwingt: jetzt heißt er 911. Der Ur-Elfer leistet anfangs 130 PS, später sind es zwischen 110 und 170. 1966 debütiert das Bügelcabrio namens Targa. Nachdem der Hubraum 1970 und 1972 auf 2,2 beziehungsweise 2,4 Liter gestiegen ist, folgt 1972 mit dem Leichtbau-Renner Carrera RS (2,7 Liter, 210 PS) die bis heute begehrteste 911-Variante. Nach dem Facelift 1973 gibt es im sogenannten G-Modell nur noch 2,7-Liter-Motoren. 1974 führt Porsche den Turbo ein (3,0 Liter, 260 PS), ab 1976 sind die Karosserien des 911 feuerverzinkt. 1983 kommt das heiß ersehnte Vollcabrio. Der letzte luftgekühlte Elfer (993) steht 1993 auf der IAA. Allradantrieb hat es auf Wunsch bereits im Vorgänger 964 (1988–1994) gegeben, der als erster 911 serienmäßig ABS, Servolenkung und Airbags besitzt. 1997 wird der 993 durch den 996 abgelöst, der als erster 911 über einen wassergekühlten Motor verfügt.

Plus/Minus

Porsche 911 2.0 Coupé Porsche 911 Carrera 4S
Breiter Po und schlanke Taille: Im Laufe der Jahrzehnte hat der Elfer Hüftgold angesetzt. Sexy ist er geblieben.
Bild: A. Emmerling
Ob Ihnen das ursprüngliche 911-Gefühl am meisten Spaß macht oder ob ein moderner 993 besser in Ihr Leben passt, finden Sie am leichtesten bei einer Probefahrt heraus. Dafür bietet es sich an, Kontakt zu einem Porsche-Club zu suchen. Fahrspaß, Werterhalt und problemlose Teileversorgung bieten beide Elfer. Frühe Exemplare bis 1976 sind noch nicht feuerverzinkt. Rost befällt hier bevorzugt die vorderen Kotflügel, Stehbleche, Querlenker-Befestigungen, A-Säulen, Türen, Schweller und Tragrohre. Öl-Inkontinenz ist sowohl beim Ur-Elfer als auch beim 993 ein verbreitetes Leiden. Beide erreichen, regelmäßige und sachkundige Wartung vorausgesetzt, hohe Laufleistungen. Versteckte Unfallspuren jeglicher Art sind ein K.-o.-Kriterium, allerdings sind sie beim 993 für Laien so gut wie nicht erkennbar, hierzu braucht es das geschulte Auge eines Fachmanns. Achtung: Auch ein moderner Elfer kann rosten, wenn die Zinkschicht angekratzt ist. Ab 50.000 Kilometern drohen zudem teure Achsreparaturen. Je nach Fahrweise neigen auch die Bremsen zu hohem Verschleiß. Ur-Elfer sind für ihren hohen Spritverbrauch berüchtigt, deutlich sparsamer ist das ab 1973 angebotene G-Modell.

Ersatzteile

Der Porsche 911 gehört zu den Klassikern, für die so ziemlich jedes Technikteil ohne langwierige Suche lieferbar ist. Kotflügel und Chromzierrat für die erste Generation waren zeitweise schwer aufzutreiben, aber auch dieser Engpass ist überwunden. Ärgerlich: Manche Ersatzteile kosten viel Geld und passen trotzdem schlecht. Beim gerade mal 20 Jahre alten 993 ist die Lage vollkommen entspannt, jedoch sollten Sie die saftigen Werkstattpreise mit einkalkulieren – und den technisch komplexen Wagen trotzdem ausschließlich beim Spezialisten warten lassen.

Marktlage

Kaum ein Markt ist derzeit ähnlich überhitzt wie der für klassische Porsche. Jeder versucht, vom Elfer-Hype zu profitieren, und solange es Fans gibt, die bereit sind, für Durchschnittsware astronomische Kurse zu bezahlen, bleibt die Preissituation angespannt. Die Zeit der günstigen US-Importe ist vorbei. Über Clubs an ein gutes Auto zu kommen, ist ebenfalls nicht einfach, denn wer einen guten Elfer hat, gibt ihn nur selten wieder her. Das Angebot an 993 ist umfangreich, dennoch liegen die Preise sehr hoch. Experten erwarten, dass sich der Markt in absehbarer Zeit wieder entspannt. Unter Umständen lohnt es sich daher, mit dem Kauf noch ein wenig zu warten.

Empfehlung

Tendenziell ist ein früher Elfer wie unser schiefergrauer eher das kostbare Sammlerstück, das bei gelegentlichen Ausfahrten Freude bereitet. Der 993 dagegen ist ein potenter Zukunftsklassiker für jeden Tag. Wer nicht auf einen der beiden Typen festgelegt ist, findet im Elfer-Universum aber auch anderswo sein Glück. Unser Tipp: ein frühes G-Modell ab 1973 mit Faltenbalg-Stoßstangen. Dieses ist nicht nur günstiger als das Urmodell, sondern auch viel reifer. In Clubkreisen sind Fahrzeuge bekannt, die mit nur einer Motorrevision über 400.000 Kilometer geschafft haben. Sparfüchse sollten – Spiegeleier hin, Wasserkühlung her – einen 996 in Betracht ziehen. Der ist noch billig, zumindest für 911-Verhältnisse – ab 25.000 Euro gibt es einen guten. Und da auch der jetzt noch Ungeliebte letztlich ein Elfer ist, steht seiner Klassiker-Karriere nichts im Weg. Generell gilt: Vorsicht vor vertuschten Unfallschäden und zurückgedrehten Kilometerzählern. Wer beim renommierten Händler kauft, minimiert das Risiko.

Von

Lukas Hambrecht