AUTO BILD Archiv-Artikel 31/1986: Moderner, besser, schneller? Keine Spur. Trotzdem ist sicher: Die bislang fast acht Millionen Käufer werden nicht die letzten sein. Der Renault 4 peilt das Jahr 2000 an. Und einer wird ihn auch dann noch lieben: AUTO BILD-Chefredakteur Peter J. Glodschey. "So'ne Kiste! Das kann man in Deutschland nicht verkaufen!" Ich höre es heute noch, wie im Mai 1961 Deutschlands Te­ster-Elite — Hans-Ulrich Wie­selmann von "Auto Motor und Sport", Graf Berghe von Trips von "BILD" und all die anderen, die heute kaum noch einer kennt – die Nase über den R4 von Renault rümpften. Da stand die hellbeigene Fahrmaschine aus nacktem, lackiertem Blech in der Camargue in Südfrankreich und ein Stückchen weiter in den Bergen der Cevennen kletterte sie über Schotter und Steine wie eine Bergziege.
Die Ente, die war damals schon origi­nell, aber so etwas … Als Auto-Tester war ich seinerzeit ge­nauso neu wie der R4. Es war mein allererster Testfall. Mein Urteil war allen­falls geduldet unter den Großen, und ich erlaubte mir eine ganz andere Meinung. Sie lautete: Wenn die Deutschen erst begreifen, wie gescheit das französische Vehikel gemacht ist, dann wird der Verkauf abgehen wie die Feuerwehr. Das einzige, was mir noch unklar war: Wie lange würde es dauern, bis die Deutschen bei derart Ungewohntem Feuer fangen. In jenen Jahren rollten die Opel Rekord mit ange­deuteten Heckflossen durch die Lande, der DKW 1000 war ein schnelles Ge­schoss, und Borgward war gerade Pleite gegangen mit seiner Arabella.
Die Deutschen haben es schnell ge­merkt, und anderthalb Jahrzehnte war der Renault 4 ein ununterbrochener Bestsel­ler. Mein erster Testwagen ist meine erste Autoliebe geblieben, bis heute. Ich steige immer noch gern in die Kiste mit der Krückstock-Schaltung. Alles, was daran "verbessert" wurde, ist gottlob läppisch und hat die gnadenlose Funktionalität des R4 nie eingeschränkt. Anders als beim Kä­fer, der im Laufe seiner Jahre von innen heraus langsam ein neues Auto wurde, wenn auch seine Silhouette erhalten blieb. Der Renault hat im Laufe der Jahre ein paar andere Motoren bekommen, irgend­wo mehr Plastikverkleidung und Sitze, die vorgaukeln, man säße in einem Auto.

Stärken des R 4 erkannt

Nein, ein Auto wie andere ist das nicht, vielmehr ein Stück Lebensqualität beson­derer Art: genügsam und kompromisslos praktisch. Kräftiger Rostfraß hat diesem Auto nie das Genick gebrochen. Es blieb populär, wenn auch mancherorts mit zu­sammengebissenen Zähnen. Schlampe­reien muss man ihm verzeihen. Sobald man sich zum ersten Mal hinter das dünne billige Lenkrad klemmt und mit dem Krückstock, sprich Schaltung, herumwürgt. Ziehen, drücken, drehen, reißen, es geht wie geschmiert. Und genauso läs­sig nimmt der Renault 4 auch Straßen, die gar keine mehr sind. Er fährt sich ähnlich wie Schmidtchen Schleicher mit den ela­stischen Beinen, seine langen Federwege machen ihn auch auf brutalem Pflaster komfortabel.

Lieben oder hassen

Wer mit der heutigen Messlatte an den kleinsten Renault herangeht, sollte es gleich bleiben lassen – er ist aus Großva­ters Technologie-Kiste. Daran ist nicht zu rütteln. Zum R4 gab und gibt es eigentlich immer nur zwei Meinungen: Entweder man liebt ihn, oder man hasst ihn. Die, die ihn lieben, werden es ihm verzeihen, dass er auf holperigen Strecken klappert wie die halbvolle Sammelbüchse der Bahn­hofsmission. Über die, die ihn hassen, hat er selber immer nur lächeln können. Kräftemessen mit ernsthaften Kritikern – das war nie sein Anliegen. Einen richtig modernen Renault 4 kann es niemals geben, denn das wäre kein Renault 4, so wie er Millionen Menschen Spaß gemacht hat – und noch macht. Ich wünsche ihm noch ein langes Leben. Die Auto-Welt wäre ärmer, wenn es solche Ki­sten nicht gäbe.