Den VW 181 kennt man hierzulande als Kübel. In den USA nennt man ihn "The Thing" – und dort ist er eine Legende. Ein US-Roadtrip zum 50. Geburtstag!
In den USA und speziell in Kalifornien ist der VW 181 eine Legende. Man kennt ihn hier seit den 70er Jahren als kantige Mischung aus VW Beetle und dem Meyers Manxs Buggy unter der Bezeichnung "The Thing". Woher der Name kommt, ist einfach zu erklären, denn der 181er sieht eben aus wie ein Ding. Kein Geländewagen, kein Cabrio, kein Beetle und schon gar kein Pick-up – ein Ding eben, das viele kennen und mindestens ebenso viele noch nie gesehen haben. In unseren Breiten war der von den meisten Soldaten nur schlicht "Kübel" genannte Kurierwagen nicht viel mehr als ein leichter Geländegänger, den einige Armeen und Hilfsorganisationen als Fahrzeug einsetzten. Jetzt feiert der VW 181 seinen 50. Geburtstag. AUTO BILD feiert mit – und fährt "The Thing" quer durch die Südstaaten der USA von Florida nach Texas.
Reisen statt rasen ist das Motto des Roadtrips
Schlanke Fahrleistungen: Mit dem 44 PS starken Boxer im Heck sind für den 181er maximal 115 km/h drin.
Bei der Routenführung sollte man sich vorab davon verabschieden, flott unterwegs sein zu wollen. Der 1,6 Liter große Vierzylinder-Boxer im schnatternden Heck des Thing leistet schmale 44 PS und ein kaum messbares Drehmoment. Bergauf über die zahlreichen Brückenkonstrukte im Süden der USA geht es bei entsprechender Beladung oftmals nur mit Zurückschalten in den dritten Gang und Ausdrehen desselbigen. 115 km/h Höchstgeschwindigkeit sind 72 Meilen pro Stunde – und die schafft das rund eine Tonne schwere Kantholz nur an guten Tagen. Deutlich besser ist man daher auf den kleinen Landstraßen aufgehoben. Wo besser als hier könnte man die unberührte Natur der Südstaaten erkunden? Das flatterige PVC-Dach nach hinten geklappt, die Steckscheiben raus. Wenn es ganz mutig sein soll, wird sogar noch die Windschutzscheibe nach vorne gedrückt: Dann stürmt im Innern des Kübels jedoch ein Orkan, und der Fahrtwind peitscht ins Gesicht. Doch so kann man die Natur bestens in sich aufsaugen. Und die Menschen lieben das Geburtstagskind: An Tankstellen, vor Coffeeshops, beim Einkaufen oder vor Hotelvorfahrten interessiert sich niemand mehr für die in dieser Region ohnehin nur schwer anzutreffenden Luxuskarossen oder Sportwagen – "The Thing" ist der Star!
Bei kühlem Wetter sollte man sich dick einpacken
Kalte Kiste: Das Problem der funktionsfreien Heizung betrifft leider auch den "Kübel".
Trucker hupen lautstark, wenn sie einen überholen, Harley-Biker recken den Daumen in die Höhe. Steht man erst mal an einer Ampel, kommt man kaum umhin, die begeisterten Zuschauer in das kantige Wellblech eintauchen zu lassen. Hat man die naturbelassene Küstenregion zwischen Tallahassee und Pensacola, die im Herbst letzten Jahres von Hurrican Michael übel zugerichtet wurde, erst einmal hinter sich gelassen, dominieren neben Sümpfen die bunten Pfahlhäuser das Bild entlang der Bundesstraße 98. Das Wetter ist deutlich kühler als erwartet, und der starke Wind sorgt dafür, dass man die nicht funktionierende Heizung des VW 181 innerlich verflucht. Die Moskitos scheinen die kühlen Temperaturen kaum zu stören, denn sie finden den gelben Lack von The Thing beinahe so anziehend wie das Blut der Insassen.
Die Südstaaten sind kaum mit anderen Regionen der USA zu vergleichen. In Alabama und Louisiana gibt es diese riesigen Grundstücke mit ihren beeindruckenden Magnolien, den weißen Gartenzäunen und mächtigen Toren. Size matters – und hier ist wirklich alles ein paar Nummern größer. Das gilt auch für die Autos. Natürlich liebt man Pick-ups und baut in Küstennähe zumeist aus gutem Grund auf mächtigen Pfahlbauten. Regelmäßig gibt es Hochwasser vom lebensspendenden Golf von Mexiko, der Fische, Krebse, Krabben und Co zu einer ernsthaften kulinarischen Alternative der Steakindustrie werden lässt.
Überall stößt die gelbe Legende auf alte und neue Fans
Kultiges Fotomotiv: Ein junges Paar will lieber mit dem VW als mit dem Staatenschild aufs Bild.
