Youngtimer: Ersatzteilmangel
Teile-Not bei Youngtimern wird größer

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VW, Mercedes, BMW oder Opel – Youngtimer-Besitzer kämpfen zunehmend mit Versorgungslücken. Nachfertigungen sind oft unwirtschaftlich, wie ein Fensterheber bei einem New Beetle zeigt.
Bild: Christoph Boerries
Matthias Techau (39) ist genervt: Mitten im Hochsommer streiken an seinem New Beetle von 2006 die Fensterheber in der Fahrertür. Diagnose: Steuergerät futsch. Auch der elektrisch anklappbare Außenspiegel und der Innenschalter der Zentralverriegelung haben den Geist aufgegeben, denn beides hängt am selben Teil.
Er will ein fabrikneues, doch VW muss passen. Der benötigte Ersatz mit der Nummer 1C0959802B 02N ist seit Anfang Juni nicht mehr lieferbar, eine Reparatur damit unmöglich. Auch eine bundesweite Händlerabfrage bleibt ohne Erfolg: Kein VW-Partner hat das Steuergerät mehr im Regal liegen.
"Offenbar hat monatlich der Zulieferer gewechselt, und ich brauche nun das spezifische Teil mit der exakten Teilenummer aus dem Bauzeitraum“, klagt Techau. Schrottplätze, Ebay – nirgends wird er fündig. Volkswagen Classic Parts kann Techau auch nicht helfen. Dabei ist sein Retro-Käfer für die Wolfsburger Spezialisten keineswegs zu jung; erst kürzlich haben sie für ein Golf-5-Sondermodell aus derselben Ära Heckscheiben neu aufgelegt.

Mitten im Hochsommer versagte beim VW New Beetle von Matthias Techau der Fensterheber – und der Außenspiegel gleich mit.
Bild: Christoph Boerries
Marketingchef Jörn Schwieger weist auf ein Problem hin, das insbesondere Elektronikbauteile wie Techaus Steuergerät betrifft: "Die letzte UVP lag schon bei knapp 300 Euro, sodass wir für eine Neufertigung mit einem noch höheren Verkaufspreis kalkulieren müssten – und das für ein Fahrzeug, das heute selbst in gutem Zustand kaum mehr als 5000 Euro wert sein dürfte." Die Sache ist für den Hersteller nicht wirtschaftlich, Techaus Problem bleibt erst mal ungelöst.
Dabei ist VW im Bereich Nachfertigung durchaus nicht untätig: Etwa 70 Ersatzteile hat die Klassiksparte des Wolfsburger Herstellers zuletzt neu aufgelegt – nach rund 300 im Jahr zuvor, als noch ein "Überschwapp" aus der Pandemiezeit abzuarbeiten gewesen sei.

