Mercedes 600 Landaulet, ein Auto für Könige und Diktatoren. Extrem selten und utopisch teuer. AUTO BILD wollte trotzdem einen Landaulet – und hat ihn sich selbst gebaut!
Im Mercedes 600 Landaulet saßen einst nur die wichtigen Personen. Im MB 100 Landaulet tut es der Redakteur.
Kaiser, Könige, Diktatoren und Papst Paul VI. fuhren einst in einem ganz besonderen Mercedes umher. Der war zur Präsentation 1963 das höchste der Komfortgefühle, ein rollender Technik-Meilenstein, keiner auf der Welt konnte es exklusiver. Klar: Es geht um den Mercedes 600 (W 100). Die besonders hoheitliche Variante davon war das Landaulet, 3,90 Meter langer Radstand, vier Türen und sechs Seitenfenster, ein Staatskreuzer mit Oberdeck. Der Chauffeur unter Stahldach, die Promi-Passagiere ganz hinten auf der dachfreien Rückbank, darüber ein Verdeck.
Genau so wollte sich AUTO BILD auch fühlen. Problem: Eins der nur 59 gebauten "Halbcabriolets" kostet – sofern überhaupt mal im Angebot – mindestens siebenstellig. Einen MB 100 dagegen gibt es fast geschenkt. Schrottreif sind diese zwischen 1988 und 1995 verkauften Transporter eh fast alle – da tut eine ruppige Behandlung nicht so weh. Wir trimmen den Kasten auf Landaulet-Optik! Müssen wir auch, denn an der Technik ist nichts zu machen. Das Landaulet-Vorbild hat ein feines V8-Herz mit 6,3 Litern Hubraum und 250 PS unter der Haube, während im MB 100 ein derber Vorkammer-Diesel mit 75 PS ackert. Bürgerliche Benz-Benutzer kennen ihn aus dem 240D/8. Der Transporter bietet leider nur eine scheppernde Schiebetür und knarzende Kurbeln statt Hydraulik für alles. Eine Starrachse an Blattfedern übernimmt die Aufgabe, die im W 100 eine vierfache Luftfederung inklusive verstellbarer Stoßdämpfer leistet. Ganz klar: Wir sollten uns mit einer gewissen optischen Nähe zum Original zufrieden geben!
Dank der Flex wurde aus einem runtergerockten MB 100 in ein paar Stunden ein Traumgefährt.
Die Operation geht in großen Schritten voran. Das Dach ist ab, sechs Schnitte durch Seitenteile und Hecktüren mit der dünnen Trennscheibe reichen. Dann tiefes Mattschwarz auf den Wagen, und "Chrom" von der Küchenrolle für Stoßfänger, Radläufe, Schweller und sogar für den seitlichen Lufteinlass. Ein Super-Ergebnis! Sogenannte Abziehfarbe auf den Reifen ersetzt die Weißwand des Originals. Noch besser im Innenraum: Brauner Theaterstoff imitiert feinstes Mercedes-Leder, statt des aufgeklappten Verdecks thront hinten eine Attrappe aus Holzlatten, einem alten Schlafsack und quadratmeterweise schwarzem Vorhang. Den herrschaftlichen Fondsitz des Mercedes 600 – auch er hydraulisch verstellbar – ersetzt eine per Handkreissäge zurechtgestutzte Zweiercouch aus dem Secondhand- Möbelladen. Muss reichen!
Schwarz, stattlich, elegant, vorne geschlossen und hinten offen – die kosmetische Operation des MB 100 ist durchaus gelungen, finden wir! Standarten (Dithmarschen, die Heimat des Autors) flattern, ein Stern ziert die Front und eine 100 prangt im Logo – wer kann da noch Original und Imitat auseinanderhalten? Das Fahrerlebnis? Okay, die Fuhre knarzt, bockt und scheppert durchs Gewerbegebiet. Vom vollendeten Gleiten des 600ers hat der qualmende 250.000-Kilometer-Diesel nichts. Schlimmer aber: Niemand ist in der Nähe, dem hoheitlich zugewinkt werden kann.
Landaulet fahren im Hamburger Wetter
Auch die Kulisse ein Traum: Der offene MB 100 Landaulet in der Hamburger Speicherstadt.