Die Zahl der großen Städte ist überschaubar, doch dem Charme von New Orleans und dem Mississippi-Delta kann man sich trotz der Touristenströme nur schwer entziehen. Mardi Gras ist gerade eine Woche vorbei, doch gefeiert wird hier jeden Abend. Während sich der Schaufelraddampfer Steamer Natchez zum Dinnercruise verabschiedet, brandet rund um die Bourbon Street das bunte Leben auf. Doch selbst zwischen den vergnügungssüchtigen Touristen fällt das Yellow Thing auf. Der eine oder andere hält ihn in Feierlaune für automobilen Voodoo. Dass der Valet-Parkservice den VW 181 vor dem Hotelportal stehen lässt, weil hier niemand mit einer Handschaltung fahren kann, sichert zusätzliche Aufmerksamkeit – und Langfingern einen schnellen Zugriff aufs Fahrzeug. Um Diebstahl zu erschweren, werden bei der Fahrt die Koffer durch Fahrradschlösser gesichert.
Mit einem Fortbewegungsmittel wie dem VW 181 fällt man hier wohl nicht nur wegen der gelben Lackierung auf wie ein bunter Hund. Wer den VW 181 schon kennt, ist begeistert – und alle anderen wollen ihnen kennenlernen. An der Grenze zu Missouri will sich ein junges Paar lieber mit dem gelben Ding als vor dem Staatenschild fotografieren lassen und träumt davon, den nichtssagenden Mietwagen einfach einzutauschen. Nicht das einzige Kaufangebot auf der Tour. Beim Tanken werden immer wieder Köpfe in den ehemaligen Armeewagen gesteckt. "How cute", "great" und "what a car" tönt es aus den Mündern der Betrachter, die in Sekunden Fans werden. So viel Sympathie gibt es nicht mal mit einem historischen VW Beetle oder einem kunterbunten Samba Bus. Dank des 40-Liter-Tanks und einer defekten Instrumentenkombination ohne Tacho, Kilometerzähler und Tankuhr geht es häufiger an die Zapfsäule, und die zahlreichen Stopps bei Starbucks und lokalen Kaffeeröstereien sorgen dafür, dass es noch etwas häufiger Kontakt mit den lokalen Bevölkerung gibt.
Bis auf eine defekte Benzinpumpe lief alles glatt
Gelb trifft gelb: Auch vor dem Sonnenuntergang macht der 181er eine ziemlich gute Figur.
Natürlich bräuchte der VW 181 mehr Leistung. Und natürlich sitzt es sich auf den Kunstlederstühlen alles andere als bequem. Doch ist es nicht gerade das, was das Autofahren einmal ausgemacht hat? Man bekommt von der Umgebung alles mit. Als das gelbe Cabrio mit einem Zuckeln und Spotzen vor Booth's Grocery südlich des versumpften Grand Lake an der Louisina 82 ausrollt, dauert es nur Sekunden, bis Ladeninhaberin Teme auf die Veranda kommt und fragt, ob sie helfen kann. "Ich habe den Laden hier seit 1957", erzählt die rüstige Seniorin, die einem gleich die lokale Spezialität anbietet, eine Wurst-Reis-Mischung. "Aber zu dieser Zeit kommen nicht viele vorbei. Ist ja keine Jagdzeit. Was ist denn das für ein Auto? Habe ich noch nie gesehen." Sie hat gleich ihren Sohn herbeigerufen, der in einem betagten Pick-up mit Frau und Tochter anrückt. Er will helfen, doch eigentlich geht es um die Neugier, denn in den letzten Jahren hat es so einen spannenden Besuch wie das gelbe Thing hier nicht gegeben. Der vermeintlich leere Tank stellt sich nach dem Auffüllen per mitgeführtem Reservekanister als gar nicht so leer heraus. Stattdessen zickt die Benzinpumpe. Schließlich hat sie nach mehr als zwei Stunden Bastelarbeit nochmals ein Einsehen und steigt wieder ins Geschehen ein. Zum 50. Geburtstag will der VW 181 nicht hier im entlegenen Alligatorenparadies seinen an sich treuen Dienst quittieren.
Vorbei am wenig sehenswerten Port Arthur, dem Zentrum der lokalen Petrochemie-Industrie, geht es durch verschiedene Wildlife Refuges wieder auf die Küstenstraße namens Texas 87, ehe nach der kostenlosen Fährpassage Richtung Galveston die abschließende Fahrt in die texanische Metropole Houston ansteht. The Thing darf sich nach den Strapazen der letzten Tage jetzt erst einmal ausruhen. Wer feiert schon seinen 50. Geburtstag mit einer mehrtägigen Party quer durch die Südstaaten der USA?