Zum Jahresende wieder verfügbar: Frontspoiler für den Corrado. Bei Nachfertigungen legt VW den Schwerpunkt auf Modelle mit Aussicht auf Liebhaberstatus.
Bild: Roman Raetzke
Bis Ende 2022 sollen unter anderem Kotflügel für das Golf IV Cabrio und Frontspoiler für den Corrado wieder verfügbar sein, kündigt Schwieger an. Auch legt die Klassiksparte ihm zufolge schon jetzt Vorräte für die Klassiker von morgen an; so wurden gerade Kotflügel für die erste Touareg-Generation sowie Passat-B6-Heckklappen gebunkert.
Technik-Engpässe bei BMW
Auch BMWs Sparte Mobile Tradition widmet sich derzeit verstärkt jüngeren Fahrzeugen. Einem Sprecher zufolge spielt vor allem die zweite 3er-Generation (Werkscode E30) eine Rolle, die gerade ihren 40. Geburtstag feiert. Chromstoßstangen und Frontmasken sind seit Kurzem wieder erhältlich. Bald soll es für das Sportmodell M3 auch wieder hintere Seitenteile geben.
Klagen waren in der BMW-Youngtimerszene zuletzt vor allem über fehlenden Techniknachschub zu vernehmen. Beispiel 8er: Nachdem für das Luxuscoupé E31 (1989–99) lebenswichtige Komponenten wie Kupplungsdruckplatten und Bremsdruckspeicher bereits vergriffen sind, drohen laut Ralf Pusch vom 8-Series-Club auch bei Fahrwerkskomponenten bald Versorgungslücken.
Hightech-Bauteile wie die "Allradlenkung" AHK (Aktive Hinterachs-Kinematik) oder die adaptiven EDC-Stoßdämpfer sind schon jetzt nicht mehr lieferbar. Allerdings hilft im letzteren Fall eine polnische Spezialfirma, die die Dämpfer für rund 500 Euro pro Stück aufarbeitet.
Max Heubeck von der BMW 5er E34-IG berichtet über Engpässe bei bestimmten Kühlerausführungen oder Schläuchen. Und Besitzer von M-Modellen stehen im Regen, wenn es um Teile für den M88-Sechszylinder geht, wie er beispielsweise im M 635CSi oder im M5 der ersten und zweiten Generation steckt. Injektoren, Kurbelwellen oder Zylinderkopfteile gibt es ab Werk inzwischen nicht mehr, sondern nur noch über freie Spezialisten.
Auch bei Mercedes drohen Markenikonen längere Standzeiten, etwa dem S-Klasse-Topmodell 450 SEL 6.9 aus den 1970er-Jahren. Überholungen und Restaurierungen gerieten immer wieder ins Stocken, weil wichtige Motor und Fahrwerksteile fehlen, berichtet Frank Olbrich, der in Beckum an klassischen "Sternen" schraubt.

Hoffnungslos: Frontschürzen für den Mercedes SL sind vergriffen – und werden auch nicht wieder aufgelegt.
Bild: Goetz von Sternenfels
Dabei geht es Mercedes-Fahrern im Großen und Ganzen noch gut. 110.000 Teile hat die hauseigene Klassiksparte nach Angaben eines Sprechers auf Lager; jedes Jahr kommen 5000 neue hinzu. "Bei der Entscheidung, ob ein Teil wiederbeschafft, neu angefertigt oder abverkauft wird, spielt neben dem Bedarf auch die wirtschaftliche Bewertung eine Rolle", sagt er.
Zuletzt haben die Stuttgarter den Batteriekasten für die Baureihen R/C 107 (SL/SLC) und W 123 wieder ins Programm genommen. Zudem wurde ein Stern-Reparatursatz für die Sechzigerjahre-Typen W 108/109 (S-Klasse-Vorläufer) sowie W 110/111 (Heckflosse) neu aufgelegt.
Wachsender Handlungsbedarf besteht bei jüngeren Mercedes-Klassikern. So sind laut Konrad Engelhardt, Technikreferent beim R 129 Club, Kühler für fast alle Motorvarianten des Neunzigerjahre-SL nicht mehr als Originalteil erhältlich, eine Neuauflage sei jedoch vom Hersteller geplant. Langfristig begraben müssen R129-Eigner wohl aber die Hoffnung, für ihre Autos jemals wieder neue Frontstoßfänger zu bekommen: Lieferant und Werkzeuge existieren nicht mehr.
In der W124-Szene freut man sich zwar über die unlängst nachproduzierten Funkschlüssel. Allerdings berichtet Christoph Wessel, Ersatzteilbeauftragter des W 124 Clubs, nach wie vor von Versorgungslücken bei fahr- oder TÜV-relevanten Bauteilen. So seien für zahlreiche Typen keine Auspuffanlagen mehr erhältlich; auch auf dem Nachrüstmarkt werde das Angebot dünn. Kabelbäume, Fensterheber und Hinterachsfedern fürs Cabrio sowie Streuscheiben für die Frontscheinwerfer der Topmodelle 500 E und E 500 sind weitere Beispiele für das in Mercedes-Kreisen gefürchtete Kürzel NML (nicht mehr lieferbar).
Audi legt Frontscheibe und Felge neu auf
Audi hat in der letzten Zeit seine Aktivitäten im Bereich Youngtimer verstärkt. So wurden der Sprecherin der Ingolstädter Traditionsabteilung zufolge etwa die seit einigen Jahren vergriffenen Grünkeil-Frontscheiben für das Audi Cabrio neu aufgelegt, ferner die 8x15-Zoll-Felge des quattro, der Hightech-Stoff für das Sportmodell RS 4 Avant (B5, 2000–2001) sowie Stoßfänger für den A2.