Das Abnehmen der Parade macht im nächtlichen Hamburg keinen Spaß. Außerdem betrübt die Sorge, dass eine Polizeistreife nach dem Sinn des Treibens fragen könnte – so ganz astrein im Sinne einer TÜV-Abnahme ist der Umbau nämlich zumindest auf den ersten Metern (noch) nicht. Und: Eine kalte November-Brise wirbelt durch den Innenraum. Da muss der Staatsmann im Fond schon ein echter Kerl sein!
Mehr Cedes könnte man auch sagen, denn Mercedes steigerte sich 1963 mit dem 600 in den technischen Overkill. Die riesige Staatslimousine hatte alles an Bord, was damals gut und teuer war – und manches, was es noch nie zuvor gab.
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Die Karosserie im Ziegelstein-Design verachtet den cW-Wert völlig. Dafür verbirgt sie ein hochkomplexes Netz aus Nerven, das aus feinen, kilometerlangen elektrischen, hydraulischen, pneumatischen und unterdruckpneumatischen Adern besteht.
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Die Maxime der Entwickler: das fortschrittlichste Auto der Welt zu bauen, Geld spielt keine Rolle. Fast nebenbei wurde es als Pullman auch eines der längsten Autos.
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Tag der offenen Tür(en): So könnte das ideale Sammeltaxi aussehen. Aber bitte nicht am Hauptbahnhof, sondern bei Hofe!
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Der Pullman ließ sich unterschiedlich konfigurieren. Vier Türen, sechs Türen, vier Türen plus zwei versteckte Türen wie bei unserem Fotowagen, dann zwei Sitzreihen hinten, davon eine vis-à-vis oder in Fahrtrichtung geklappt oder doch nur eine ...
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... mit Bordbar, Telefon, Stereo- und Klimaanlage, ...mit Trennscheibe oder ohne ...
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... mit Trennscheibe (inklusive Vorhang) oder ohne. Das Luxus-Abteil bietet viel Platz und ist gefedert wie eine Sänfte. Wir finden duftiges Leder, elegante Hölzer, ...
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... dagegen gibt es keine schrägen und unschicklichen Windschutzscheibe zum Anstoßen des Kopfes. Man kann lässig aufstehen und sein Glück in die Welt winken. Der Chauffeur sitzt vorne, ganz weit weg, als wäre es ein Omnibus.
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Eine feine Komposition von Leder à la Creme an Applikationen vom Zebranoholz. Eleganz aus dem Untertürkheim der Sechziger Jahre – herr(schaft)lich!
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Kommandopult der Fondpassagiere, nur so für das Nötigste: Aschenbecher, Anzünder, Wippschalter für Sitzverstellung, Trennscheibe, Fensterheber und Schiebedach (von links).
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Wegen des enormen Prestiges fühlten sich auch Diktatoren im Fond des Mercedes 600 wohl – in der Regel überlebte das Auto seinen gestürzten Eigentümer. 1981 kam das Ende für den nur noch selten georderten und inzwischen unmodern gewordenen Wagen.
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Wer genau hinsieht, erkennt den mächtigen 6,3-Liter-V8-Motor mit 250 PS, umlagert von Pumpen und Kompressoren für die Druckluftanlage der Luftfederung und die Hydraulik. Er ist übrigens um 100 Kubikzentimeter größer und viel moderner als das damalige Rolls-Royce-Triebwerk.
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Tja, der 600 Pullman ist nichts für jedermann. Kaufen wir uns einen Strich-Acht oder einen W 123 und denken wir im Stillen daran, das die wenigstens aus dem gleichen Stall kommen.
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Große Mercedes gab es natürlich schon vor dem 600: Den Typ 770 zum Beispiel, gebaut von 1938 bis 1943. Ein Großer für die Größen der Welt. Die braunen Bonzen bevorzugten gepanzerte Versionen (und bezahlten sie nicht einmal).
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Der Mercedes 300 (1951 bsi 19629 bekam als Kanzlerwagen der jungen Bonner Republik schnell den Spitznamen "Adenauer" weg.
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Vom Mercedes 600 gab es noch die Normalversion, landläufig der "kurze" genannt. In Wirklichkeit maß auch er stramme 5,45 Meter.
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Und last not least das Mercedes 600 Landaulet, die Winke-Winke-Limousine für Päpste und Potentaten.
Karmann auf Mercedes MB 100: Gebrauchtwagen-Test
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Wer morgens auf dem Campingplatz seinen MB 100 anlässt, dem ist die Aufmerksamkeit der Nachbarn sicher. Das Nageln des Mercedes-Vorkammerdiesels lässt einen an eine Hamburger Hafenbarkasse denken. Kein Wunder, immerhin hört der Fronttriebler ja auch auf den Spitznamen "Kutter". Gebrauchte Karmann-Mobile auf MB 100 gibt es schon ab 5000 Euro. Doch wie lebt sich es mit so einem Nice-Price-Modell?
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Mit einem Kutter hat der Mercedes Transporter die Fahrdynamik gemeinsam. Die Fernreise wird zur Zeitreise, wenn zwischen den Sitzen in der rustikalen Kabine der 2,4-Liter-Motor mit dem spröden Namen O 616 hämmert. Denn immerhin hat dieser Diesel zu Beginn seiner Karriere schon Ponton-Benz und frühe Unimog durchs deutsche Wirtschaftswunder bewegt.
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Dazu passt das Grundkonzept des in Spanien gebauten Mercedes: Frontlenker-Bauweise, Motor vorn längs, Frontantrieb und eine nicht selbsttragende Karosserie auf einem Doppelrohrrahmen, das ist die Bauweise der Adenauer-Ära – ideal für Sonderaufbauten jeder Art. Der längst vergessene DKW-Schnelllaster war so konstruiert, ...
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... und bis zu dem reicht die Ahnenreihe des 1987 vorgestellten MB 100 tatsächlich zurück. Das beweist auch die altmodische Drehstabfederung an der Vorderachse, die alle 10.000 Kilometer mit der Fettpresse abgeschmiert werden muss.
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Dem schmalbrüstigen Saugdiesel mit 72 oder 75 PS stehen die Sperrigkeit des Karmann-Alkovenaufbaus und ein Leergewicht von 2400 Kilogramm entgegen. Die Konsequenz ist, dass die Maschine fast immer unter Volllast läuft und selbst Landstraßentempo nur in der Ebene und mit viel Anlauf erreicht werden kann. Die elf Liter Diesel, die er dabei alle 100 Kilometer schluckt, sind dafür akzeptabel.
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Am Motor muss der Kauf meist nicht scheitern, Laufleistungen von 300.000 km und mehr sind drin. Öl verkleckert das Triebwerk im Alter aber gerne mal. Und Vorsicht bei der hydraulischen Kupplung der späteren MB-100-Modelle: Der Wechsel ist aufwendig und teuer.
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Bei den frühen Exemplaren zickt oft das Fünfganggetriebe: Alle Gänge sollten sich sauber und geräuschfrei schalten lassen. Die späteren Getriebe sind zwar ebenso hakelig wie die frühen, aber viel robuster.
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Clevere Aufteilung: Wohnbereich vorn, Wirtschaftsräume im Heck. Wer sich aber dort begegnet, sollte gelenkig sein.
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Die Ausstattung kommt von den bekannten Zulieferern und lässt sich leicht warten und reparieren. Für den Karmann-Aufbau sprechen gute Verarbeitung und großzügiges Raumangebot, aber je nach Pflegezustand kann der Sanierungsstau zum K.-o.-Kriterium werden.
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Die Trittstufe ist massiv gemacht und schafft Vertrauen.
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Die Küche bietet Zweiflammenherd, Spüle und Ablage ums Eck.
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Unser Wohnmobil hat ein vollständiges Bad an Bord. Aber ist es auch dicht? Bekannte Schwächen ...
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... sind Undichtigkeiten rund um die Fenster, an den Seitennähten sowie am Übergang zum Fahrerhaus – wer hier nicht schnell handelt, züchtet bald Schimmelkulturen. Bis Baujahr 1994 wird auch der Boden mit dem Alter weich. Ein Manko bleibt auch die fehlende Umweltplakette: Wer damit klarkommt, kann mit dem Kutter glücklich und günstig in See stechen. Talent zum Schrauben schadet aber nicht.
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Fazit von Redakteur Malte Büttner: So ein gepflegter MB 100 mit KarmannAufbau ist ein knorriger und geräumiger Typ für Individualisten. Die günstigen Preise sind ein starkes Argument, der phlegmatische Diesel aber fordert Nachsicht. Wer gern durch die Alpen oder in Umweltzonen reist, schaut sich besser woanders um. Urteil: 3,5 von fünf möglichen Punkten.