Lang ersehnt: Die vergiffene Alu-felge 8x15 ET24 für den quattro hat die Audi Tradition neu aufgelegt. Kostenpunkt: 334,75 Euro.
Bild: Audi AG
Opel und Ford untätig
Opel- und Ford-Besitzer können auf Herstellerengagement in Sachen Nachfertigung nicht zählen. Beide Marken unterhalten zwar Klassikabteilungen, die Traditionspflege schließt das Teilewesen aber nicht mit ein. Schrauber und Restaurierer sind also auf Lagerware, Reproteile und Gebrauchtes angewiesen. Die Hilfsbereitschaft in der Szene, etwa über die Clubs, ist in beiden Fällen jedoch groß. Zudem decken freie Anbieter den Bedarf.
Erste Probleme bei jüngeren England-Klassikern
Auch bei Engländern herrscht nicht mehr durchweg eitel Sonnenschein. Oldtimerikonen wie Mini oder Jaguar E-Type lassen sich zwar theoretisch aus Reproteilen komplett neu aufbauen. Bei jüngeren Klassikern zeichnen sich jedoch erste Probleme ab. So lassen sich etwa Zentralverriegelungsmotoren für die Jaguar-Modelle XK8 (ab 1996) und XJ8 (ab 1997) im Defektfall nicht mehr durch Neuteile ersetzen. Auch bei Zierleisten und Innenausstattung versiegt der Nachschub. Hintere Seitenteile für den XK8 kann der Hersteller ebenfalls nicht mehr liefern.

Erste Engpässe: ZV-Motoren für den Jaguar XK8 gibt’s keine mehr, auch die XJ-Limousine ist betroffen.
Bild: Wolfgang Groeger-Meier
Während das Angebot für jüngere Klassiker zunehmend in den Blick von Clubs und Herstellern rückt, fahren Anbieter von Komponenten für alte Fahrzeuge ihr Engagement teilweise aktiv zurück. So verzichtet etwa der Mercedes-Club Verein der Heckflossenfreunde (vdh) mittlerweile auf seine Expeditionen zu amerikanischen Schrottplätzen. Die waren über Jahrzehnte eine Fundgrube insbesondere für Karosserieteile von Fünfziger- und Sechzigerjahre-Modellen. Die werden inzwischen aber immer seltener restauriert, und um den sinkenden Bedarf zu decken, reichen die Lagerbestände des Clubs aus.
Für VW-Fahrer Techau heißt es unterdessen weiter warten, ob sich das benötigte Ersatzteil nicht doch noch irgendwo findet – und hoffen, dass in nächster Zeit nichts mehr kaputtgeht oder gar ein Unfall passiert. Sollte nämlich der Airbag auslösen, käme das für seinen Beetle einem Todesurteil gleich. Da keine Steuergeräte mehr dafür verfügbar sind, bekäme Techau ihn nach dem Knall nicht mehr zugelassen.
Fazit
Wenn die Hersteller Altauto-Liebhabern mit Teilenachfertigungen unter die Arme greifen, ist das nicht nur wohltätiges Entgegenkommen – jeder Klassikerfahrer ist ja auch eine Art Markenbotschafter. Ausufernde Vielfalt, komplexe Elektronik und Rentabilitätszwänge engen aber die Spielräume ein, und Vollversorgung ist ein realitätsferner Traum. Gut, dass die Szene starke Selbstheilungskräfte mobilisiert: Ohne das Engagement von Clubs und Spezialisten wären viele Old- und Youngtimerfahrer heute schon aufgeschmissen.
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